31.1.09

JOHANN NIKOLAUS GÖTZ: LIEBE BRAUCHET NICHT VERSTAND


JOHANN NIKOLAUS GÖTZ (1721-1781)


LIEBE BRAUCHET NICHT VERSTAND


Vor Zeiten reißte der Verstand
Nach Amathunt, wo er die Königin Cythere,
Den blinden Cypripor, und viele Nymphen fand;
Bey denen er, so gern als ich, geblieben wäre.
Er bot sich allen an, that artig und galant.
Wer mich zum Führer wählt, wird, sprach er, niemahls gleiten:
Ich führ ihn immer an der Hand! –

Doch Cypris lacht' und sprach: hier herrscht, seit alten Zeiten,
Frau Thorheit, und muß mich und meine Kinder leiten;
Besonders meinen Sohn, wann er den Bogen spannt!
Die abzuschaffen macht zu viel Beschwerlichkeiten;
Drum wandert immerhin zurück in euer Land,
Mein allerliebster Herr Pedant;
Dann Liebe leidet nicht Verstand.

30.1.09

ELISABETH LANGGÄSSER: FRÜHLING


ELISABETH LANGGÄSSER (1899-1950)


FRÜHLING 1946


Holde Anemone,
Bist du wieder da
Und erscheinst mit heller Krone
Mir Geschundenem zum Lohne
Wie Nausikaa?

Windbewegtes Bücken,
Woge, Schaum und Licht!
Ach, welch sphärisches Entzücken
Nahm dem staubgebeugten Rücken
Endlich sein Gewicht?

Aus dem Reich der Kröte
Steige ich empor,
Unterm Lid noch Plutons Röte
Und des Totenführers Flöte
Gräßlich noch im Ohr.

Sah in Gorgos Auge
Eisenharten Glanz,
Ausgesprühte Lügenlauge
Hört ich flüstern, daß sie tauge,
Mich zu töten ganz.

Anemone! Küssen
Laß mich dein Gesicht:
Ungespiegelt von den Flüssen
Styx und Lethe, ohne Wissen
Um das Nein und Nicht.

Ohne zu verführen,
Lebst und bist du da,
Still mein Herz zu rühren,
Ohne es zu schüren –
Kind Nausikaa!

28.1.09

LUDWIG RUBINER: DER MORD IM KELLER


LUDWIG RUBINER (1881-1920)


DER MORD IM KELLER


Im Raum der unterirdischen Apaschen
Warf FRED ins Glas dem Fremden Kokain.
DER FREUND, der hilfereich als Arzt erschien,
Fischt dem Betäubten in den Manteltaschen.

Ein Polizist will seinen Browning ziehn.
Fred musste ihn von hinten überraschen.
Ein Schuss. Gebrüll. Ein Scherbenberg von Flaschen.
Ein Toter! Fred und sein Genosse fliehn.

Zu Haus ölt Fred die Falltür zum Verschwinden.
Die Polizei kordont den Häuserblock.
(Die Doppeltüren knarren in den Spinden.)

- Bei der Beschießung schreibt ein Zeitungsschmock. -
Tief im Gebirge wird sie niemand finden;
FRED liegt im Bett, DER FREUND kocht steifen Grog.

23.1.09

JOHANN CHRISTIAN GÜNTHER: VON DER LIEBE


JOHANN CHRISTIAN GÜNTHER (1695-1723)


VON DER LIEBE


Liebe,
Was vor innig-süße Triebe
Hegstu nicht in deiner Brust!
Würden doch nur die Verächter
Einmahl unsrer Wollust Wächter,
Schwör ich bey Amoenens Gunst,
Daß sie erstlich selbst nicht wüsten,
Ob der Himmel zeitlich sey,
Und darnach vor Scham und Reu
Nur vom Zusehn sterben müsten.
Das thäten sie,
Das thäten deine Triebe,
O Liebe!

19.1.09

OTTO BASIL: SEELE DES SOMMERS


OTTO BASIL (1901-1983)


SEELE DES SOMMERS


Eh die Nacht noch und ihr Volk in Scharen
heilen Hauchs die Zäune überstiegen,
soll der Wein im Schattenkrug versiegen,
Gerten tränkend, die hineingefahren.

