29.1.17

RAINER MARIA RILKE: IMMER WIEDER




RAINER MARIA RILKE


IMMER WIEDER

Immer wieder, ob wir der Liebe Landschaft auch kennen
und den kleinen Kirchhof mit seinen klagenden Namen
und die furchtbar verschweigende Schlucht, in welcher die anderen
enden: immer wieder gehn wir zu zweien hinaus
unter die alten Bäume, lagern uns immer wieder
zwischen die Blumen, gegenüber dem Himmel.

14.1.17

INGEBORG BACHMANN: NACH DIESER SINTFLUT




INGEBORG BACHMANN


NACH DIESER SINTFLUT

Nach dieser Sintflut
möchte ich die Taube,
und nichts als die Taube,
noch einmal gerettet sehn.

Ich ginge ja unter in diesem Meer!
flög’ sie nicht aus,
brächte sie nicht
in letzter Stunde das Blatt.

13.1.17

PAUL BOLDT: NÄCHTE ÜBER FINNLAND




PAUL BOLDT


NÄCHTE ÜBER FINNLAND

Die Nadelwälder dunkeln fort im Osten,
Und aus den Seen taugt das Nachtgespenst,
Den gelben Kopf, von Feuerrauch gekränzt,
Den Sterngeruch der neuen Nacht zu kosten.

Zu weißen Pilzen filzen Fichtenpfosten,
Und Ast an Ast in zartem Lichte glänzt,
–Befrorne Linien–Filigran umgrenzt,
Zieht die Kontur aus reinen, reifen Frosten.

Bis auf das alte, runde, schwarze Eis
Des Grundes sind die Flüsse zugefroren.
In Schuttmoränen glänzt der glatte Gneis

Und in den leuchtenden, polierten Mooren.
Die Krähen schreien ewig: Tag–und Tat–
Nebel und Kälte fällt wie Sack und Saat.

12.1.17

GEORG TRAKL: DER HERBST DES EINSAMEN




GEORG TRAKL


DER HERBST DES EINSAMEN

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.

Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.

Bald nisten Sterne in des Müde Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.

11.1.17

RAINER MARIA RILKE: DU DUNKELHEIT




RAINER MARIA RILKE


DU DUNKELHEIT

Du Dunkelheit, aus der ich stamme,
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
für irgendeinen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.

Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich,
wie sie’s errafft,
Menschen und Mächte –

Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.

Ich glaube an Nächte.