29.2.08

THEODOR DÄUBLER: DIE GÖTTIN BEIM VOLK


THEODOR DÄUBLER (1876–1934)


DIE GÖTTIN BEIM VOLK


O bleib beim Volk, geliebte Aphrodite!
Zur Vorstadt und Gehöften schickst du Tauben:
Wenn stadtwärts Wagen mit Berauschten stauben,
Befügst du sie in freudvolle Gebiete.

Du bietest Mädchen an, auf schnelle Miete,
Besänftigst Stürmische in dichten Lauben,
Daß sich Verwegne keine Jungfrau rauben:
Erfreut sei, wer vor Schenkelsäulen kniete!

Du bist beim Volk: drum lebt es nun zufrieden.
Wer staunte nicht, wie du dein Reich erweiterst,
In allen Gauen ist dir Gunst beschieden!

Geliebte Göttin, da du uns erheiterst,
Entschweb mir nicht, verweile sanft hienieden:
Herbeigeschiffte, bleib, daß du nicht scheiterst!

28.2.08

AUGUST WILHELM VON SCHLEGEL: DAS SONETT


AUGUST WILHELM VON SCHLEGEL (1767-1845)


DAS SONETT

Zwei Reime heiß' ich viermal kehren wieder,
Und stelle sie, getheilt, in gleiche Reihen,
Daß hier und dort zwei eingefaßt von zweien
Im Doppelchore schweben auf und nieder.

Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder
Sich freier wechselnd, jegliches von dreien.
In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen
Die zartesten und stolzesten der Lieder.

Den werd' ich nie mit meinen Zeilen kränzen,
Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket,
Und Eigensinn die künstlichen Gesetze.

Doch, wem in mir geheimer Zauber winket,
Dem leih' ich Hoheit, Füll' in engen Gränzen.
Und reines Ebenmaß der Gegensätze.

ERNST JANDL: vom leben der bäume


ERNST JANDL


vom leben der bäume


auch die harten schwarzen
knospen, auch die säumigen
knospen öffnet das licht.

auch die schönen weißen
blüten, auch die duftenden
blüten zerstreut der wind.

auch die schönen grünen
blätter, auch die sonnigen
blätter zerreibt der wind.

auch die alten großen
bäume, auch die beständigen
bäume bricht die zeit.

26.2.08

ANDREAS GRYPHIUS: AN EINE JUNGFRAU


ANDREAS GRYPHIUS (1616-1664)


XXXV. AN EINE JUNGFRAU


OB zwar eur eigen Lob hir gar nicht ist zu schauen /
So nemt doch von mir an / was diser Feder Pflicht
Vnd meine Pieris hat andern auffgericht /
Die ihr nur übertrefft / O Crone der Jungfrauen.
Die Schrancken sind zu klein; dem heiligen Vertrauen /
Der Demut / der Vernunfft / der Tugend hellem Licht
Dem keusch und sitsam seyn / dem himmlischen Gesicht
Kan in so kurtzer Schrifft ich kein' Altar auffbauen.
Vnd fing ich dennoch an / wo bliebe der Verstand
Die Jugend / das Geschlecht / des hohen Glückes Pfand /
Der Mutter Freundligkeit / des Vatern hohe Sinnen
Vnd beyder teurer Ruhm / der gantz euch einverleibt?
Vnd was noch mehr / ein Geist wie frey er immer schreibt?
Wie hoch er immer geht / nicht recht hat preisen können.

25.2.08

GÜNTER EICH: INVENTUR


GÜNTER EICH (1907-1972)


INVENTUR


Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen.

Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.

Geritzt hier mit diesem
kostbaren Nagel,
den vor begehrlichen
Augen ich berge.

Im Brotbeutel sind
ein Paar wollene Socken
und einiges, was ich
niemand verrate,

so dient er als Kissen
nachts meinem Kopf.
Die Pappe hier liegt
zwischen mir und der Erde.

Die Bleistiftmine
lieb ich am meisten:
Tags schreibt sie mir Verse,
die nachts ich erdacht.

Dies ist mein Notizbuch,
dies ist meine Zeltbahn,
dies ist mein Handtuch,
dies ist mein Zwirn.

