31.12.13

BERTOLT BRECHT: LEGENDE VOM TOTEN SOILDATEN





BERTOLT BRECHT


LEGENDE VOM TOTEN SOILDATEN

Und als der Krieg im vierten Lenz
Keinen Ausblick auf Frieden bot
Da zog der Soldat seine Konsequenz
Und starb den Heldentod.

Der Krieg war aber noch nicht gar
Drum tat es dem Kaiser leid
Daß sein Soldat gestorben war:
Es schien ihm noch vor der Zeit.

Der Sommer zog über die Gräber her
Und der Soldat schlief schon
Da kam eines Nachts eine militär-
ische ärztliche Kommission.

Es zog die ärztliche Kommission
Zum Gottesacker hinaus
Und grub mit geweihtem Spaten den
Gefallnen Soldaten aus.

Der Doktor besah den Soldaten genau
Oder was von ihm noch da war
Und der Doktor fand, der Soldat war k. v.
Und er drückte sich vor der Gefahr.

Und sie nahmen sogleich den Soldaten mit
Die Nacht war blau und schön.
Man konnte, wenn man keinen Helm aufhatte
Die Sterne der Heimat sehn.

Sie schütteten ihm einen feurigen Schnaps
In den verwesten Leib
Und hängten zwei Schwestern in seinen Arm
Und ein halb entblößtes Weib.

Und weil der Soldat nach Verwesung stinkt
Drum hinkt ein Pfaffe voran
Der über ihn ein Weihrauchfaß schwingt
Daß er nicht stinken kann.

Voran die Musik mit Tschindrara
Spielt einen flotten Marsch.
Und der Soldat, so wie er's gelernt
Schmeißt seine Beine vom Arsch.

Und brüderlich den Arm um ihn
Zwei Sanitäter gehn
Sonst flöge er noch in den Dreck ihnen hin
Und das darf nicht geschehn.

Sie malten auf sein Leichenhemd
Die Farben Schwarz-Weiß-Rot
Und trugen's vor ihm her; man sah
Vor Farben nicht mehr den Kot.

Ein Herr im Frack schritt auch voran
Mit einer gestärkten Brust
Der war sich als ein deutscher Mann
Seiner Pflicht genau bewußt.

So zogen sie mit Tschindrara
Hinab die dunkle Chaussee
Und der Soldat zog taumelnd mit
Wie im Sturm die Flocke Schnee.

Die Katzen und die Hunde schrein
Die Ratzen im Feld pfeifen wüst:
Sie wollen nicht französich sein
Weil das eine Schande ist.

Und wenn sie durch die Dörfer ziehn
Waren alle Weiber da
Die Bäume verneigten sich, Vollmond schien
Und alles schrie hurra.

Mit Tschindrara und Wiedersehn!
Und Weib und Hund und Pfaff!
Und mitten drin der tote Soldat
Wie ein besoffner Aff.

Und wenn sie durch die Dörfer ziehn
Kommt's, daß ihn keiner sah
So viele waren herum um ihn
Mit Tschindra und Hurra.

So viele tanzten und johlten um ihn
Daß ihn keiner sah.
Man konnte ihn einzig von oben noch sehn
Und da sind nur Sterne da.

Die Sterne sind nicht immer da
Es kommt ein Morgenrot.
Doch der Soldat, so wie er's gelernt
Zieht in den Heldentod.

6.11.13

BERTOLT BRECHT: ÜBER KANTS DEFINITION DER EHE IN DER “METAPHYSIK DER SITTEN”




BERTOLT BRECHT


ÜBER KANTS DEFINITION DER EHE IN DER “METAPHYSIK DER SITTEN”

Den Pakt zu wechselseitigem Gebrauch
Von den Vermögen und Geschlechtsorganen
Den der die Ehe nennt, nun einzumahnen
Erschent mir dringend und berechtigt auch.

Ich höre, einige Partner sind da säumig.
Sie haben - und ich halt's nicht für gelogen -
Geschlechtsorgane kürzlich hinterzogen:
Das Netz hat Maschen und sie sind geräumig.

