30.6.18

KARL KROLOW: ZEIT



KARL KROLOW


ZEIT

Zeit: etwas
das die Taschen
feucht von Blut macht.

Es regnet Leben
aus offenen Körpern.

Die Tage und
ihr stilles Geschäft
mit Menschen, die verloren
gehen.

Ein Monat malt
dem nächsten sein Bild
in den Sand,
ohne Verwandtschaft
mit dem, was kommt.

Kein schönes Wetter
verändert ein Karzinom.

Die geordneten Papiere
verbrennen Jahr um Jahr.

29.6.18

MASCHA KALÉKO: MEMENTO




MASCHA KALÉKO


MEMENTO

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
und lass mich willig in das Dunkel treibe...
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem Gleiches widerfuhr
- und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
doch mit dem Tod der andren muss man leben!

13.6.18

PAUL CELAN: BRANDUNG



PAUL CELAN


BRANDUNG

Du, Stunde, flügelst in den Dünen.

Die Zeit, aus feinem Sande, singt in meinen Armen:
ich lieg bei ihr, ein Messer in der Rechten.

So schäume, Welle! Fisch, trau dich hervor!
Wo Wasser ist, kann man noch einmal leben,
noch einmal mit dem Tod im Chor die Welt herübersingen,
noch einmal aus dem Hohlweg rufen : Seht,
wir sind geborgen,
seht, das Land war unser, seht,
wie wir dem Stern den Weg vertraten!

4.6.18

EMMY HENNINGS: EIN TRAUM



EMMY HENNINGS


EIN TRAUM

Wir liegen in einem tiefen See
Und wissen nichts von Leid und Weh.
Wir halten uns umfangen
Und Wasserrosen rings umher.
Wir streben und wünschen und wollen nichts mehr.
Wir haben kein Verlangen.
Geliebter, etwas fehlt mir doch,
Einen Wunsch, den hab ich noch:
Die Sehnsucht nach der Sehnsucht.

3.6.18

KARL KROLOW: HERBSTSONETT MIT RILKE



KARL KROLOW


HERBSTSONETT MIT RILKE

Altrosa wie Rilke oder wie
eine Ziegelwand im Regen:
das Staunen wird sich legen.
Du gewöhnst dich irgendwie

an Farben. An anderes nie.
Du weißt dich nicht zu bewegen,
im herbstlichen Blättersegen,
reibst dir beklommen das Knie.

Das ist nicht deine Sache.
Du stehst in der der Wasserlache
und fühlst: der Herbst ist so –

Altrosa wie Rilke, dann düster.
Da stockt selbst das Geflüster.
Da gibt es kein WIE und kein WO.