FRIEDRICH HÖLDERLIN: SCHWÄRMEREI


FRIEDRICH HÖLDERLIN (1770-1843)


SCHWÄRMEREI


Freunde! Freunde! wenn er heute käme,
Heute mich aus unserm Bunde nähme,
Jener letzte große Augenblick -
Wann der frohe Puls so plötzlich stünde
Und verworren Freundesstimme tönte
Und, ein Nebel, mich umschwebte Erdenglück.

Ha! so plötzlich Lebewohl zu sagen
All den lieben schöndurchlebten Tagen -
Doch - ich glaube - nein! ich bebte nicht!
»Freunde! spräch' ich, dort auf jenen Höhen
Werden wir uns alle wiedersehen,
Freunde! wo ein schönrer Tag die Wolken bricht.

Aber Stella! fern ist deine Hütte,
Nahe rauschen schon des Würgers Tritte -
Stella! meine Stella! weine nicht!
Nur noch einmal möcht' ich sie umarmen,
Sterben dann in meiner Stella Armen,
Eile, Stella! eile, eh' das Auge bricht.

Aber ferne, ferne deine Hütte,
Nahe rauschen schon des Würgers Tritte -
Freunde! bringet meine Lieder ihr.
Lieber Gott! ein großer Mann zu werden,
War so oft mein Wunsch, mein Traum auf Erden,
Aber - Brüder - größre Rollen winken mir.

Traurt ihr, Brüder! daß so weggeschwunden
All' der Zukunft schöngeträumte Stunden,
Alle, alle meine Hoffnungen!
Daß die Erde meinen Leichnam decket,
Eh' ich mir ein Denkmal aufgestecket,
Und der Enkel nimmer denkt des Schlummernden.

Daß er kalt an meinem Leichensteine
Stehet, und des Modernden Gebeine
Keines Jünglings stiller Segen grüßt,
Daß auf meines Grabes Rosenhecken
Auf den Lilien, die den Moder decken,
Keines Mädchens herzergoßne Träne fließt.

Daß von Männern, die vorüberwallen,
Nicht die Worte in die Gruft erschallen:
Jüngling! du entschlummertest zu früh
Daß den Kleinen keine Silbergreise
Sagen an dem Ziel der Lebensreise:
Kinder! mein und jenes Grab vergesset nie!

Daß sie mir so grausam weggeschwunden,
All der Zukunft langersehnte Stunden,
All der frohen Hoffnung Seligkeit,
Daß die schönste Träume dieser Erden
Hin sind, ewig niemals wahr zu werden,
Hin die Träume von Unsterblichkeit.

Aber weg! in diesem toten Herzen
Bluten meiner armen Stella Schmerzen,
Folge! folge mir, Verlassene!
Wie du starr an meinem Grabe stehest
Und um Tod, um Tod zum Himmel flehest!
Stella! komm! es harret dein der Schlummernde.

O an deiner Seite! o so ende,
Jammerstand! vielleicht, daß unsre Hände
Die Verwesung ineinander legt!
Da wo keine schwarze Neider spähen,
Da wo keine Splitterrichter schmähen,
Träumen wir vielleicht, bis die Posaun' uns weckt.

Sprechen wird an unserm Leichensteine
Dann der Jüngling: Schlummernde Gebeine!
Liebe Tote! schön war euer Los!
Hand in Hand entfloht ihr eurem Kummer,
Heilig ist der Langverfolgten Schlummer
In der kühlen Erde mütterlichem Schoß.

Und mit Lilien und mit Rosenhecken
Wird das Mädchen unsern Hügel decken,
Ahndungsvoll an unsern Gräbern stehn,
Zu den Schlummernden hinab sich denken,
Mit gefaltnen Händen niedersinken,
Und um dieser Toten Los zum Himmel flehn.

