21.5.08

FRIEDRICH RÜCKERT: DU BIST DIE RUH’


FRIEDRICH RÜCKERT (1788-1866)


[DU BIST DIE RUH’]

Du bist die Ruh'
Der Friede mild,
Die Sehnsucht du
Und was sie stillt.

Ich weihe dir
Voll Lust und Schmerz
Zur Wohnung hier
Mein Aug' und Herz.

Kehr' ein bei mir,
Und schließe du
Still hinter dir
Die Pforten zu.

Treib andern Schmerz
Aus dieser Brust!
Voll sei dies Herz
Von deiner Lust.

Dies Augenzelt
Von deinem Glanz
Allein erhellt,
O füll' es ganz.

20.5.08

ADELBERT VON CHAMISSO: MORGENTAU


ADELBERT VON CHAMISSO (1781-1838)


MORGENTAU


Wir wollten mit Kosen und Lieben
Genießen der köstlichen Nacht.
Wo sind doch die Stunden geblieben?
Es ist ja der Hahn schon erwacht.

Die Sonne, die bringt viel Leiden,
Es weinet die scheidende Nacht;
Ich also muß weinen und scheiden,
Es ist ja die Welt schon erwacht.

Ich wollt', es gäb' keine Sonne,
Als eben dein Auge so klar,
Wir weilten in Tag und in Wonne,
Und schliefe die Welt immerdar.

19.5.08

RICHARD DEHMEL: LOBGESANG


RICHARD DEHMEL (1863-1920)


LOBGESANG


Wie das Meer
ist die Liebe:
unerschöpflich,
unergründlich,
unermeßlich:
Woge zu Woge
stürzend gehoben,
Woge um Woge
wachsend verschlungen,
sturm- und wetter-geberdig nun,
sonneselig nun,
willig nun dem Mond
die unaufhaltsame Fläche -
doch in der Tiefe
stetes Walten ewiger Ruhe,
ungestört,
undurchdringbar dem irdischen Blick,
starr verdämmernd in gläsernes Dunkel -
und in der Weite
stetes Wirken ewiger Regung,
ungestillt,
unentwirrbar dem irdischen Blick,
wild verschwimmend im Licht der Lüfte:
Aufrausch der Unendlichkeit
ist das Meer
ist die Liebe.

18.5.08

CONRAD FERDINAND MEYER: ALLES WAR EIN SPIEL


CONRAD FERDINAND MEYER (1825-1898)


ALLES WAR EIN SPIEL


In diesen Liedern suche du
Nach keinem ernsten Ziel!
Ein wenig Schmerz, ein wenig Lust,
Und alles war ein Spiel.

Besonders forsche nicht danach,
Welch Antlitz mir gefiel,
Wohl leuchten Augen viele drin,
Doch alles war ein Spiel.

Und ob verstohlen auf ein Blatt
Auch eine Träne fiel,
Getrocknet ist die Träne längst,
Und alles war ein Spiel.

16.5.08

IVAN GOLL: AUS ALLEN POREN STRÖMT MIR DIE LIEBE


IVAN GOLL (1891-1950)


[AUS ALLEN POREN STRÖMT MIR DIE LIEBE]


Aus allen Poren strömt mir die Liebe.
Meine Muskeln sind gespeist von deiner Liebe.
Ich habe nur rote Blutkörperchen vor lauter Liebe.
Mein Haar ist gelockt von der Liebe.
In allen Zungen singe ich, daß ich dich liebe.
Ich singe Liebe.
Wenn ich schweige, das ist Liebe.
Ich denke nur, daß ich dich liebe.
Tanzen muß ich immer aus Liebe.
Bin ich krank vor Liebe?
Oder gesund aus Liebe?
Ich lebe nicht, ich liebe.
Ich kann nicht sterben, weil ich dich liebe.

