27.8.09

RAINER MARIA RILKE: DER SCHWAN


RAINER MARIA RILKE (1875-1926)


DER SCHWAN


Diese Mühsal, durch noch Ungetanes
schwer und wie gebunden hinzugehn,
gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes.

Und das Streben, dieses Nichtmehrfassen
jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn,
seinem ängstlichen Sich-Niederlassen -:

in die Wasser, die ihn sanft empfangen
und die sich, wie glücklich und vergangen,
unter ihm zurückziehn, Flut um Flut;
während er unendlich still und sicher
immer mündiger und königlicher
und gelassener zu ziehn geruht.

26.8.09

WALTER RHEINER: NIETZSCHE


WALTER RHEINER (1895-1925)


NIETZSCHE


Entzündet von den Bergen. Über die Erde
hingewölbt. Musik. Strahlender Morgen Röte.
Apokalyptische Fahrt. Brausend erfüllte Einöde.

Inseln schwärmende in der Brust. Akkord,
baun sich auf die Wälder über der Stirn.
Es leuchtet von innen her, diamantener Firn.
Zeit flichst du um dich! Verzauberst den Ort!

Apostolisches Sein! Magier! Frenetischer Klang.
Goldenes Blut in alpine Nächte verströmt.
Du versinkst in den Sphären, tieferer Schlafgesang.

Feuer zerstört dein Herz. Gekreuzigt über die Welt
du lachst ein letztes Mal! Dunkel stöhnt
ein Schrei. - Du: rasender Tänzer im Sternenfeld!

23.8.09

CLARA MÜLLER-JAHNKE: SCHLAF UND TOD


CLARA MÜLLER-JAHNKE (1860-1905)


SCHLAF UND TOD


Süß und wonnesam ist der Schlaf. -
In der strengen Schule des Lebens,
wo gleich unverständigen Kindern
wir die krausen, verworrenen Rätsel
mühsam zusammenbuchstabieren
aber nimmer den Sinn erforschen,
wo der Schmerz mit ehernem Griffel
Runen auf unsere Stirnen schreibt,
dünkt der Schlaf die Erholungsstunde
mir, die süße, köstliche Pause,
da die verschlossene Türe aufspringt
und statt dumpfigen Bücherstaubes
Sonnenstrahlen und Luft wir atmen...
süß und wonnesam ist der Schlaf. –

Schlaf ist Vergessen, ist die Befreiung
von all den lastenden, quälenden Sorgen
um des Daseins traurige Narrheit,
um der Zukunft lichtloses Dunkel,
um das eine, selige Glück,
das gleich silbernen Wasserwogen
meines Lebens dornige Wüste
noch mit blühenden Blumen schmückte,
und nun haltlos wie Regentropfen
mir in der zitternden Hand zerrinnt. –

Süß und wonnesam ist der Schlaf,
aber eines noch däucht mich süßer:
nicht das Vergessen nur, - das Vergehen!
Nicht das Ausruhen, - nein, die Ruhe!
Sei willkommen mir, goldene Stunde,
die den Schüler gereisten Sinnes
aus der drückenden Mauern Enge
über die Schwelle hinaus in lichte
sonnendurchstrahlte Weiten führt –

Sei gesegnet, du Götterbote,
der auf rauschenden Adlerschwingen
meine Seele aus Nacht und Dunkel
aufwärts trägt zu den fernen Höhn,
wo aus goldenem Schacht des Glückes
nie versiegende Quellen sprudeln! –

Dreimal süßer ist Schlaf, denn Wachen,
aber das Süßeste ist der Tod.

22.8.09

FERDINAND VON SAAR: DAS SONETT


FERDINAND VON SAAR (1833-1906)


DAS SONETT


Ein Labyrinth mit holdverschlung'nen Gängen
Hat dem Gedanken still sich aufgeschlossen;
Er tritt hinein - und wird sogleich umflossen
Von Glanz und Duft und zauberischen Klängen.

Hier leuchten Blumen, die auf Wiesenhängen
Des Pflückers harren, sehnsuchtsvoll entsprossen,
Dort wollen Zweige, goldschwer übergossen,
Den Wandelnden auf schmalem Pfad bedrängen.

Der aber, wird so mancher Wunsch ihm rege,
Pflückt eine Frucht nur mit zufried'ner Miene-
Doch manche Blüthe, die er trifft am Wege.

Und nun - ob er gefangen auch erschiene
Schon in des Vierreims wechselndem Gehege-:
Geleitet ihn in's Freie die Terzine.