Und von Vätern, die vorüberwallen,
Wird der Segen über uns erschallen:
Ruhet wohl! ihr seid der Ruhe wert!
Gott! wie mags im Tod den Vätern bangen,
Die ein Kind in Quälerhände zwangen,
Ruhet wohl! ihr habt uns Zärtlichkeit gelehrt.«

24.2.08

SARAH KIRSCH: BEI DEN STIEFMÜTTERCHEN


SARAH KIRSCH (1935)


BEI DEN STIEFMÜTTERCHEN


Bei den weißen Stiefmütterchen
im Park wie ers mir auftrug
stehe ich unter der Weide
ungekämmte Alte blattlos
siehst du sagt sie er kommt nicht

Ach sage ich er hat sich den Fuß gebrochen
eine Gräte verschluckt, eine Straße
wurde plötzlich verlegt oder
er kann seiner Frau nicht entkommen
viele Dinge hindern uns Menschen

Die Weide wiegt sich und knarrt
kann auch sein er ist schon tot
sah blaß aus als er dich untern Mantel küßte
kann sein Weide kann sein
so wollen wir hoffen er liebt mich nicht mehr

AUGUST GRAF VON PLATEN-HALLERMÜNDE: DIE TULPE


AUGUST GRAF VON PLATEN-HALLERMÜNDE (1796-1835)


DIE TULPE


Andre mögen andre loben,
Mir behagt dein reich Gewand,
Durch sein eigen Lied erhoben
Pflückt dich eines Dichters Hand.

In des Regenbogens sieben
Farben wardst du eingeweiht,
Und wir sehen, was wir lieben,
An dir zu derselben Zeit.

Als mit ihrem Zauberstabe
Flora dich entstehen ließ,
Einte sie des Duftes Gabe
Deinem hellen, bunten Vlies.

Doch die Blumen all, die frohen,
Standen nun voll Kummers da,
Als die Erde deinen hohen
Doppelzauber werden sah.

"Göttin! o zerstör uns wieder,
Denn wer blickt uns nur noch an?"
Sprach's die Rose, sprach's der Flieder,
Sprach's der niedre Thymian.

Flora kam, um auszusaugen
Deinen Blättern ihren Duft:
"Du erfreust", sie sagt's, "die Augen,
Sie erfreun die trunkne Luft".

23.2.08

CHRISTIAN MORGENSTERN: DAS MÖWENLIED


CHRISTIAN MORGENSTERN (1871-1914)


DAS MÖWENLIED


Die Möwen sehen alle aus,
als ob sie Emma hiessen.
Sie tragen einen weissen Flaus
und sind mit Schrot zu schießen.

Ich schieße keine Möwe tot,
ich laß sie lieber leben –
und füttre sie mit Roggenbrot
und rötlichen Zibeben.

O Mensch, du wirst nie nebenbei
der Möwe Flug erreichen.
Wofern du Emma heißest, sei
zufrieden, ihr zu gleichen.

HEINRICH HEINE: HAST DU DIE LIPPEN MIR


HEINRICH HEINE (1797-1856)


HAST DU DIE LIPPEN MIR


Hast du die Lippen mir wundgeküßt,
So küsse sie wieder heil,
Und wenn du bis Abend nicht fertig bist,
So hat es auch keine Eil.

Du hast ja noch die ganze Nacht,
Du Herzallerliebste mein!
Man kann in solch einer ganzen Nacht
Viel küssen und selig sein.

22.2.08

BERTOLT BRECHT: FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS


BERTOLT BRECHT (1898-1956)


FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS


Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon,
Wer baute es soviele Male wieder auf? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war,
Die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. über wen
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
Brüllten doch in der Nacht, wo das Meer es verschlang,
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
Untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer
Siegte außer ihm?

Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte,
So viele Fragen.

ERNST STADLER: FORM IST WOLLUST


ERNST STADLER (1883-1914)


FORM IST WOLLUST


Form und Riegel mußten erst zerspringen,
Welt durch aufgeschlossne Röhren dringen:
Form ist Wollust, Friede, himmlisches Genügen,
Doch mich reißt es, Ackerschollen umzupflügen.
Form will mich verschnüren und verengen,
Doch ich will mein Sein in alle Weiten drängen –
Form ist klare Härte ohn' Erbarmen,
Doch mich treibt es zu den Dumpfen, zu den Armen,
Und in grenzenlosem Michverschenken
Will mich Leben mit Erfüllung tränken..

21.2.08

INGEBORG BACHMANN: DIE GROSSE FRACHT


INGEBORG BACHMANN (1926-1973)


DIE GROSSE FRACHT


Die große Fracht des Sommers ist verladen,
das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,
wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit.
Die große Fracht des Sommers ist verladen.

Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit,
und auf die Lippen der Galionsfiguren
tritt unverhüllt das Lächeln der Lemuren.
Das Sonnenschiff im Hafen liegt bereit.

Wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit,
kommt aus dem Westen der Befehl zu sinken; .
doch offnen Augs wirst du im Licht ertrinken,
wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit.

NOVALIS: GESCHICHTE DER POESIE


NOVALIS (1772-1801)


GESCHICHTE DER POESIE


Wie die Erde voller Schönheit blühte,
Sanftumschleiert von dem Rosenglanz
Ihrer Jugend und noch bräutlich glühte
Aus der Weihumarmung, die den Kranz
Ihrer unenthüllten Kindheit raubte,
Jeder Wintersturm die Holde mied,
O! da säuselte durch die belaubte
Myrte Zephir sanft das erste Lied.

Eva lauschte im Gebüsch daneben
Und empfand mit Jugendphantasie
Dieser Töne jugendliches Leben
Und die neugeborne Harmonie,
Süßen Trieb empfand auch Philomele
Leise nachzubilden diesen Klang;
Mühelos entströmet ihrer Kehle
Sanft der göttliche Gesang.

Himmlische Begeistrung floss hernieder
In der Huldin reingestimmte Brust,
Und ihr Mund ergoss in Freudenlieder
Und in Dankgesängen ihre Lust,
Tiere, Vögel, selbst die Palmenäste
Neigten staunender zu ihr sich hin,
Alles schwieg, es buhlten nur die Weste
Froh um ihre Schülerin.

Göttin Dichtkunst kam in Rosenblüte
Hoher Jugend eingehüllt herab
Aus dem Äther, schön wie Aphrodite,
Da ihr Ozean das Dasein gab.
Goldne Wölkchen trugen sie hernieder,
Sie umfloss der reinste Balsamduft,
Kleine Genien ertönten Lieder
In der tränenlosen Luft.

17.2.08

JAKOB VAN HODDIS: WELTENDE


JAKOB VAN HODDIS (1887-1942)


WELTENDE


Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

16.2.08

GEORG TRAKL: MUSIK IM MIRABELL


GEORG TRAKL (1887–1914)


MUSIK IM MIRABELL


Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.

Der Ahnen Marmor ist ergraut.
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.

Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.

Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.
Die Magd löscht eine Lampe aus,
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.

FRIEDRICH VON SCHILLER: MEINE BLUMEN


FRIEDRICH VON SCHILLER (1759–1805)


MEINE BLUMEN


Schöne Frühlingskinder, lächelt,
Jauchzet, Veilchen auf der Au!
Süßer Balsamatem fächelt
Aus des Kelches Himmelblau.
Schön das Kleid mit Licht gesticket,
Schön hat Flora euch geschmücket
Mit des Busens Perlentau!
Holde Frühlingskinder, weinet!
Seelen hat sie euch verneinet,
Trauert, Blümchen auf der Au!

Nachtigall und Lerche flöten
Minnelieder über euch,
Und in euren Balsambeeten
Gattet sich das Fliegenreich.
Schuf nicht für die süßen Triebe
Euren Kelch zum Thron der Liebe
So wollüstig die Natur?
Sanfte Frühlingskinder, weinet,
Liebe hat sie euch verneinet,
Trauert, Blümchen auf der Flur!

Aber wenn, vom Dom umzingelt,
Meine Laura euch zerknickt
Und, in einen Kranz geringelt,
Tränend ihrem Dichter schickt –
Leben, Sprache, Seelen, Herzen
Flügelboten süßer Schmerzen!
Goß euch dies Berühren ein.
Von Dionen angefächelt,
Schöne Frühlingskinder, lächelt,
Jauchzet, Blumen in dem Hain!

15.2.08

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: JÄGERS ABENDLIED


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)


JÄGERS ABENDLIED


 Im Felde schleich’ ich still und wild,
Gespannt mein Feuerrohr,
Da schwebt so licht Dein liebes Bild,
Dein süßes Bild mir vor.
 Du wandelst jetzt wohl still und mild
Durch Feld und liebes Tal,
Und ach, mein schnell verrauschend Bild,
Stellt sich Dir’s nicht einmal?
 Des Menschen, der die Welt durchstreift
Voll Unmut und Verdruss,
Nach Osten und nach Westen schweift,
Weil er Dich lassen muss.
 Mir ist es, denk’ ich nur an Dich,
Als in den Mond zu sehn;
Ein stiller Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, wie mir geschehn.