29.9.08

FRIEDRICH VON SCHILLER: LAURA AM KLAVIER


FRIEDRICH VON SCHILLER (1759-1805)


LAURA AM KLAVIER


Wenn dein Finger durch die Saiten meistert -
Laura, itzt zur Statue entgeistert,
Itzt entkörpert steh' ich da.
Du gebietest über Tod und Leben,
Mächtig, wie von tausend Nervgeweben
Seelen fordert Philadelphia.

Ehrerbietig leiser rauschen
Dann die Lüfte, dir zu lauschen;
Hingeschmiedet zum Gesang
Stehn im ew'gen Wirbelgang,
Einzuziehn die Wonnefülle,
Lauschende Naturen stille.
Zauberin! mit Tönen, wie
Mich mit Blicken, zwingst du sie.

Seelenvolle Harmonien wimmeln,
Ein wollüstig Ungestüm,
Aus den Saiten, wie aus ihren Himmeln
Neugeborne Seraphim;
Wie, des Chaos Riesenarm entronnen,
Aufgejagt vom Schöpfungssturm, die Sonnen
Funkelnd fuhren aus der Nacht,
Strömt der Töne Zaubermacht.

Lieblich itzt, wie über glatten Kieseln
Silberhelle Fluten rieseln,
Majestätisch prächtig nun
Wie des Donners Orgelton,
Stürmend von hinnen izt, wie sich von Felsen
Rauschende schäumende Gießbäche wälzen,
Holdes Gesäusel bald,
Schmeichlerisch linde,
Wie durch den Espenwald
Buhlende Winde –

Schwerer nun und melancholisch düster,
Wie durch toter Wüsten Schauernachtgeflüster,
Wo verlornes Heulen schweift,
Tränenwellen der Cocytus schleift.
Mädchen, sprich! Ich frage, gib mir Kunde:
Stehst mit höhern Geistern du im Bunde?
Ist's die Sprache, lüg mir nicht,
Die man in Elysen spricht?

28.9.08

MARIE EUGENIE DELLE GRAZIE: MEINE LIEBE


MARIE EUGENIE DELLE GRAZIE (1864-1931)


MEINE LIEBE


Gold'ner als die Sonne glüht,
Reiner als der Mondenschein,
Schöner als die Rose blüht,
Wohnt die Lieb' im Herzen mein.

Wenn der Lenz von dannen zieht,
Nimmt er jede Blüth' vom Baum;
Meine Liebe geht nicht mit,
Bleibt ein ew'ger Frühlingstraum.

Und wenn Rosen nicht mehr glüh'n,
Nicht mehr lacht der Mondenschein,
Blumen, die da nicht verblüh'n,
Zaubert sie in's Herz hinein.

27.9.08

GÜNTER GRASS: KÖNIG LEAR


GÜNTER GRASS (1927)


KÖNIG LEAR


In der Halle,
in jeder Hotelhalle,
in einem eingesessenen Sessel,
Klub-, Leder-, doch niemals Korbsessel,
zwischen verfrühten Kongreßteilnehmern
und leeren Sesseln, die Anteil haben,
selten, dann mit Distanz gegrüßt,
sitzt er, die von Kellnern umsegelte Insel,
und vergißt nichts.

Diese Trauer findet an sich Geschmack
und lacht mit zwölf Muskeln einerseits.
Viel hört er nicht aber alles
und widerlegt den Teppich.
Die Stukkatur denkt er weg
und stemmt seine Brauen gegen.
Bis sich ihr Blattgold löst,
sprechen Barockengel vor.
Die Kirche schickt Spitzel;
ihm fehlen Komparsen.
Vergeblich ahmen zu viele Spiegel ihn nach.
Seine Töchter sind Anekdoten.

Im Hotel Sacher wird nach Herrn Kortner verlangt.
Herr Kortner läßt sagen, er sei auf der Probe.
In der Halle, in seinem Sessel, stellt jemand sich tot
und trifft sich mit Kent auf der Heide.

