23.1.10

FRIEDRICH HÖLDERLIN: DIE LIEBE


FRIEDRICH HÖLDERLIN (1770-1843)


DIE LIEBE


Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all,
  O ihr Dankbaren, sie, euere Dichter schmäht,
    Gott vergeb es, doch ehret
      Nur die Seele der Liebenden.

Denn o saget, wo lebt menschliches Leben sonst,
  Da die knechtische jetzt alles, die Sorge, zwingt?
    Darum wandelt der Gott auch
      Sorglos über dem Haupt uns längst.

Doch, wie immer das Jahr kalt und gesanglos ist
  Zur beschiedenen Zeit, aber aus weißem Feld
    Grüne Halme doch sprossen,
      Oft ein einsamer Vogel singt,

Wenn sich mählich der Wald dehnet, der Strom sich regt,
  Schon die mildere Luft leise von Mittag weht
    Zur erlesenen Stunde,
      So ein Zeichen der schönern Zeit,

Die wir glauben, erwächst einziggenügsam noch,
  Einzig edel und fromm über dem ehernen,
    Wilden Boden die Liebe,
      Gottes Tochter, von ihm allein.

Sei gesegnet, o sei, himmlische Pflanze, mir
  Mit Gesange gepflegt, wenn des ätherischen
    Nektars Kräfte dich nähren,
      Und der schöpfrische Strahl dich reift.

Wachs und werde zum Wald! eine beseeltere,
  Vollentblühende Welt! Sprache der Liebenden
    Sei die Sprache des Landes,
      Ihre Seele der Laut des Volks!

16.1.10

GEORG HEYM: TRÄUMEREI IN HELLBLAU


GEORG HEYM (1850-1920)


TRÄUMEREI IN HELLBLAU


Alle Landschaften haben
Sich mit Blau gefüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.

Blaue Länder der Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels in Fernen
Zergehen in Wind und Licht.

Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.

Zymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern, und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.


September 1911

15.1.10

ERNST BLASS: AN GLADYS


ERNST BLASS (1890-1939)


AN GLADYS


  O du, mein holder Abendstern ...
        Richard Wagner

So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht,
Den schwarzen Hut auf meinem Dichterhaupt.
Die Straßen komme ich entlang geweht.
Mit weichem Glücke bin ich ganz belaubt.

Es ist halb eins, das ist ja noch nicht spät...
Laternen schlummern süß und schneestaubt.
Ach, wenn jetzt nur kein Weib an mich gerät
Mit Worten, schnöde, roh und unerlaubt!

Die Straßen komme ich entlang geweht,
Die Lichter scheinen sanft aus mir zu saugen,
Was mich vorhin noch von den Menschen trennte;

So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht...
Freundin, wenn ich jetzt dir begegnen könnte,
Ich bin so sanft, mit meinen blauben Augen.

13.1.10

BERTOLT BRECHT: BALLADE VON DEN SEERÄUBERN


BERTOLT BRECHT


BALLADE VON DEN SEERÄUBERN


Von Branntwein toll und Finsternissen,
Von unerhörten Güssen nass.
Vom Frost eiskalter Nacht zerrissen
Im Mastkorb, von Gesichten blass.
Von Sonne nackt gebrannt und krank,
(Die hatten sie im Winter lieb)
Aus Hunger, Fieber und Gestank
Sang alles, was noch übrig blieb:

Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!

Kein Weizenfeld mit milden Winden,
Selbst keine Schenke mit Musik,
Kein Tanz mit Weibern und Absinthen,
Kein Kartenspiel hielt sie zurück.
Sie hatten vor dem Knall das Zanken,
Vor Mitternacht die Weiber satt.
Sie lieben nur verfaulte Planken
Ihr Schiff, das keine Heimat hat.

Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!

Mit seinen Ratten, seinen Löchern,
Mit seiner Pest, mit Haut und Haar.
Sie fluchten wüst darauf beim Bechern
Und liebten es, so wie es war.
Sie knoten sich mit ihren Haaren
Im Sturm in seinem Mastwerk fest.
Sie würden nur zum Himmel fahren,
Wenn man dort Schiffe fahren lässt.

Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!

