30.5.10

JOSEPH VON EICHENDORFF: DIE NACHTBLUME


JOSEPH VON EICHENDORFF (1788-1857)


DIE NACHTBLUME

Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust und Leid und Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.

Wünsche wie die Wolken sind,
Schiffen durch die stillen Räume,
Wer erkennt im lauten Wind,
Ob's Gedanken oder Träume?

Schließ ich nun auch Herz und Mund,
Die so gern den Sternen klagen;
Leise doch im Herzensgrund
Bleibt das linde Wellenschlagen.

17.5.10

RICHARD DEHMEL: AUFBLICK



RICHARD DEHMEL (1863-1920)


AUFBLICK

Über unsre Liebe hängt
eine tiefe Trauerweide.
Nacht und Schatten um uns beide.
Unsre Stirnen sind gesenkt.

Wortlos sitzen wir im Dunkeln.
Einstmals rauschte hier ein Strom,
einstmals sahn wir Sterne funkeln.

Ist denn Alles tot und trübe?
Horch –: ein ferner Mund –: vom Dom –

Glockenchöre... Nacht... Und Liebe ...

11.5.10

STEFAN GEORGE: STIMMEN IM STROM


STEFAN GEORGE (1868-1933)


STIMMEN IM STROM

Liebende klagende zagende wesen
Nehmt eure zufluch in unser bereich -
Werdet geniessen und werdet genesen -
Arme und worte umwinden euch weich.

Leiber wie muscheln - korallene lippen
Schwimmen und tönen in schwankem palast -
Haar verschlungen in ästigen klippen
Nahend und wieder vom strudel erfasst.

Bläuliche lampen die halb nur erhellen -
Schwebende säulen auf kreisendem schuh
Geigend erzitternde ziehende wellen
Schaukeln in selig beschauliche ruh.

Müdet euch aber das sinnen das singen -
Fliessender freuden bedächtiger lauf -
Trifft euch ein kuss: und ihr löst euch in ringen
Gleitet als wogen hinab und hinauf.

LUISE BÜCHNER: ERINNERUNG


LUISE BÜCHNER (1821-1877)


ERINNERUNG


Hier will ich sitzen und ruhen
An diesem lieblichen Ort,
Will schweifen lassen das Auge
Ins Weite von Ort zu Ort.

Will stille sitzen und denken
An Alles was ich geliebt,
Will Alles, Alles vergessen,
Was mich verletzt und betrübt.

Und kann ich es denn verbannen,
Woran ich nicht denken will?
Wie bleibt es beim frohen Erinnern
Im Herzen so öd und so still!

Es sind so innig verbunden
In mir die Freuden und Wehn,
Dass nur vereint sie entschlummern,
Vereinigt nur auferstehn!

8.5.10

HEINRICH HEINE: DAS FRÄULEIN STAND AM MEERE


HEINRICH HEINE (1797-1856)


DAS FRÄULEIN STAND AM MEERE


Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

4.5.10

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: GEFUNDEN


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE


GEFUNDEN

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen steh'n,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt' es brechen,
Da sagt' es fein:
"Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?"

Ich grub's mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich's
Am hübschen Haus.

Und pflanzt' es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.