26.9.08

OTTO JULIUS BIERBAUM: NACHTGANG


OTTO JULIUS BIERBAUM (1865-1910)


NACHTGANG


Wir gingen durch die dunkle, milde Nacht,
Dein Arm in meinem,
Dein Auge in meinem;
Der Mond goß silbernes Licht
Ueber dein Angesicht;
Wie auf Goldgrund ruhte dein schönes Haupt,
Und du erschienst mir wie eine Heilige: mild,
Mild und groß und seelenübervoll,
Gütig und rein wie die liebe Sonne.
Und in die Augen
Schwoll mir ein warmer Drang,
Wie Thränenahnung.
Fester faßt ich dich
Und küßte -
Küßte dich ganz leise, - meine Seele
Weinte.

25.9.08

FRIEDRICH HEBBEL: ICH UND DU


FRIEDRICH HEBBEL (1813-1863)


ICH UND DU


Wir träumten von einander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund,
Zerfließen in eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.

24.9.08

OTTO LUDWIG: ALTERNATIVE


OTTO LUDWIG (1813-1865)


ALTERNATIVE


Gestern ruht ich an der Quelle,
Lauschte ihrem Murmellauf,
Sieh, da stieg aus klarer Welle
Leis ein reizend Weib herauf.

Mit den Lippen wie Korallen,
Mit der Augen tiefem Blau,
Kaum bedeckt von Schleiers Wallen
Nahte mir die holde Frau.

Und sie sprach: Sei mir ergeben -
Nein, du willst, du kannst nicht fliehn -,
Wie das Bächlein soll dein Leben
Froh durch goldne Auen ziehn.

Komm mit mir zu süßen Scherzen
In des Flusses klaren Grund;
Wecktest in der Brust die Schmerzen,
Mach mich, Jüngling, nun gesund.

Und den zarten, liebewarmen
Spitzte sie, den roten Mund -
Doch ich ließ sie ohn Erbarmen,
Ließ sie krank und liebeswund!

Nimm mich schnell in deine Arme,
Sichre dein beneidet Gut,
Mädchen, oder ich erbarme
Mich der Schönen in der Flut!

Bei dem Lächeln leis und flüchtig
Deines Schelmenangesichts!
Bist du gar nicht eifersüchtig?
Kind, ich stehe dir für nichts!

23.9.08

WALTER HELMUT FRITZ: [WEIL DU DIE TAGE]



WALTER HELMUT FRITZ (1929)


[WEIL DU DIE TAGE]


Weil du die Tage
zu Schiffen machst,
die ihre Richtung kennen.
Weil dein Körper
lachen kann.
Weil dein Schweigen
Stufen hat.
Weil ein Jahr
die Form deines Gesichts annimmt.
Weil ich durch dich verstehe,
daß es Anwesenheit gibt,
liebe ich dich.

22.9.08

THEODOR STORM: ICH BIN MIR MEINER SEELE


THEODOR STORM (1817-1888)


ICH BIN MIR MEINER SEELE


Ich bin mir meiner Seele
In deiner nur bewußt,
Mein Herz kann nimmer ruhen
Als nur an deiner Brust!
Mein Herz kann nimmer schlagen
Als nur für dich allein.
Ich bin so ganz dein eigen,
So ganz auf immer dein. - -

21.9.08

FRANZ GRILLPARZER: ALS SIE, ZUHÖREND, AM KLAVIER SASZ


FRANZ GRILLPARZER (1791-1872)


ALS SIE, ZUHÖREND, AM KLAVIER SASS


Still saß sie da, die Lieblichste von allen,
Aufhorchend, ohne Tadel, ohne Lob;
Das dunkle Tuch war von der Brust gefallen,
Die, nur vom Kleid bedeckt, sich atmend hob;
Das Haupt gesenkt, den Leib nach vorn gebogen,
Wie von den flichnden Tönen nachgezogen.

Nenn ich sie schön? Ist Schönheit doch ein Bild,
Das selbst sich malt und nur sich selbst bedeutet,
Doch Höheres aus diesen Zügen quillt,
Die wie die Züge einer Schrift verbreitet,
An sich oft bildlos, unscheinbare Zeichen,
Doch himmlisch durch den Sinn, den sie erreichen.

So saß sie da, das Regen nur der Wangen
Mit ihren zarten Muskeln rund und weich,
Der Wimpern Zucken, die das Aug umhangen,
Der Lippen Spiel, die Purpurlädchen gleich,
Den Schatz von Perlen hüllen jetzt, nun zeigen,
Verriet Gefühl, von dem die Worte schweigen.

Und wie die Töne brausend sich verwirren,
In stetem Kampfe stets nur halb versöhnt,
Jetzt klagen, wie verflogne Tauben girren,
Jetzt stürmen, wie der Gang der Wetter dröhnt,
Sah ich ihr Lust und Qual im Antlitz kriegen
Und jeder Ton ward Bild in ihren Zügen.

Mitleidend wollt ich schon zum Künstler rufen:
"Halt ein! Warum zermalmst du ihre Brust?"
Da war erreicht die schneidendste der Stufen,
Der Ton des Schmerzes ward zum Ton der Lust
Und wie Neptun, vor dem die Stürme flogen,
Hob sich der Dreiklang ebnend aus den Wogen;

Und wie die Sonne steigt, die Strahlen dringen
Durch der zersprengten Wetter dunkle Nacht,
So ging ihr Aug, an dem noch Tropfen hingen,
Hellglänzend auf in sonnengleicher Pracht;
Ein leises Ach aus ihrem süßen Munde,
Sah, wie nach Mitgefühl, sie in die Runde.

Da trieb's mich auf; nun soll sie's hören!
Was mich schon längst bewegt, nun werd ihr's kund!
Doch blickt sie her; den Künstler nicht zu stören
Befiehlt ihr Finger schwicht'gend an dem Mund,
Und wieder seh ich horchend sie sich neigen
Und wieder muß ich sitzen, wieder schweigen.

20.9.08

NELLY SACHS: DEIN NAME IST DIR VERLORENGEGANGEN



NELLY SACHS (1891-1970)


[DEIN NAME IST DIR VERLORENGEGANGEN]


Dein Name ist dir verlorengegangen
aber die Welt eilt herzu
und bietet dir schöne Auswahl an
Du schüttelst den Kopf
aber dein Geliebter
hat dir einmal die Nadel im Heuhaufen gefunden
Hörst du: er ruft dich schon -

19.9.08

INGEBORG BACHMANN: IM ZWIELICHT


INGEBORG BACHMANN (1926-1973)


IM ZWIELICHT


Wieder legen wir beide die Hände ins Feuer,
du für den Wein der lange gelagerten Nacht,
ich für den Morgenquell, der die Kelter nicht kennt.
Es harrt der Blasbalg des Meisters, dem wir vertrauen.

Wie die Sorge ihn wärmt, tritt der Bläser hinzu.
Er geht, eh es tagt, er kommt, eh du rufst, er ist alt
wie das Zwielicht auf unsren schütteren Brauen.

Wieder kocht er das Blei im Kessel der Tränen,
dir für ein Glas - es gilt, das Versäumte zu feiern -
mir für den Scherben voll Rauch - der wird überm Feuer geleert.
So stoß ich zu dir und bringe die Schatten zum Klingen.

Erkannt ist, wer jetzt zögert,
erkannt, wer den Spruch vergaß.
Du kannst und willst ihn nicht wissen,
du trinkst vom Rand, wo es kühl ist
und wie vorzeiten, du trinkst und bleibst nüchtern,
dir wachsen noch Brauen, dir sieht man noch zu !

Ich aber bin schon des Augenblicks
gewärtig in Liebe, mir fällt der Scherben
ins Feuer, mir wird er zum Blei,
das er war. Und hinter der Kugel
steh ich, einäugig, zielsicher, schmal,
und schick sie dem Morgen entgegen.

18.9.08

ELSE GALEN-GUBE: NUN SIEH DEIN WERK


ELSE GALEN-GUBE (1869-1922)


NUN SIEH DEIN WERK


Du botst mir deinen Mund zum Kusse dar
und ich sprach "Nein", zum Trotz den wilden Gluten,
die, seit der Stunde, wo ich dich gesehn,
mein ganzes Sein wie Lavastrom durchfluten.