21.8.09

PETER HILLE: WALDNACHT


PETER HILLE (1854-1904)


WALDNACHT


Ist das eine rüstige Nacht.
Da fühlt man sich.
Wie meine Schritte treffen!
Und allen Boden wecken wollen.
Und er gibt Antwort.
So weit.
So klar.
Man meint: es ist Wort.
So grau und fein und deutlich.
Und riecht wie ein Kristall.
Die graue Perle der feinen, rüstigen Nacht.
Die nichts gibt, nichts nimmt, sein läßt.
Und sehe ganz deutlich meines Atems, meines Lebens Baum
Und stoße ihn vor mir aus.
Ja, das tut wohl.
Da könnte man immer sein.
Immer gehn.
Immer Leib haben.
Als könne der nicht von uns lassen.
Licht ist nicht zu sehen.
Nicht oben.
Nicht unten.
Das machen meine Augen, meine klaren gesunden Augen.
Juhu!
Und habe mich je im Grübeln gekrümmt?
Komme ja hin.
Komme überall hin.
Es wird wärmer.
Wohl nur von mir aus.
Ich bin ja alles hier.
Und wie eigen, warm vor Leibhaftigkeit die große, weiße Wolke leuchtet.
Wo kommt sie her?
Was scheint sie an?
Ist ja nirgends Licht zu sehen.
Nirgends Licht, nirgends!
Auch eigen?
Wie ich.
Und lockt so stark, so wollüstig wie sonst des
Weibes schwellend uns empörender Frieden.
Und so keusch wie nur die weite Welt.
Das ganz Durchdrungene.
Ich lese mich zurück, lese mich weiter, lese mich
aus allen nahenden, beflissen farbigen Mantelgestalten des Haines.
Kein Lied fällt nieder.
Kein Vogeltraum.
Wir selbst sind Leben.
Eigenes Leben.
Und einen Rausch habe ich.
Höher als der von blödem Gegorenen.

20.8.09

ELISABETH KULMANN: DAS VERGISSMEINNICHT


ELISABETH KULMANN (1808-1825)


DAS VERGISSMEINNICHT


In feuchter Erde Schooße,
Im tiefsten öden Thal,
Sprieß' ich bei Westes Wehen
Und mildem Sonnenstrahl.

Das Veilchen selbst gesellet
Nie zu den Rosen sich;
Und ich erst? Selbst dem Veilchen
Nah' schüchtern nur ich mich.

Und doch verschönt mein Dasein
Der Freude sanftes Licht:
Mich herzen fromme Kinder,
Vergessen meiner nicht.

18.8.09

FRIEDERIKE KEMPNER: POESIE IST LEBEN


FRIEDERIKE KEMPNER (1836-1904)


POESIE IST LEBEN


Poesie ist Leben,
Prosa ist der Tod,
Engelein umschweben
Unser täglich Brot.

16.8.09

GEORG HEYM: AN DAS MEER


GEORG HEYM (1887-1912)


AN DAS MEER


Dich grüßet noch das Land der Hesperiden
Im Untergang, mit Wäldern, rot betaut,
Wenn von den Bergen weit auf deinen Frieden
Des stillen Herbstes großes Auge schaut,

Und jede Nacht entzünden in den Steinen
Meergötter sich ein Feuer mit Gesang,
Wo Segel, die im Mondlicht fern erscheinen,
Ziehn wie ein Traum den Rand der Flut entlang.

Noch glänzet Joppe. Und noch schreiten immer
Die Frauen mit den Krügen aus dem Tor,
Wo deiner Buchten großer Rosenschimmer
Mit schwarzem Duft erfüllt der Locken Flor.

Noch rauscht der Nil hervor aus grünen Sternen,
Ein Brunnen still. Und das Geheimnis klingt
In weiter Wüstennacht in blauer Ferne,
Die bis zum Atlas mit dem Fittich schwingt

Und Mauretania, das weitbeglänzte,
In seidenen Feldern, wie ein Goldhelm schön,
Wo einst Karthagos Flammen gelb umkränzte
Gellender Pfeifen Schrei und Meergetön.

Und aller Inseln windig bunte Stirnen
Hören noch immer deinen Sang, o Meer,
Wenn unter deines Gottes blauem Zürnen
Du brausend bäumst um Stein und Höhlen her,

Und rauscht ihr Bergwald deinem Ton zusammen
Urewig brausend über wilden Pont,
Wenn nachts der Wetter rote Häupter flammen
Mit Feuerlocken weit im Horizont.

Manchmal ertönet noch der Hirtenflöte
Einsames Lied auf deiner Bläue fort,
Wenn, überraucht von großer Abendröte
Du leise schwimmst an ihrer Insel fort.

Dann liegen weiß von Stürmen und von Jahren
Die Wogen ruhig auf dem grünen Strand,
Seefahrern
Und kommen wieder in der Heimat Land.

Und etwas tauchen aus der Flut, der matten,
Gesichter, wesenlos vom Totenreich,
Wenn draußen weit in grauen Abendschatten
Der Mond heraufkommt mit den Hörnern bleich.

