30.10.08

ROSE AUSLÄNDER: DAS LEBEN ENTFLIEHT


ROSE AUSLÄNDER (1901-1988)


DAS LEBEN ENTFLIEHT


Das Leben entflieht - und ich liebe dich!
Und du weißt es nicht und bist fremd und fern -
O beleidige mich, o betrübe mich,
o erniedrige mich, doch liebe mich
nicht länger wie einen unnahbaren Stern!

Du kamst und du gingst - ich entbehre dich
wie der Säugling die Brust - mein Weh ist wild!
O begehre mich, o zerstöre mich,
ich beschwöre dich, doch verehre mich,
Geliebter, nicht wie ein entkörpertes Bild!

Das Leben entflieht - und du kommst nicht mehr!
Nie hör ich dich wieder - dein Schritt war mein Lied!
Ach, du kommst nicht mehr - mein Zimmer ist leer,
die Tage tropfen ins Tränenmeer,
und ich liebe dich - und das Leben entflieht...

22.10.08

HEINZ KAHLAU: BILANZ


HEINZ KAHLAU (1931)


BILANZ


Ich wurde schon früh
um die erste Liebe betrogen.
Mich zwang eine Hure ins Bett,
als noch nichts von dem Mann an mir war.
Sie hat mir das Hemd
mit den Schenkeln vom Leibe gezogen.
Ich hatte am Bauch und am Kinn
noch kein einziges Haar.

Ich war kaum der Schule entlaufen
und hatte bisher von der Liebe
gedacht, daß sie schön wie Musik
und so warm wie der Sonnenschein sei.
Sie ließ meine Unschuld
im Fett ihrer Brüste ersaufen
und riß im Gestöhn ihrer Brunst
meine kindliche Seele entzwei.

Ich hab in den Jahren danach
nicht ein einziges Mal mehr gelitten.
Für mich war das Weib nur aus Fleisch
und aus Geilheit gemacht.
Ich nahm, was ich brauchte,
und pfiff auf Moral und auf Sitten
und hab über jedes Gesäusel
von Liebe und Sehnsucht gelacht.

Mich kotzte der Rummel bald an,
denn ich kannte das ganze Vergnügen
und habe schon vorher gewußt,
was sich nachher ergibt.
Ich fühlte so viel wie ein Ast
und mußte mich selber betrügen
und habe nicht einmal
in all diesen Jahren geliebt.

Dann habe ich dich -
und habe mich selber gefunden
und wollte nicht glauben,
daß mich schon dein Lächeln erschreckt.
Ich habe gegrinst und gespottet,
ich hab mich gewehrt und gewunden
und hab meine Liebe so ängstlich
wie ein Gebrechen versteckt.

Du warst eine Frau -
du wolltest nicht nur dein Vergnügen.
Du hast mir gegeben,
was man nur einmal vergibt.
Ich war wie ein Kind
und mußte mich nicht mehr belügen
und wurde zum ersten Male
in all diesen Jahren geliebt.

21.10.08

HERMIONE VON PREUSCHEN: IN DEINEN PRANKEN


HERMIONE VON PREUSCHEN (1854-1918)


IN DEINEN PRANKEN


Das sind die ergreifendsten Lebensnächte,
in denen die Fülle menschlicher Mächte,
göttliche Schauer und irdische Wonnen
in einem Brand ineinandersonnen.

In deinen Pranken die bebenden Glieder
stammeln zum Himmel uralte Lieder
von Zeugen und Sterben,
in Wonnen verderben!

19.10.08

SIMON DACH: LOB DER LIEBE


SIMON DACH (1605-1659)


LOB DER LIEBE


1.
O liebe / herzen-binder /
Du herr der freundlichkeit
Und aller guten zeit /
Du zwietracht überwinder /
Du grosser wohlfahrt heger /
Wie daß die ganze welt
Dir hin zu fusse fällt /
Und folget deinem läger?

2.
Wie weist du einzusperren
Des scepters ganze macht!
Dir dient der cronen-pracht /
Der knecht auch samt dem herren.
Das alter wird gerissen
Zwar an dein strenges joch /
Die jugend pflegst du doch
Am meisten einzuschliessen.

