25.3.14

RAINER MARIA RILKE: VOR DEM SOMMERRREGEN




RAINER MARIA RILKE


VOR DEM SOMMERRREGEN

Auf einmal ist aus allem Grün im Park
man weiß nicht was, ein Etwas, fortgenommen;
man fühlt ihn näher an die Fenster kommen
und schweigsam sein. Inständig nur und stark

ertönt aus dem Gehölz der Regenpfeifer,
man denkt an einen Hieronymus:
so sehr steigt irgend Einsamkeit und Eifer
aus dieser einen Stimme, die der Guß

erhören wird. Des Saales Wände sind
mit ihren Bildern von uns fortgetreten, a
ls dürften sie nicht hören was wir sagen.

Es spiegeln die verblichenen Tapeten
das ungewisse Licht von Nachmittagen,
in denen man sich fürchtete als Kind.

24.3.14

GÜNTHER WEISENBORN: AHNUNG




GÜNTHER WEISENBORN (1902-1969)


AHNUNG

Wer am Tisch sitzt und ißt,
hört schon vor der Tür
die Schritte derer,
die ihn hinaustragen werden.

Der die Lampe andreht, weiß,
seine Hand wird kalt
wie die Klinke sein,
eh der Nächste die Lampe ausdreht

Wer sich früh anzieht,
ahnt, daß er Ostern
mit diesem Anzug
unter der Wiese liegt.

Wer den Wein trinkt, weiß,
dieser Rausch wird
sein Hirn nicht mehr erreichen,
sondern auslaufen wie ein Ei.

Leicht ist der Schrei
der eiligen Schwalben.
Sie sind rasch , aber rascher
als sie ist das Ende.

10.3.14

WOLF BIERMANN: WOLKENBILDER ÜBER HAMBURG




WOLF BIERMANN


WOLKENBILDER ÜBER HAMBURG

1.
Die Wolken wildern weiß im Blau
Der Wind schiebt Bilder durch die Himmel
Der Wind malt mir 'ne Monsterschau
ein n a z igrüner Kohlenklau
ein Wolf im Schafgewimmel

2.
Ein Phönix federwölket zart
schon fingert Licht durch die Kulissen
groß bellt ein Gott mir Zickenbart
ein Hundekopf auf blauer Fahrt
hat mir mein Herz zerbissen

3.
Wenn bloß kein Regen runterfällt,
kein kein kernkraftwerkekranker Regen
der Tod fährt lustig um die Welt
im Wolkenschiff am Himmelszelt
und wirft in Hamburg Anker

4.
Und weißt Du was, auf einmal sah
ich oben in den Wolkenfratzen
Dein liebes Bild so schrecklich klar
Dann weinte ich, ich weiß es ja
kein Tod kann mich noch kratzen.

9.3.14

ERICH FRIED: AN DICH DENKEN




ERICH FRIED


AN DICH DENKEN

An Dich denken und unglücklich sein? Wieso?
Denken können
ist doch kein Unglück
und denken können
an Dich:
an Dich
wie Du bist
an Dich
wie Du Dich bewegst
an Deine Stimme
an Deine Augen
an Dich
wie es Dich gibt –
wo bleibt da
für wirkliches Unglück
(wie ich es kenne
und wie es mich kennt)
noch der Raum
oder die Enge?