Da bleibt nur: die Gerichte anzugehn
Und die Organe in Beschlag zu nehmen.
Vielleicht wird sich der Partner dann bequemen

Sich den Kontrakt genauer anzusehn.
Wenn er sich nicht bequemt - ich fürchte es sehr -
Muß eben der Gerichtsvollzieher her.

4.11.13

ROSE AUSLÄNDER: PRAG




ROSE AUSLÄNDER (1901-1988)


PRAG

Immer träume ich nach Prag
immer kam etwas dazwischen
Zeitnot Krankheit Krieg

Kafka stand
vor dem Hradschin
verirrter Himmelsbote

Ich schwöre
beim heiligen Franz
ich kann die Mauern
nicht durchbrechen
die Zauberkünste schlafen

Dort träumen Dichter
ihre Wunder
Gut mit ihnen
Kirschen essen

Trauert Prag
um meinen Traum?
Mein Traum
trauert um Prag

3.11.13

PAUL WÜHR: WO






PAUL WÜHR (1927)


WO

sag mir höre ich auf in Hinsicht
auf dich das Andere

zu sein bis zu dir bin ich
gegenüberin dir

bin ich ganz Mann als eine
ganze Frau stell

dir vor uns hat noch nichts
geschieden von einem

Ende zum anderen Ende werden
wir immer das Andere

werden von dem wir das Eine
gar nicht sein müssen

ich sagt sie mit mir anfange
würdest du

nicht etwa aufhören der Mann
zu sein wenn

du enden könntest in mir
immer mit

dir zusammen bist du am
Ende von dir

was ich von Anfang an bin

15.10.13

ERICH FRIED: WAS ES IST



ERICH FRIED


WAS ES IST

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe



14.10.13

SARAH KIRSCH: SCHWARZE BOHNEN




SARAH KIRSCH


SCHWARZE BOHNEN

Nachmittags nehme ich ein Buch in die Hand
Nachmittags lege ich ein Buch aus der Hand
Nachmittags fällt mir ein es gibt Krieg
Nachmittags vergesse ich jedweden Krieg
Nachmittags mahle ich Kaffee
Nachmittags setze ich den zermahlenen Kaffee
Rückwärts zusammen schöne
Schwarze Bohnen
Nachmittags ziehe ich mich aus mich an
Erst schminke dann wasche ich mich
Singe bin stumm

28.9.13

HANS MAGNUS ENZENSBERGER: KOPFKISSENGEDICHT




HANS MAGNUS ENZENSBERGER


KOPFKISSENGEDICHT

Dafür, dass du bis in die Fingerspitzen
anwesend bist, dass es dich verlangt,
dafür, wie du die Knie biegst
und mir dein Haar zeigst,
für deine Temperatur
und deine Dunkelheit;
für deine Nebensätze,

das geringe Gewicht der Ellenbogen
und die materielle Seele,
die in der kleinen Mulde
über dem Schlüsselbein schimmert;
dafür, dass du gegangen
und gekommen bist, und für alles,
was ich nicht von dir weiss,
sind meine einsilbigen Silben
zuwenig, oder zuviel.

26.9.13

BERTOLT BRECHT: DIE LIEBENDEN




BERTOLT BRECHT


DIE LIEBENDEN

Seht jene Kraniche in großem Bogen!
Die Wolken, welche ihnen beigegeben
Zogen mit ihnen schon als sie entflogen
Aus einem Leben in ein anderes Leben.
In gleicher Höhe und mit gleicher Eile
Scheinen sie alle beide nur daneben.
Daß so der Kranich mit der Wolke teile
Den schönen Himmel, den sie kurz befliegen
Daß also keines länger hier verweile
Und keines anderes sehe als das Wiegen
Des andern in dem Wind, den beide spüren
Die jetzt im Fluge beieinander liegen:
So mag der Wind sie in das Nichts entführen.
Wenn sie nur nicht vergehen und sich bleiben
So lange kann sie beide nichts berühren
So lange kann man sie von jedem Ort vertreiben
Wo Regen drohen oder Schüsse schallen.
So unter Sonn und Monds verschiedenen Scheiben
Fliegen sie hin, einander ganz verfallen.
Wohin ihr? - Nirgend hin. Von wem davon? - Von allen.
Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen?
Seit kurzem. - Und wann werden sie sich trennen? - Bald.
So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.