Sie morden kalt und ohne Hassen
Was ihnen in die Zähne springt.
Sie würgen Gurgeln so gelassen
Wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt.
Sie trinken Sprit bei Leichenwachen,
Nachts torkeln trunken sie in See.
Und die, die übrig bleiben, lachen
Und winken mit der kleinen Zeh:

Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!

Sie leben schön wie noble Tiere
Im weichen Wind, im trunknen Blau.
Und oft besteigen sieben Stiere
Eine geraubte fremde Frau.
Die hellen Sternennächte schaukeln
Sie mit Musik in süße Ruh.
Und mit geblähten Segeln gaukeln
Sie unbekannten Meeren zu.

Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!

Doch eines Abends im Aprile,
Der keine Sterne für sie hat,
Hat sie das Meer in aller Stille
Auf einmal plötzlich selber satt.
Der große Himmel, den sie lieben
Hüllt still in Rauch die Sternensicht
Und die geliebten Winde schieben
Die Wolken in das milde Licht.

Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!

Sie fühlen noch, wie voll Erbarmen
Das Meer mit ihnen heute wacht.
Dann nimmt der Wind sie in die Arme
Und tötet sie vor Mitternacht.
Und ganz zuletzt in höchsten Masten
War es, weil Sturm so gar laut schrie
Als ob sie, die zur Hölle rasten
Noch einmal sangen, laut wie nie:

Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!

12.1.10

GOTTHOLD EPHRAIM LESSING: DIE ENTE


GOTTHOLD EPHRAIM LESSING (1729-1781)


DIE ENTE


Ente, wahres Bild von mir,
Wahres Bild von meinen Brüdern!
Ente, jetzo schenk ich dir
Auch ein Lied von meinen Liedern.

Oft und oft muß dich der Neid
Zechend auf dem Teiche sehen.
Oft sieht er aus Trunkenheit
Taumelnd dich in Pfützen gehen.

Auch ein Tier – – o das ist viel!
Hält den Satz für wahr und süße,
Daß, wer glücklich leben will,
Fein das Trinken lieben müsse.

Ente, ists nicht die Natur,
Die dich stets zum Teiche treibet?
Ja, sie ists; drum folg ihr nur.
Trinke, bis nichts übrig bleibet.

Ja, du trinkst und singst dazu.
Neider nennen es zwar schnadern;
Aber, Ente, ich und du
Wollen nicht um Worte hadern.

Wem mein Singen nicht gefällt,
Mag es immer Schnadern nennen.
Will uns nur die neidsche Welt
Als versuchte Trinker kennen.

Aber, wie bedaur ich dich,
Daß du nur mußt Wasser trinken.
Und wie glücklich schätz ich mich,
Wenn mir Weine dafür blinken.

Armes Tier, ergib dich drein.
Laß dich nicht den Neid verführen.
Denn des Weins Gebrauch allein
Unterscheidet uns von Tieren.

In der Welt muß Ordnung sein.
Menschen sind von edlern Gaben.
Du trinkst Wasser, und ich Wein:
So will es die Ordnung haben.

11.1.10

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: NÄHE DES GELIEBTEN


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)


NÄHE DES GELIEBTEN


Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
    Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
    In Quellen malt.

Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
    Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
    Der Wandrer bebt.

Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
    Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,
    Wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne,
    Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
    O wärst du da!

8.1.10

AUGUST STRAMM: SPIEL


AUGUST STRAMM


SPIEL


Deine Finger perlen
Und
Kollern Stoßen Necken Schmeicheln
Quälen Sinnen Schläfern Beben
Wogen um mich.
Die Kette reißt!
Dein Körper wächst empor!
Durch Lampenschimmer sinken deine Augen
Und schlürfen mich
Und
Schlürfen schlürfen
Dämmern
Brausen!
Die Wände tauchen!
Raum!
Nur
Du!

1.1.10

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: AUF DEM SEE


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)


AUF DEM SEE


Und frische Nahrung, neues Blut
Saug' ich aus freier Welt;
Wie ist Natur so hold und gut,
Die mich am Busen hält!
Die Welle wieget unsern Kahn
Im Rudertakt hinauf,
Und Berge, wolkig himmelan,
Begegnen unserm Lauf.

Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum! so Gold du bist;
Hier auch Lieb' und Leben ist.

Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne,
Weiche Nebel trinken
Rings die türmende Ferne;
Morgenwind umflügelt
Die beschattete Bucht,
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht.