27.8.11

YVAN GOLL: ICH LIEBE


YVAN GOLL (1891-1950)


ICH LIEBE


Aus beiden Augen strahlt meine goldene Liebe
In beiden Händen zittert die furchtsame Liebe
In meinen Schläfen klopft die gefangene Liebe
Mein Lied ist Liebe
Mein Schweigen ist Liebe
Mein Tanz ist Liebe
Meine Krankheit ist Liebe
Der Frühling ist Liebe
November ist Liebe
Ich lebe aus Liebe
Ich sterbe vor Liebe

20.8.11

ALFRED LICHTENSTEIN: NEBEL


ALFRED LICHTENSTEIN (1889-1914)


NEBEL

Ein Nebel hat die Welt so weich zerstört.
Blutlose Bäume lösen sich in Rauch.
Und Schatten schweben, wo man Schreie hört.
Brennende Biester schwinden hin wie Hauch.

Gefangne Fliegen sind die Gaslaternen.
Und jede flackert, daß sie noch entrinne.
Doch seitlich lauert glimmend hoch in Fernen
Der giftge Mond, die fette Nebelspinne.

Wir aber, die, verrucht, zum Tode taugen,
Zerschreiten knirschend diese wüste Pracht.
Und stechen stumm die weißen Elendsaugen
Wie Spieße in die aufgeschwollne Nacht.

18.8.11

STEFAN GEORGE: WIR SCHREITEN AUF UND AB IM REICHEN FLITTER


STEFAN GEORGE (1868-1933)


WIR SCHREITEN AUF UND AB IM REICHEN FLITTER


Wir schreiten auf und ab im reichen flitter
Des buchenganges beinah bis zum tore
Und sehen aussen in dem feld vom gitter
Den mandelbaum zum zweitenmal im flore .

Wir suchen nach den schattenfreien bänken
Dort wo uns niemals fremde stimmen scheuchten ·
In träumen unsre arme sich verschränken ·
Wir laben uns am langen milden leuchten

Wir fühlen dankbar wie zu leisem brausen
Von wipfeln strahlenspuren auf uns tropfen
Und blicken nur und horchen wenn in pausen
Die reifen früchte an den boden klopfen.

8.8.11

REINER KUNZE: DIE LIEBE


REINER KUNZE (1933)


DIE LIEBE


Die liebe
ist eine wilde rose in uns
Sie schlägt ihre wurzeln
in den augen,
wenn sie dem blick des geliebten begegnen
Sie schlägt ihre wurzeln
in den wangen,
wenn sie den hauch des geliebten spüren
Sie schlägt ihre wurzeln in der haut des armes,
wenn ihn die hand des geliebten berührt
Sie schlägt ihre wurzeln,
wächst wuchert
und eines abends
oder eines morgens
fühlen wir nur:
sie verlangt
raum in uns

Die liebe
ist eine wilde rose in uns,
unerforschbar vom verstand
und ihm nicht untertan
Aber der verstand
ist ein messer in uns

Der verstand
ist ein messer in uns,
zu schneiden der rose
durch hundert zweige
einen himmel

7.8.11

AXEL KUTSCH: FEIER DES WORTES


AXEL KUTSCH (1945)



FEIER DES WORTES


Bevor Sie dieses Gedicht betreten,
ziehen Sie sich bitte die Schuhe aus.
Sie werden vom Autor darum gebeten.
Sparen Sie am Ende nicht mit Applaus.

Haben Sie sich schon die Hände gewaschen?
Nein? Dann wird es aber höchste Zeit.
Begegnen Sie Dichtung nicht mit der laschen
Einstellung Ihrer Alltäglichkeit.

Was glauben Sie denn, wo Sie gerade weilen?
Hier findet eine Feier des Wortes statt.
Spüren Sie nicht den Wohlklang der Zeilen,
die der Autor für Sie geschrieben hat?

Da darf er ein bißchen Respekt verlangen.
Nehmen Sie gefälligst Haltung an.
Gerade sitzen! Nicht so durchgehangen
wie ein versoffener Liederjan.

Die Zähne sollten Sie sich auch noch putzen.
Ein Gedicht verträgt keinen Mundgeruch.
Oder geht es Ihnen darum, zu beschmutzen,
was Sie mehr fordert als ein Kalenderspruch?

Lesen Sie langsam. Nehmen Sie sich Zeit.
Sorgen Sie noch für gedämpftes Licht.
Sind Sie jetzt endlich soweit?
Dann genießen Sie dieses Gedicht.

6.8.11

H[ANS] G[ÜNTHER] ADLER: AUS ALTEN HINDERNISSEN


H[ANS] G[ÜNTHER] ADLER (1910-1988)


AUS ALTEN HINDERNISSEN


Nach mir verblieben Wunder des Gedächtnisses.
Fremd glühn die Farben meiner Kleider, heraus
Gesucht, da alles fremd im Traum zerinnert
Allen Flüssen fast verschwommen ist. Lebt wohl,

Ihr ärmelweiten Bogenschützen, Rede nun aus
Steilen Dämmerungen! Kümmert ihr euch um der
Verblaßten willen, in geheime Länder jählings
Fortgefahren! Zerrissen fern versiedelt in

Die Fremde! Ihr guten Stammesbrüder, keiner weiß
Euch recht, der Heimat in den Grund gesunken.
Mich, der nichts kennt von mir, will mich ins
Neue fahren. In jedem Schweigen türmt das Leid

Sich seine Gräber. So zieht das Alter in das
Bewußte abschiedstrocken hin in die Verluste.
Mühsam erhebt sich, was ich bin, sehr unbekannt
Ein Ausflug nur von mir aus alten Hindernissen