6.9.13

RAINER MARIA RILKE: DIE EINSAMKEIT




RAINER MARIA RILKE


DIE EINSAMKEIT

Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.

Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:

dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...

2.9.13

NELLY SACHS: WER ABER LEERTE DEN SAND AUS EUREN SCHUHEN





NELLY SACHS


WER ABER LEERTE DEN SAND AUS EUREN SCHUHEN

Wer aber leerte den Sand aus euren Schuhen,
Als ihr zum Sterben aufstehen mußtet?
Den Sand, den Israel heimholte,
Seinen Wandersand?
Brennenden Sinaisand,
Mit den Kehlen von Nachtigallen vermischt,
Mit den Flügeln des Schmetterlings vermischt,
Mit dem Sehnsuchtsstaub der Schlangen vermischt,
Mit allem was abfiel von der Weisheit Salomos vermischt,
Mit dem Bitteren aus des Wermuts Geheimnis vermischt −

O ihr Finger,
Die ihr den Sand aus Totenschuhen leertet,
Morgen schon werdet ihr Staub sein
In den Schuhen Kommender!

1.9.13

RAINER MARIA RILKE: DER ABEND KOMMT VON WEIT GEGANGEN




RAINER MARIA RILKE


DER ABEND KOMMT VON WEIT GEGANGEN

Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann preßt er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.

Und stille wird ein jedes Haus;
die Alten in den Sesseln sinnen,
die Mütter sind wie Königinnen,
die Kinder wollen nicht beginnen
mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen
nicht mehr. Der Abend horcht nach innen,
und innen horchen sie hinaus.

18.8.13

SARAH KIRSCH: DIE SPIEGEL




SARAH KIRSCH (1935-2013)


DIE SPIEGEL

Leere Spiegel im Haus.
Niemands schönes Gesicht. Wolken
Ziehen darin. Die sanften die grauen die
Unheimlich blitzzerschlagenen. Als ob er
Im Krieg ist.

17.8.13

NELLY SACHS: DU IN DER NACHT




NELLY SACHS


[DU IN DER NACHT]

Du
in der Nacht
mit dem Verlernen der Welt Beschäftigte
von weit weit her
dein Finger die Eisgrotte bemalte
mit der singenden Landkarte eines verborgenen Meeres
das sammelte in der Muschel deines Ohres die Noten
Brücken-Bausteine
von Hier nach Dort
diese haargenaue Aufgabe
deren Lösung
den Sterbenden mitgegeben wird.

16.8.13

GERTRUD KOLMAR: NOCH EINS




GERTRUD KOLMAR (1894-1943)


NOCH EINS

Ich wollte schön sein, wie ein frommer Drang
Nach Schönheit ist, – so ohne Lüge schön.
Ich wollte schön sein, wie der Preisgesang
Der Schönheit ist, - ein sternenhoch Getön!

Ich wollte solcher mächtigen Schönheit Gabe,
Die wie ein Glück vor tausend Sinnen blinkt!
Ich will die kleine Schönheit: die ich habe,
Die eines Herzens Güte ins sich trinkt.

15.8.13

ROSE AUSLÄNDER: SPRACHE




ROSE AUSLÄNDER (1901-1988)


SPRACHE

Halte mich in deinem Dienst
lebenslang
in dir will ich atmen

Ich dürste nach dir
trinke dich Wort für Wort
mein Quell

Dein zorniges Funkeln
Winterwort

Fliederfein
blühst du in mir
Frühlingswort

Ich folge dir
bis in den Schlaf
buchstabiere deine Träume

Wir verstehen uns aufs Wort
Wir lieben einander

14.8.13

PAUL CELAN: IN DEN FLÜSSEN




PAUL CELAN


IN DEN FLÜSSEN

In den Flüssen nördlich der Zukunft
werf ich das Netz aus, das du
zögernd beschwerst
mit von Steinen geschriebenen
Schatten.