Ewiges Meer, im Land der Morgenfrühen
Gewiegt von Winden, wie ein Gott so rein,
Und wenn der Wolken große Städte ziehen
Im Abend in verwelkter Himmel Schein,

O Meer, ich grüße deine Ewigkeiten,
Das unter träumenden Gestirnen wallt,
Verlorner Wandrer, in die Nacht zu schreiten,
Ich, wie ein Horaruf, der schnell verhallt.

ALFRED LICHTENSTEIN: DIE NACHT


ALFRED LICHTENSTEIN (1889-1914)


DIE NACHT


Verträumte Polizisten watscheln bei Laternen.
Zerbrochne Bettler meckern, wenn sie Leute ahnen.
An manchen Ecken stottern starke Straßenbahnen,
Und sanfte Autodroschken fallen zu den Sternen.

Um harte Häuser humpeln Huren hin und wieder,
Die melancholisch ihren reifen Hintern schwingen.
Viel Himmel liegt zertrümmert auf den herben Dingen ...
Wehleidge Kater schreien schmerzhaft helle Lieder.

14.8.09

ANNA LOUISA KARSCH: DER LIEBHABERHUT



ANNA LOUISA KARSCH (1722-1791)


DER LIEBHABERHUT


In einer weltbekannten Stadt,
Die rare Kaufmannswaaren
Und wunderschöne Weiber hat,
Kam schnell ein Mann gefahren,
Eh sich's sein Weibchen vorgestellt,
Und voller Furcht und Schrecken
Entwich ihr junger Liebesheld;
Ach aber zum Entdecken
Der Heimlichkeit gab's viel Gefahr,
Weil er, zu sehr getrieben,
Rasch aus dem Fenster sprang, so war
Sein Hut noch da geblieben,
Lag auf dem Tischchen unverhüllt,
Viel Argwohn zu erregen,
Doch sie, mit Weiberlist erfüllt,
Springt schlau dem Mann entgegen,
Und ruft: Willkommen, süßer Mann!
Du sollst den Hut probieren,
Ein Trödelweib bot mir ihn an:
Er ist mit goldnen Schnüren
Reich eingefaßt und noch ganz neu,
Und ward aus Noth vergeudet. -
Dem Mann gefällt die Schmeichelei,
Er küßt das Weib und leidet
Daß sie an sein Tuppe den Hut
Im Puderhaare drücket,
Ruft selber aus: er laßt mir gut!
Und dankt ihr halb entzücket,
Indem sein Aug im Spiegel gafft,
Den Zierrath seines Kopfes,
Den sie ihm heimlich angeschafft. -
Sie lacht des armen Tropfes
Sehr oft auf ihres Lieblings Schooß,
Und spricht mit losem Muthe:
Mein Schatz! wir kamen wohlfeil los
Mit dem vergeßnen Hute.

13.8.09

CHARLOTTE VON AHLEFELD: GLÜCK DER LIEBE


CHARLOTTE VON AHLEFELD (1781-1849)


GLÜCK DER LIEBE


Einem Schmetterlinge gleicht die Liebe;
Wie er flatternd über Blumen schwebt,
So entflieht sie oft auf leichten Schwingen,
Und nur selten kehrt sie uns zurück.

Um gewaltsam ihre Flucht zu hemmen,
Strebt das kranke Herz mit leisem Weh;
Möcht' ihr gern die raschen Flügel binden,
Gern sie bannen in der Treue Kreis.

Aber wie des Schmetterlinges Farben
Selbst in zarten Händen untergehn,
So vernichten Fesseln auch die Reize,
Die der Liebe freie Regung schmücken.

Darum öffne ihrem kurzen Glücke
Willig und genießend Geist und Herz;
Aber will es wankelmüthig weichen
Trauere dann - doch halt es nicht zurück!

12.8.09

HERMANN ALLMERS: STRANDLUST


HERMANN ALLMERS (1821-1902)


STRANDLUST


Gern bin ich allein an des Meeres Strand,
Wenn der Sturmwind heult und die See geht hohl,
Wenn die Wogen mit Macht rollen zu Land,
O wie wird mir so kühn und so wonnig und wohl!

Die segelnde Möwe, sie rufen ihren Gruß
Hoch oben aus jagenden Wolken herab;
Die schäumende Woge, sie leckt meinen Fuß,
Als wüßten sie beide, wie gern ich sie hab'.

Und der Sturm, der lustig das Haar mir zaust,
Und die Möw' und die Wolke, die droben zieht,
Und das Meer, das da vor mir brandet und braust,
Sie lehren mich alle manch herrliches Lied.

Doch des Lebens erbärmlicher Sorgendrang,
O wie sinkt er zurück, wie vergess' ich ihn,
Wenn die Wogenmusik und der Sturmgesang
Durch das hoch aufschauernde Herz mir ziehn!