15.5.08

MARIANNE VON WILLEMER: WIE MIT INNIGSTEM BEHAGEN


MARIANNE VON WILLEMER (1784-1860)


[WIE MIT INNIGSTEM BEHAGEN]


Wie mit innigstem Behagen,
Lied, empfind ich deinen Sinn!
Liebevoll du scheinst zu sagen:
Daß ich ihm zur Seite bin.

Daß er ewig mein gedenket,
Seiner Liebe Seligkeit
Immerdar der Fernen schenket,
Die ein Leben ihm geweiht.

Süßes Dichten, lautre Wahrheit
Fesselt mich in Sympathie!
Rein verkörpert Liebesklarheit
Im Gewand der Poesie.

14.5.08

ALFONS PETZOLD: DU BIST, GELIEBTE, EINE STRÖMENDE WASSERTAT


ALFONS PETZOLD (1882-1923)


[DU BIST, GELIEBTE, EINE STRÖMENDE WASSERTAT]


Du bist, Geliebte, eine strömende Wassertat,
ich, eine Mühle an Deines grünen Ufers Rand,
Deine Liebe treibt mein schwerhinschaufelndes Rad,
das fröhliches Rauschen wirft weit über das Land.

Die Leute stehen vor meinem Hause:
He, Müller, wo kommt das starke Rauschen her?
Gar viele glauben, es brause
ein unterirdisches Meer.

13.5.08

ALBERT EHRENSTEIN: IN JEDE EINZELHEIT VERLOREN


ALBERT EHRENSTEIN (1886-1950)


[IN JEDE EINZELHEIT VERLOREN]


In jede Einzelheit verloren
Küsse ich Deine Poren,
Küsse, knabbere, beiß ich Dich wadenaufwärts bis zu den Ohren.
Als Fiebermesser will sich mein Besuchsfuß in Dich versenken,
Ausfüllen den leeren und linden Lieblingsraum.
Ich weiß nicht, wo und wie -
Wohl über dem Knie
Lustwandelnd in Centralparks geweihtem Hain
Die Halbinsel inzwischen, inmitten
Mit dem vortrefflich eisfreien Hafen
Reizt den dort wachsam schlafen
Oder Anker werfen wollenden Geographen.
Ist unter dem Marmarabusen ein Dardanellenschloß
Oder ist es eine verliebte, wilde Landenge,
Die mich stürzt in verzücktes Gedränge
Wortloser Seelengesänge?
Lieben und küssen – nie Dich aus den Armen lassen müssen!

12.5.08

ELKE ERB: EIN IRGENDWAS


ELKE ERB (1938)


EIN IRGENDWAS


wie das Grün beim Haus,
in das ich notdürftig Jahr für Jahr
ein paar Gesichtszüge strich: eines Gartens –

auf welche ich nicht einmal hinsah
mit dem Sinn, der ohne sie auskam
(sie geht weg, sieht weg, hat zu tun),

doch mit dem anderen, einem anderen Sinn
stets, stets und stets hinsah, als hätte ich
meine Augen für nichts, für ein
Sandgekratz, wie ein Huhn,

als käme ihm gleich, dem Huhn,
aus dem mit den Füßen tänzerisch Saubergekratzten
das nahrhafte Eiweißbißchen, -

ein Irgendwas wie das grüne beim Haus
kommt freilich ohne mich aus.

11.5.08

HERMANN LÖNS: WIESENGRAS


HERMANN LÖNS (1866-1914)


WIESENGRAS


Das Wiesengras ist lang und weich,
Die Sonne flammt und glüht,
Um rote Disteln zittert die Luft,
Die ganze Wiese blüht.

Wie Wachen, stark und scharf bewehrt,
Die Disteln uns umblühn,
Weich ist und lang das Wiesengras
Und deine Lippen glühn.

Deine glühenden Lippen zittern leicht,
Wie Blumenblätter im Wind,
Deine Lippen, die viel roter noch
Wie die roten Blumen sind.

Ich sehe die roten Blumen nicht,
Ich sehe dich nur an
Und küsse deinen roten Mund,
Solange ich küssen kann.