EVA STRITTMATTER: SPRACHLOS




EVA STRITTMATTER (1930-2011)


SPRACHLOS

Erst kennt man sich mit den Worten nicht aus
Und später nicht mehr mit dem Leben.
Noch immer ist es das selbe Haus.
Doch nun sieht man den Abgrund daneben.

Also wie sich halten? Von Tag zu Tag
Seine Pflicht tun. Doch was ist die Pflicht?
Wir sind nicht mehr sicher. Wir urteilen zag.
Und was kommt, das wissen wir nicht.

Von Altersweisheit keine Spur.
Der Sinn ist nicht zu verstehen.
Eine kleine Güte. Ein Lächeln nur.
Und einfach weitergehen.

18.7.13

THOMAS BRASCH: WENN ICH DICH BEGEHRE




THOMAS BRASCH (1945-2001)


WENN ICH DICH BEGEHRE

Wenn ich dich begehre gegen jede Vernunft
wenn ich in dir suche meine Unterkunft
wenn ich das Sehnen u
nd die Sucht benenn mit deinem Namen
und denke, es war gestern, als wir zu uns kamen
wenn ich in meiner Liebe ganz verfangen bin
und alle meine Wunsche wandern zu dir hin
was kann denn daran unvernunftig sein,
wenn wir nicht uns, nur der Vernunft jetzt sagen:
Bleib allein.

HANS MAGNUS ENZENSBERGER: FINNISCHER TANGO





HANS MAGNUS ENZENSBERGER (1929)


FINNISCHER TANGO

Was gestern abend war ist unf ist nicht
Das kleine Boot das sich entfernt
und das kleine Boot das sich nähert
Das Haar das ganz nah war ist fremdes Haar
Das ist leicht gesagt Das ist immer so
Der graue See ist doch der graue See
Das frische Brot von gestern abend ist hart
Niemand tanzt Niemand flüstert Niemand weint
Der Rauch ist verschwunden und nicht verschwunden
Der graue See ist jetz blau Jemand ruft
Jemand lacht Jemand ist fort
Es ist ganz hell Es war halb dunkel
Das kleine Boot kehrt nicht immer zurück
Es ist dasselbe und nicht dasselbe
Niemand ist da Der Felsen ist Felsen
Der Felsen hört auf Felsen zu sein
Der Felsen wird wieder zum Felsen
Das ist immer so Es verschwindet
nichts und nichts bleibt Was da war
ist und ist nicht und ist Das
versteht niemand Was gestern abend war
Das ist leicht gesagt Wie hell
der Sommer hier ist und wie kurz

8.7.13

OSCAR LOERKE: BLAUER ABEND IN BERLIN




OSCAR LOERKE


BLAUER ABEND IN BERLIN

Der Himmel fließt in steinernen Kanälen;
Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen
Sind alle Straßen, voll von Himmelblauen;
Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen

Im Wasser. Schwarze Essendämpfe schwelen
Und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.
Die Leben, die sich ganz am Grunde stauen,
Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,

Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien.
Wie eines Wassers Bodensatz und Tand
Regt sie des Wassers Wille und Verstand

Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.
Die Menschen sind wie grober bunter Sand
Im linden Spiel der großden Wellenhand.

8.6.13

OSCAR LOERKE: ANS MEER




OSCAR LOERKE (1884-1941)


ANS MEER

Der Nebel reißt, der albisch kroch
Aus meinem Blut zum Totenfeld:
Ein Morgen scheint ins Wolkenloch
Hoch auf die Welt.

Das Leben kommt von weitem her.
Und es geschieht, was einst geschah?
Mit ihrer Wäsche fährt ans Meer
Nausikaa.