Kühl im Beerenbusch. Und wir gewahren
weit hinaus im Auseinanderbiegen,
wo die raunenden Arenen liegen
glüh’nd und dunkel, dürstend und agraren.

Manchmal mit dem Donner der Geräte
um die Erntewagen leise läuten
wie im Orgelbrausen schwarze Messen,

und durch Mohn und Meilenstein die Drähte
golden blinkend nach den Städten deuten
der Paläste mit metallnen Tressen.

18.1.09

ALFRED GONG: DIE LIEBENDEN



ALFRED GONG (1920-1981)


DIE LIEBENDEN


Die Liebenden haben heut keine Balkone,
kein Stern webt Träume in die Gardinen,
kein Bett ist ihr Eigen. Sie liegen umschlungen,
erwartend den Tod auf glänzenden Schienen.

Sie liegen und frösteln. Die Lider geschlossen.
Um seinen Ηals ihre magere Rechte.
(Einst schien uns der Mond auf das duftende Kissen...)
Leb wohl, fremde Mutter, Erde du schlechte!

Sie lauschen den Hymnen der Frösche und Grillen,
enorm ertönend im Sternenregen
dem Einen – Unsichtbaren und Blinden.
Sie liegen umschlungen und schweigen verlegen.

Wir hören das Nahen des rollenden Todes.
Sie liegen da, geschlossen die Lider,
und fühlen als Letztes die Leere des Hungers,
durchflutet vom Dufte träumender Flieder.

HEINRICH HEINE: WEISSE GLIEDER


HEINRICH HEINE (1797-1856)


WEISSE GLIEDER


Ich liebe solche weiße Glieder,
Der zarten Seele schlanke Hülle,
Wildgroße Augen und die Stirne
Umwogt von schwarzer Lockenfülle!

Du bist so recht die rechte Sorte,
Die ich gesucht in allen Landen;
Auch meinen Wert hat Euresgleichen
So recht zu würdigen verstanden.

Du hast an mir den Mann gefunden,
Wie du ihn brauchst. Du wirst mich reichlich
Beglücken mit Gefühl und Küssen,
Und dann verraten, wie gebräuchlich.

11.1.09

WOLF BIERMANN: BERLIN


WOLF BIERMANN (1936)


BERLIN


Berlin, du deutsche deutsche Frau.
Ich bin dein Hochzeitsfreier.
Ach, deine Hände sind so rauh
von Kälte und von Feuer.

Ach, deine Hüften sind so schmal
wie deine breiten Straßen.
Ach, deine Küsse sind so schal,
ich kann dich nimmer lassen.

Ich kann nicht weg mehr von dir gehn.
Im Westen steht die Mauer.
Im Osten meine Freunde stehn,
der Nordwind ist ein rauher.

Berlin, du blonde blonde Frau.
Ich bin dein kühler Freier;
dein Himmel ist so hunde-blau,
darin hängt meine Leier

9.1.09

CHRISTIAN HÖLMANN: AUF CLELIEN


CHRISTIAN HÖLMANN (1677-1744)


AUF CLELIEN


Der schönen Clelie stehn alle sünden frey:
Das stehlen, denn sie hat mein herze mir genommen:
Das lügen, denn soe spricht: daß dem nicht also sey;
Das morden, ich bin fast durch sie ums leben kommen;
Die hoffart, denn sie sieht mich offetrmahls kaum an;
Die unbarmherzigkeit, sie achtet nichts mein klagen;
Ja was vor sünden man nur immer nennen kan,
Die kan ich insgesamt von dieser schönen sagen.

7.1.09

ANNA RITTER: STILLE ZEIT


ANNA RITTER (1865-1921)


STILLE ZEIT



Die Tage rinnen leise hin …
Ein jeder bringt ein liebes Glück
Und eine liebe Sorge mit,
Und schau ich so den Weg zurück,
Den ich mit dir gegangen bin,
Da will es mir fast bange werden
Um so viel Seligkeit auf Erden. –

6.1.09

GOTTFRIED KELLER: SIEHST DU DEN STERN


GOTTFRIED KELLER (1819-1890)


SIEHST DU DEN STERN

Siehst du den Stern im fernsten Blau,
Der flimmernd fast erbleicht?
Sein Licht braucht eine Ewigkeit,
Bis es dein Aug erreicht!