Die mich verzehren, mir die Seele fast
versengen wie mit Fegefeuerbränden;
ich weiß es ja, die tolle Leidenschaft,
die Sinnenglut für dich wird niemals enden.

Du selber in vermeßnem, eitlem Spiel
hast, als wir einst das erste Mal zusammen,
den Funken, bis er brannte, aufgeschürt!
Nun sieh dein Werk - - ich steh in hellen Flammen!

16.9.08

DETLEV VON LILIENCRON: MIT AUSGEBREITETEN ARMEN


DETLEV VON LILIENCRON (1844-1909)


MIT AUSGEBREITETEN ARMEN

Weltvereinsamt und verlassen,
Liebes Mädchen, sitz ich hier.
Alle Menschen muß ich hassen,
Kann mich selber nicht mehr fassen
Komm, o komm zu mir!

Blütenpracht und grüne Zweige
Und die ganze Frühlingszier
Sind mir holde Fingerzeige,
Daß ich sanft zu dir mich neige:
Komm, o komm zu mir!

Tausend zärtliche Gedanken,
Keusche Minne, Liebesgier,
Die sich ewig in mir zanken -
Hab Erbarmen mit dem Kranken:
Komm, o komm zu mir!

14.9.08

PAUL BOLDT: DER TURMSTEIGER


PAUL BOLDT (1885-1921)


DER TURMSTEIGER


Er fühlte plötzlich, daß es nach ihm griff,
— Die Erde war es und der Himmel oben,
An dem die Dohlen hingen und die Winde hoben —
Und fühlte, wie es ihn nun auch umpfiff.

Ihn schauderte. Er sah das Meer, er sah ein Schiff,
Das gelbe Wellen schaukelten und schoben
Und sah die Wellen, Wellen — Wellen woben
An seinem unvollendeten Begriff.

Ein Wasserspeier sprang ihn an und bellte.
Er zitterte und faßte die Fiale,
Die knarrend brach; — versteinert aber schnellte

Ein Teufel Witze auf die Kathedrale; —
Er hörte hin — ein höllisches Finale:
Er stürzte, fiel! Sein Schrei trieb hoch und gellte.

13.9.08

CLARA MÜLLER-JAHNKE: FÜR HEUT


CLARA MÜLLER-JAHNKE (1860-1905)


FÜR HEUT


Ich will dir keine Freude rauben
und binde dich mit keiner Pflicht;
ich baue nicht auf Treu und Glauben,
ein festes Wort begehr ich nicht!
Für all die Liebe laß mich danken,
die du mir reich und glühend gibst, -
und mag dein Herz schon morgen wanken:
Ich weiß, daß du mich heute liebst!

Noch schäumt der Wein im Goldpokale,
noch duftet frisch der Blütenstrauß,
die Jugend gießt die volle Schale
des Glücks ob unsern Häupten aus; -
mit allen seinen Glutgedanken
zu eigen nimm mein tiefstes Sein . . .
und mag der Erdball morgen wanken:
Für heut, Geliebter, bist du mein!

11.9.08

ADA CHRISTEN: ZU SPÄT


ADA CHRISTEN (1839-1901)


ZU SPÄT


Uns're Schiffe willst Du lenken
Nun nach einem gleichen Ziel?!
Fern Dir, losgerissen treib' ich,
Längst der wilden Stürme Spiel.
Fürchte Du das böse Zischen,
Kalte Grollen, fürcht' das Meer,
Lass' mich ringen mit den Wogen,
Einsam, haltlos, ohne Wehr!
Bleibe still und unbekümmert
Ferne mir und nah' dem Strand,
Bald entsinket ja das Ruder
Meiner kraftlos müden Hand -
Oder - stürze muthig nach mir,
Wenn mein Fahrzeug untergeht -
Sterben können wir zusammen,
Doch zum Leben ist's zu spät!

10.9.08

FRIEDRICH HALM: BEI DIR SIND MEINE GEDANKEN


FRIEDRICH HALM (1806-1871)


BEI DIR SIND MEINE GEDANKEN


Bei dir sind meine Gedanken
Und flattern um dich her;
Sie sagen, sie hätten Heimweh,
Hier litt es sie nicht mehr!