Ein Weg weist nach Byzanz und Rom,
Für mich betritt ihn der Barbar.
Im Stein verwittert schon am Dom
Sein Mund, sein Haar.

Doch wann bin ich? Der Morgen währt,
Ein Rauschen ruft, ein Meer ist nah –
Ans Meer mit ihrer Wäsche fährt
Nausikaa.

AUGUST VON PLATEN: LIED




AUGUST VON PLATEN (1796-1835)


LIED

Die Liebe hat gelogen,
Die Sorge lastet schwer,
Betrogen, ach, betrogen
Hat alles mich umher!

Es rinnen heiße Tropfen
Die Wange stets herab,
Laß ab, laß ab zu klopfen,
Laß ab, mein Herz, laß ab!

7.6.13

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: NEUE LIEBE, NEUES LEBEN




JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749 - 1832)


NEUE LIEBE, NEUES LEBEN

Herz, mein Herz, was soll das geben?
Was bedränget dich so sehr?
Welch ein fremdes , neues Leben!
Ich erkenn dich nicht mehr.
Weg ist alles was du liebtest,
Weg, warum du dich betrübtest,
Weg dein Fleiß und deine Ruh -
Ach, wie kamst du nur dazu!

Fesselt dich die Jugendblüte,
Diese liebliche Gestalt,
Dieser Blick voll Treu und Güte
Mit unendlicher Gewalt?
Will ich rasch mich ihr entziehen,
Mich ermannen, ihr entfliehen,
Führet mich im Augenblick,
Ach, mein Weg zu ihr zurück.

Und an diesem Zauberfädchen,
Das sich nicht zerreißen läßt,
Hält das liebe lose Mädchen
Mich so wider Willen fest;
Muß in ihrem Zauberkreise
Leben nun auf ihre Weise.
Die Veränderung, ach, wie groß!
Liebe! Liebe! Laß mich los!

29.5.13

GEORG TRAKL: DIE SONNE





GEORG TRAKL


DIE SONNE


Täglich kommt die gelbe Sonne uber den Hügel.
Schön ist der Wald, das dunkle Tier,
Der Mensch; Jäger oder Hirt.

Rötlich steigt im grünen Weiher der Fisch.
Unter dem runden Himmel
Fährt der Fischer leise im blauen Kahn.

Langsam reift die Traube, das Korn.
Wenn sich stille der Tag neigt,
Ist ein Gutes und Böses bereitet.

Wenn es Nacht wird,
Hebt der Wanderer leise die schweren Lider;
Sonne aus finsterer Schlucht bricht.

28.5.13

PAUL WÜHR: NICHT




PAUL WÜHR (1927)


NICHT

einmal will ich dich anders
als du bist sagt sie ich

will so weit mit mir in dir
eine Andere sein bis

ich am anderen Ende von mir
du sein werde was wird

aus dir werden willst du so weit
mit mir in mir dieser

Andere sein bis du am anderen
Ende von dir ich sein wirst

26.4.13

ALFRED LICHTENSTEIN: CAPRICCIO




ALFRED LICHTENSTEIN


CAPRICCIO

So will ich sterben:
Dunkel ist es. Und es hat geregnet.
Doch du spürst nicht mehr den Druck der Wolken,
Die da hinten noch den Himmel hüllen
In sanften Sammet.
Alle Straßen fließen, schwarze Spiegel,
An den Häuserhaufen, wo Laternen,
Perlenschnüre, leuchtend hängen.
Und hoch oben fliegen tausend Sterne,
Silberne Insekten, um den Mond –
Ich bin inmitten. Irgendwo. Und blicke
Versunken und sehr ernsthaft, etwas blöde,
Doch ziemlich überlegen auf die raffinierten,
Himmelblauen Beine einer Dame,
Während mich ein Auto so zerschneidet
Daß mein Kopf wie eine rote Murmel
Ihr zu Fügen rollt...