3.
Du wagst dich in die wangen
Der frauen-bilder hin /
Und führst den starcken sinn
Der männer so gefangen.
Was keine macht kan brechen /
Kein stahl / kein fallend bley /
Was keine tyranney /
Weist endlich du zu schwächen.

4.
Du hast die welt gelehret
Das / was sie gutes hat /
Daher auch dorff und stadt
Dir billich zugehöret:
Daß wir die felder bauen /
Nach ehr und gütern stehn /
Tieff in das erdreich gehn /
Uns wind und wellen trauen.

5.
Wodurch wir zugenommen /
In aller pracht und zier
Muß eigentlich von dir /
Du weltbereicher / kommen.
Du endest angst und leiden;
Greiffst du / o amor! an /
Und hilffst / so träget man
Des creutzes last mit freuden.

6.
Durch dich muß alles werden /
Was vieh und menschen noth /
Ohn dich komt weder brodt
Noch weinwachs aus der erden:
Wie schön die vögel singen /
Wie frölich durch das meer /
Der fische schaar / das heer
Der thier im walde springen;

7.
Wie lustig sich mit tänzen
Das volck der sternen macht /
Wie helle bey der nacht
Sie um den mond her glänzen;
Wie schnell der sonnen-räder /
Wie lieblich lufft und wind /
Wie angenehm uns sind
Die brunnen / flüsse / bäder.

8.
Doch wäre nichts zu spüren
Von allem / was man kennt /
Wenn du das regiment
Nicht / liebe / soltest führen.
Glückseelig ist die stunde /
Kriegt anders zeit hie stat
Da gott gezeugt dich hat /
Aus seines herzen grunde.

9.
Man hat von keinen plagen
Da irgend wo gewust /
Und nur von lauter lust
Und freude können sagen;
Da war kein haß vorhanden /
Kein argwohn und kein streit /
Fried und gerechtigkeit
Sind um dich her gestanden.

10.
Man sieht noch itzund leben
Und grosses wohlergehn
An allen orthen stehn /
Wo du dich hinbegeben /
So komm nun dein begnügen
Umschließ auch dieses paar
In eintracht immerdar /
Die ehlich itzt sich fügen.

11.
Du bist es / den wir singen /
Du und das wahren guth /
Der uns das liebste thut /
Gott selbst für allen dingen:
Wir werden angetrieben
Zu sagen: er allein
Muß selbst die liebe seyn /
Die er so rein kan üben.

12.
O seelig / seelig wären
Wir menschen allerseit!
Die wir durch haß und streit
Erbärmlich uns verzehren /
Wenn doch auch uns die liebe /
Die alles hie und da /
Und selbst den himmel / ja
Am meisten gott treibt / triebe.

18.10.08

JOHANN GAUDENZ VON SALIS-SEEWIS: FRÜHLINGSLIED


JOHANN GAUDENZ VON SALIS-SEEWIS (1762-1834)


FRÜHLINGSLIED


Unsre Wiesen grünen wieder,
Blumen duften überall;
Fröhlich tönen Finkenlieder,
Zärtlich schlägt die Nachtigall.
Alle Wipfel dämmern grüner,
Liebe girrt und lockt darin;
Jeder Schäfer wird nun kühner,
Sanfter jede Schäferin.

Blüten, die die Knosp' entwickeln,
Hüllt der Lenz in zartes Laub;
Färbt den Sammet der Aurikeln,
Pudert sie mit Silberstaub.
Sieh! das holde Maienreischen
Dringt aus breitem Blatt hervor,
Beut sich zum bescheidnen Sträußchen
An der Unschuld Busenflor.

Auf den zarten Stengeln wanken
Tulpenkelche, rot und gelb,
Und das Geißblatt flicht aus Ranken
Liebenden ein Laubgewölb'.
Alle Lüfte säuseln lauer
Mit der Liebe Hauch uns an;
Frühlingslust und Wonneschauer
Fühlet, was noch fühlen kann.