4.5.08

HANS BETHGE: AN DIE FERNE GELIEBTE


HANS BETHGE (1876-1946)


AN DIE FERNE GELIEBTE


Tau der Frühe funkelt
Überm Tulpenbeet,
Tränen des Glücks, fernher
Durchs Dunkel geweht.

Tausend Rosenknospen
Leuchten am Rotdornbaum,
Klingt da ein Lied der Flöte?
Hör ich der Amsel Traum?

Dunkle Pfingstrosen brennen,
Wie dein Herz einst gebrannt,
Zärtliche Jasminblüte
War deine weiße Hand.

Silberne Quelle rieselt
Deinen Namen mir zu,
Zauberisch glänzt die Frühe -
Aber wo glänzt du?

3.5.08

JOACHIM RINGELNATZ: EIN NAGEL SASZ IN EINEM STÜCK HOLZ


JOACHIM RINGELNATZ (1883-1934)


[EIN NAGEL SASZ IN EINEM STÜCK HOLZ]


Ein Nagel saß in einem Stück Holz.
Der war auf seine Gattin sehr stolz.
Die trug eine goldene Haube
Und war eine Messingschraube.
Sie war etwas locker und etwas verschraubt,
Sowohl in der Liebe, als auch überhaupt.

Sie liebte ein Häkchen und traf sich mit ihm
In einem Astloch. Sie wurden intim.
Kurz, eines Tages entfernten sie sich
Und ließen den armen Nagel im Stich.
Der arme Nagel bog sich vor Schmerz.
Noch niemals hatte sein eisernes Herz
So bittere Leiden gekostet.
Bald war er beinah verrostet.

Da aber kehrte sein früheres Glück,
Die alte Schraube wieder zurück.
Sie glänzte übers ganze Gesicht.
Ja, alte Liebe, die rostet nicht!

2.5.08

MAX DAUTHENDEY: DIE LIEBE


MAX DAUTHENDEY (1867-1918)


DIE LIEBE


Ach, gibt es ein göttlicher Weh als die Liebe,
Gibt es ein köstlicher Glück als ihr Leid,
Streift sie auch nur mit dem Finger dein Kleid
Mitten im sinnlosen Straßengetriebe!

Liebe fühlt fein, wie ein Nackter im Grase,
Liebe im Aug' sieht den Winter noch grün,
Macht auch den Waffenlosen todkühn
Und trutzig dein Herz zum Prellstein der Straße.

Mehr als die Weisen kann Liebe begreifen,
Liebe gibt tausend Glühlampen dem Geist,
Liebe hat alle Sternbahnen bereist,
Liebe ist rund um das Weltall ein Reifen.

Mit dem Liebe gerungen, der nur ist Ringer,
Wer um Liebe gelitten, der nur hat Ruhm;
Wer die Liebe verschwiegen, der nur war stumm;
Wer aus Liebe gesungen, der nur war Singer.

1.5.08

FRIEDRICH SCHLEGEL: DER MOND


FRIEDRICH SCHLEGEL (1772-1829)


DER MOND


Es streben alle Kräfte,
So matt sie sind, zur Erde doch zu wirken.
In den ew'gen Bezirken
Der schönen Welt ist das nur mein Geschäfte;
Das muß ohnmächtig immer ich versuchen,
Und traurig dem beschränkten Lose fluchen.

Seht ihr mich milde glänzen,
Und warme Sommernächte schön erhellen,
Wo leise Freudewellen
Der Erde Kinder kühlen nach den Tänzen;
Sind's Sonnengeister nur, die sanfter spielen.
Mein eignes Wesen könnt ihr so nicht fühlen.

Doch wenn ich seltsam scheine,
Aus dunkeln Wolken ängstlich vorgeschlichen;
Dann ist die Hüll' entwichen,
Es merkt der Mensch mit Schaudern, was ich meine.
So zeigen Geister sich, um euch zu wecken,
Und lassen ahnden die verborgnen Schrecken.