Vielleicht vor tausend Jahren schon
Zu Asche stob der Stern;
Und doch steht dort sein milder Schein
Noch immer still und fern.

Dem Wesen solchen Scheinens gleicht,
Der ist und doch nicht ist,
O Lieb, dein anmutsvolles Sein,
Wenn du gestorben bist!

5.1.09

THEODOR KÖRNER: NÄHE DER GELIEBTEN


THEODOR KÖRNER (1791-1813)


NÄHE DER GELIEBTEN


Ich denke dein im Morgenlicht des Maien,
Im Sonnenglanz;
Ich denke dein, wenn mich die Sterne freuen
Am Himmelskranz.

Ich sorg' um dich, wenn in des Berges Wettern
Der Donner lauscht;
Du schwebst mir vor, wenn in den dunkeln Blättern
Der Zephir rauscht.

Ich höre dich, wenn bei des Abends Gluten
Die Lerche schwirrt;
Ich denke dein, wenn durch des Deiches Fluten
Der Nachen irrt.

Wir sind vereint, uns raubt der Tod vergebens
Der Liebe Lust;
O, laß mich ruhn, du Sonne meines Lebens,
An deiner Brust!

4.1.09

FERDINAND VON FREILIGRATH: O LIEB’, SOLANG DU LIEBEN KANNST!


FERDINAND VON FREILIGRATH (1810-1876)


O LIEB’, SOLANG DU LIEBEN KANNST!

O lieb', solang du lieben kannst!
O lieb', solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!

Und wer dir seine Brust erschließt,
O tu ihm, was du kannst, zulieb'!
Und mach' ihm jede Stunde froh,
Und mach ihm keine Stunde trüb!

Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, -
Der andre aber geht und klagt.

O lieb', solang du lieben kannst!
O lieb', solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und naß,
- Sie sehn den andern nimmermehr -
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.

Und sprichst: O schau' auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, daß ich gekränkt dich hab'!
O Gott, es war nicht bös gemeint!

Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!

Er tat's, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort -
Doch still - er ruht, er ist am Ziel!

O lieb', solang du lieben kannst!
O lieb', solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

3.1.09

PHILIP VON ZESEN: DAS ZWANZIGSTE LIED


PHILIP VON ZESEN (1619-1689)


DAS ZWANZIGSTE LIED


an das überweibliche wunder der
irdischen geschöpfe /
die wohl-gebohrne
Rosemund:
gesetzt durch Mal(achtas) Siebenhaaren.



1.

Rosemund / mein selbst-eigenes hertze /
leiden und schmertze /
laß dichs nicht irren / wan ich mit reimen
öffentlich schertze.
Schertzen im hertzen / äusserlich freundlich
kan ich nicht leiden;
Träue von aussen / Falschheit von innen
pfleg' ich zu meiden.


2.

Lebe mein Leben / lebe der hofnung / daß ich
nicht trüge /
daß ich nicht wanke / wan ich mich schmüge /
knechtiglich büge.
Lebe mein Leben! schäue dich nur nicht /
mache dich kühner:
lebe beständig! dan so verbleib' ich immer
dein Diener.

1.1.09

RICHARD DEHMEL: DIE SCHAUKEL


RICHARD DEHMEL (1863-1920)


DIE SCHAUKEL


Auf meiner Schaukel in die Höh,
was kann es Schöneres geben!
So hoch, so weit! Die ganze Chaussee
und alle Häuser schweben.

Weit über die Gärten hoch, juchhee,
ich lasse mich fliegen, fliegen;
und alles sieht man, Wald und See,
ganz anders stehn und liegen.

Hoch in die Höh! Wo ist mein Zeh?
Im Himmel! ich glaube, ich falle!
Das tut so tief, so süß dann weh,
und die Bäume verbeugen sich alle.

Und immer wieder in die Höh,
und der Himmel kommt immer näher;
und immer süßer tut es weh -
der Himmel wird immer höher.