16.10.08

GERTRUD KOLMAR: DIE STADT


GERTRUD KOLMAR (1894-1943)


DIE STADT


Sie gingen
Durch den nebelleicht kühlen Wintermorgen, Liebende,
Hand in Hand.
Erde bröckelte hart, gefrorene Pfütze sprang gläsern unter den Sohlen.
Drunten am Uferwege
Saß einer in brauner Sammetjoppe vor seiner Staffelei
Und malte die blattlos hängende Weide.
Kinder pirschten neugierig näher,
Und die Großen hielten fur Augenblicke mit ihrem Gange ein, tadelten, lobten.
An dem algengrünen, glitschigen Stege
Schwamm ein lecker, verrotteter Kahn.
Drei Schwäne über den Wellen
Bogen die stengelschlanken Hälse, schweigend, entfalteten sich, blühten.
Die Frau brach Brot und warf es weit in die Flut.

Unter starrenden Eichen,
Die Äste, schwarz, verrenkt, wie gemarterte Glieder streckten,
Schritten sie an den fröstelnden Rasen, efeuumwucherten
Pfeilern verschlossener Gärten dahin.
Als sie die lange steinerne Brücke betraten,
Riß Sonne den Nebel von sich wie ein Gewand,
Und die Stadt stieg auf, schräg hinter dem breiten Becken des Flusses.
Ineinander, übereinander schoben sich Dächer, schwarzgrau
glänzend wie Dohlengefieder, einzelne, höhere patinagrün; goldene
Turmhauben blitzten.
Möwen umkreischten, hungrig flatternde Bettler, das Brückengeländer.
Sie waren, hinüber
Und schauten vor mürrisch alltäglichem Hause den Knaben
zu, die ihrem gelben Hund die wunde, blutende Pfote verbanden.
Frauen mit Marktnetzen, Henkelkörben blickten vorüber-
eilend die müßigen Fremden knapp und mißtrauisch an,
Verschwanden hinter den Türen düsterer kleiner murkliger Läden.

Lauter und stärker, wohlhäbiger, fülliger wurden die Straßen.
Stattliche Gasthöfe luden mit kräftigen Lettern ein;
Rötliche Backsteinmauern standen machtvoll-gewichtig da
gleich Ratsherren alter Zeit mit Puffenwams und
Barett und prunkender Schaube.
Bahnen lärmten fröhlich, bimmelten flink, wie ein Gassen-
junge am Parktor, entwischten.
Männer in dicken, warmen Mänteln beredeten rauchend
und lebhaft schreitend Handel und Wandel,
Und bald fing die Garküche an, ihren Stand mit nahrhaften
Bratgerüchen zu rühmen.
Laden reihte an Laden sich,
Bot zartes, saftiges Fleisch und Wildbret, Fische, geräucherten Aal und
Sprotten,
Bot knusprig braunes längliches Brot, süß, mit Korinthen
gefüllt, und herbes, das mehlüberstäubt oder mit Salz
und Kümmel bestreut war.
Zwischen zwei Kupferbechern duckte ein winziges chine-
sisches Teehaus von kirschrot gelacktem Holze sein
geschweiftes vergoldetes Dach.
Doch das Gewölk, da um teures Geld Tränke und Salben
und Pulver gemengt und verabreicht werden,
Wies durchs Fenster den Greis, wie lebend, gebückt im Sessel,
In wollener Kutte, mit schlohweiß wallendem Bart;
Er schloß die Lider.
Hinter ihm grinste ein langes scheußliches Beingeripp mit
Totenschädels höhnischen Augenhöhlen und Zähnen,
Die glitzernde Sense in einer Hand und mit der andern des
Sinkenden Schulter krallend.
Eine Uhr zeigte Mitternacht.
Da erschrak die Frau und griff nach dem Manne -
Er nickte und lächelte aber;
Denn er sah nichts als ihr finsteres Haar und ihr blasses
dunkeläugiges Antlitz.

12.10.08

GEORG TRAKL: ROMANZE ZUR NACHT


GEORG TRAKL (1887-1914)


ROMANZE ZUR NACHT

Einsamer unterm Sternenzelt
Geht durch die stille Mitternacht.
Der Knab aus Träumen wirr erwacht,
Sein Antlitz grau im Mond verfällt.

Die Närrin weint mit offnem Haar
Am Fenster, das vergittert starrt.
Im Teich vorbei auf süßer Fahrt
Ziehn Liebende sehr wunderbar.

