24.2.10

HERMANN HESSE: VOLL BLÜTEN


HERMANN HESSE (1877-1962)


VOLL BLÜTEN


Voll Blüten steht der Pfirsichbaum
nicht jede wird zur Frucht,
sie schimmern hell wie Rosenschaum
durch Blau und Wolkenflucht.

Wie Blüten gehn Gedanken auf,
hundert an jedem Tag –
Lass blühen! Lass dem Ding den Lauf!
Frag nicht nach dem Ertrag!

Es muss auch Spiel und Tanze sein
und Blütenüberfluss,
sonst wäre die Welt uns viel zu klein
und Leben kein Genuss.

BESS BRENCK-KALISCHER: DIE TÄNZERIN


BESS BRENCK-KALISCHER (1878-1933)


DIE TÄNZERIN


Denn tanzen muss sie.
Dem tollen Rad verflochten
Gliedert sie Chaos,
Schwendet Quellen,
Stampft zuckende Krater.
Im Drang
Des großen Taktes
Tanzt sie Gestirne.

18.2.10

HEINRICH HEINE: ICH HALTE IHR DIE AUGEN ZU


HEINRICH HEINE (1797-1856)


ICH HALTE IHR DIE AUGEN ZU


Ich halte ihr die Augen zu
Und küß sie auf den Mund;
Nun läßt sie mich nicht mehr in Ruh,
Sie fragt mich um den Grund.

Von Abend spät bis Morgens fruh,
Sie fragt zu jeder Stund:
Was hältst du mir die Augen zu,
Wenn du mir küßt den Mund?

Ich sag ihr nicht, weshalb ichs tu,
Weiß selber nicht den Grund.
Ich halte ihr die Augen zu
Und küß ihr auf den Mund.

9.2.10

PAUL BOLDT: LIEBESMORGEN


PAUL BOLDT (1885-1921)


LIEBESMORGEN


Aus dem roten, roten Pfühl
kriecht die Sonne auf die Dielen,
Und wir blinzeln nur und schielen
Nach uns, voller Lichtgefühl.

Wie die Rosa-Pelikane,
Einen hellen Fisch umkrallend,
Rissen unsere Lippen lallend
Kuß um Kuß vom weißen Zahne.

Und nun, eingerauscht ins weiche
Nachgefühl der starken Küsse,
Liegen wir wie junge Flüsse
Eng umsonnt in einem Teiche.

Und wir lächeln gleich Verzückten;
Lachen gibt der Garten wieder,
Wo die jungen Mädchen Flieder,
Volle Fäuste Flieder pflückten.