Sie ist erstaunt. Und schimpft dezent. Und stößt ihn
Hochmütig mit dem zierlich hohen Absatz
Ihres Schuhchens
In den Rinnstein –

29.3.13

PETER ALTENBERG: EIN LIEBESGEDICHT






PETER ALTENBERG (1859-1919)


EIN LIEBESGEDICHT

Rosig will ich, muss ich dein geliebtes Antlitz sehen – – –
Und wenn ich es mit meinem Herzblut rosig färben müsste!
Rosig muss ich dein geliebtes Antlitz sehen,
Rosig und mit dem süssen kindlichen Ausdruck des Wohlergehens!
Aber bleich bist du mir nun geworden seit Tagen,
Und unendliche Müdigkeit dämmert in deinen sonst lichten Augen!
Geliebtestes Geschöpf dieser Erde, was ist dir?!?
Mir bangt so schrecklich – – –.
Willst du den Prinzen in deinen Armen haben?!?
Willst du den romantischen Gymnasiasten?!?
Willst du den Kellner, der dir servirt?!?
Willst du den Fremden, der auf der Strasse gebannt verweilt?!?
Willst du den Bäckerjungen, der morgens Brot bringt?!?
Bleich bist du mir nun geworden, seit Tagen,
Geliebtestes Geschöpf dieser Erde – – –
Bleich bist du mir geworden und kränklich!
Brauchst du Räusche?!?
Ich, ich kann sie dir nicht mehr geben – – – –
Denn der tückische Mörder »Gewohnheit« schlich sich hinterrücks in deine zarte Seele ein –.
Geliebteste,
Rosig will ich, muss ich dein geliebtes Antlitz sehen – – –
Und wenn ich es mit meinem Herzblut rosig färben müsste!!

4.1.13

BERTOLT BRECHT: LIED VON DER BELEBENDEN WIRKUNG DES GELDES




BERTOLT BRECHT


LIED VON DER BELEBENDEN WIRKUNG DES GELDES

Niedrig gilt das Geld auf dieser Erden
Und doch ist sie, wenn es mangelt, kalt.
Und sie kann sehr gastlich werden
Plötzlich durch des Gelds Gewalt.
Eben war noch alles voll Beschwerden
Jetzt ist alles golden überhaucht
Was gefroren hat, das sonnt sich
Jeder hat das, was er braucht.

Rosig färbt der Horizont sich
Blicket hinan: der Schornstein raucht!
Ja da schaut alles gleich ganz anders an.
Voller schlägt das Herz. Der Blick wird weiter.
Reichlich ist das Mahl. Flott sind die Kleider.
Und der Mann ist jetzt ein andrer Mann.

Ach, sie gehen alle in die Irre
Die da glauben, daß am Geld nichts liegt.
Aus der Fruchtbarkeit wird Dürre
Wenn der gute Strom versiegt.
Jeder schreit nach was und nimmt es, wo er's kriegt
Eben war noch alles nicht so schwer
Wer nicht grade Hunger hat, verträgt sich
Jetzt ist alles herz- und liebeleer.
Vater, Mutter, Brüder: alles schlägt sich!

Sehet, der Schornstein, er raucht nicht mehr!
Überall dicke Luft, die uns gar nicht gefällt.
Alles voller Haß und voller Neider.
Keiner will mehr Pferd sein, jeder Reiter.
Und die Welt ist eine kalte Welt.

So ist's auch mit allem Guten und Großen.
Es verkümmert rasch in dieser Welt
Denn mit leerem Magen und mit bloßen
Füßen ist man nicht auf Größe eingestellt.
Man will nicht das Gute, sondern Geld
Und man ist vom Kleinmut angehaucht.
Aber wenn der Gute etwas Geld hat
Hat er doch, was er zum Gutsein braucht.
Wer sich schon auf Untat eingestellt hat
Blicke hinan: der Schornstein raucht!

Ja, da glaubt man wieder an das menschliche Geschlecht.
Edel sei der Mensch, gut und so weiter.
Die Gesinnung wächst. Sie war geschwächt.
Fester wird das Herz. Der Blick wird breiter.
Man erkennt, was Pferd ist und was Reiter.
Und so wird das Recht erst wieder Recht.