Der Mörder lächelt bleich im Wein,
Die Kranken Todesgrausen packt.
Die Nonne betet wund und nackt
Vor des Heilands Kreuzespein.

Die Mutter leis’ im Schlafe singt.
Sehr friedlich schaut zur Nacht das Kind
Mit Augen, die ganz wahrhaft sind.
Im Hurenhaus Gelächter klingt.

Beim Talglicht drunt’ im Kellerloch
Der Tote malt mit weißer Hand
Ein grinsend Schweigen an die Wand.
Der Schläfer flüstert immer noch.

7.10.08

LISA ELSÄSSER: das cello



LISA ELSÄSSER (1951)


das cello


und der bogen wieder weg
eingefuttert und veräussert
dieser bogen mit dem cello
schlug in dir die eine saite an
er trug dich nicht der ton
trieb dich weg von deinem spiel
in die dissonanz vergrämter götter
versetzte dich in diesen andern
bauch in saitenlose spannung

cellobogenanomalie

dir blieb das kolophonium
als balsam deiner lippen und
über die saiten deines kindes
strich eine andere hand leicht
wie eine zärtlich aufgewachsene
häre klänge zeugt und du
standest da am metrum
in seinem takt öffnetest und
schlossest du den mund

so viel stand dir zu
deinen bassschlüssel zu entziffern
als bogenzeichen hin zum punkt

4.10.08

JOHANNA AMBROSIUS: DU


JOHANNA AMBROSIUS (1854-1939)


DU


Ach säh'st du mich nur einmal an
Mit deinen Zaubersternen,
Wie wollt ich freud'gen Mutes dann
Das Leben tragen lernen.

Für einen Kuß von deinem Mund
Könnt' ich das Meer bewegen,
Die schönsten Perlen aus dem Grund
Zu deinen Füßen legen.

Und könnt' mit meinen Liedern all'
Ich deine Lieb' erringen,
Ich würde wie die Nachtigall
Mich gleich zu Tode singen.

2.10.08

EDUARD MÖRIKE: AN LUISE


EDUARTD MÖRIKE (1804-1875)


AN LUISE


Ists möglich, ferne von der Süßen
So fort zu leben, so verbannt?
Nur über Berg und Tal zu grüßen,
Und nicht ein Blick, nicht eine Hand?

Da ist es wahrlich oft ein Jammer
So manchen lieben, langen Tag,
Bis mir bei Nacht auf meiner Kammer
Einmal ihr Geist erscheinen mag.

Sie setzt sich lächelnd zu mir nieder,
Es brennt ein ruhig Licht dabei,
Sie sagt mir alte gute Worte wieder
Und sagt mir, daß sie meine sei.

1.10.08

RAINER MARIA RILKE: NARZISS


RAINER MARIA RILKE (1875-1926)


NARZISS


Dies also. Dies geht von mir aus und löst
sich in der Luft und im Gefühl der Haine,
entweicht mir leicht und wird nicht mehr das Meine
und glänzt, weil es auf keine Feindschaft stößt.

Dies hebt sich unaufhörlich von mir fort,
ich will nicht weg, ich warte, ich verweile;
doch alle meine Grenzen haben Eile,
stürzen hinaus und sind schon dort.

Und selbst im Schlaf. Nichts bindet uns genug.
Nachgiebig Mitte in mir, Kern voll Schwäche,
der nicht sein Fruchtfleisch anhält. Flucht, o Flug
von allen Stellen meiner Oberfläche.

Was sich dort bildet und mir sicher gleicht
und aufwärts zittert in verweinten Zeichen,
das mochte so in einer Frau vielleicht
innnen entstehn; es war nicht zu erreichen,

wie ich danach auch drängend in sie rang.
Jetzt liegt es offen in dem teilnahmslosen
zerstreuten Wasser, und ich darf es lang
anstaunen unter meinem Kranz von Rosen.

Dort ist es nicht geliebt. Dort unten drin
ist nichts, als Gleichmut überstürzter Steine,
und ich kann sehen, wie ich traurig bin.
War dies mein Bild in ihrem Augenscheine?

Hob es sich so in ihrem Traum herbei
in süßer Frucht? Fast fühl ich schon die ihre.
Denn, wie ich mich in meinem Blick verliere:
ich könnte denken, dass ich tödlich sei.