Bei dir sind meine Gedanken
Und wollen von dir nicht fort;
Sie sagen, das wär' auf Erden,
Der allerschönste Ort!

Sie sagen, unlösbar hielte
Dein Zauber sie festgebannt
Sie hätten an deinen Blicken
Die Flügel sich verbrannt.

9.9.08

FRANCISCA STOECKLIN: AN DIE LIEBE


FRANCISCA STOECKLIN (1894-1931)


AN DIE LIEBE


Alle suchen sie dich
und überall lockst du.
Aus tausend Verhüllungen schimmert
dein unenträtselt Gesicht.
Aber wenigen nur
gewährst du Erfüllung,
selige Tage, reines Glück.
Zärtlich wehn dich die Blumen,
die scheuen Gräser,
der Schmetterlinge heiterer Flug;
wilder der Wind
und das ewig sich wandelnde Meer.
Wunderbar strahlst du
aus den Augen des Menschen,
der ein Geliebtes
in seinen Armen hält,
vom tönenden Sternenhimmel überwölbt.
In die zitternde Seele
schweben Schauer
von Leben und Tod.

8.9.08

FRIEDRICH VON HAGEDORN: DER KUSS


FRIEDRICH VON HAGEDORN (1708-1754)


DER KUSS


Wie unvergleichlich ist
Die Schöne, die recht küßt!
In ihren Küssen steckt
Was Tausend Lust erweckt.

Den Mund gab die Natur
Uns nicht zur Sprache nur:
Das, was ihn süßer macht,
Ist, daß er küßt und lacht.

Ach, überzeuge dich
Davon, mein Kind! durch mich
Und nimm und gib im Kuß
Der Freuden Ueberfluß.

7.9.08

MAX DAUTHENDEY: DU UND ICH


MAX DAUTHENDEY (1867-1918)


DU UND ICH


Du und ich!
Wunschlose Seligkeit
Strömt deine Nähe über mich.
Der Alltag wird zur Sonntagszeit,
Unsterblich schlingt das Leben sich
Um uns. Und Menschengöttlichkeit
Fühl' ich bei dir durch dich.

Was einst gewesen, weiß ich kaum.
Die enge Welt wird weiter Raum.
Und Holz wird Eisen, Eisen Holz
Und Stolz wird Demut, Demut Stolz.
Gar wunderbare Weisen
Singt dann bei seinen Kreisen
Mein Blut im Paradies für mich.
Es haben alle Wünsche Ruh', -
Ich weiß nicht mehr, wer bist dann du.
Ich weiß nicht mehr, wer bin dann ich.

6.9.08

FRIEDRICH VON MATTHISSON: ICH DENKE DEIN!


FRIEDRICH VON MATTHISSON (1761-1831)


ICH DENKE DEIN!


Ich denke dein,
Wenn durch den Hain
Der Nachtigallen
Akkorde schallen!
Wann denkst du mein?

Ich denke dein
Im Dämmerschein
Der Abendhelle
Am Schattenquelle!
Wo denkst du mein?

Ich denke dein
Mit süßer Pein
Mit bangem Sehnen
Und heißen Tränen!
Wie denkst du mein?

O denke mein,
Bis zum Verein
Auf besserm Sterne!
In jeder Ferne
Denk ich nur dein!

5.9.08

JUSTINUS KERNER: LIEBESPEIN


JUSTINUS KERNER (1786-1862)


LIEBESPEIN


Still hingegeben
Ganz ihr allein,
Geht, Menschen, gehet!
O ihr nicht fasset
Der Liebe Pein!

Von Lieb' zerrissen
Ein armes Herz,
Wird durch euch kränker,
Fühlet noch tiefer
Der Liebe Schmerz.

Blumen, o Blumen
Der stillen Flur!
Ihr, ach, nur heilet,
Ihr, ach, verstehet
Dies Herze nur.

Sterne! o lasset
Mich nicht allein!
Blumen und Sterne
Ach, ihr nur kennet
Der Liebe Pein.

4.9.08

MAX HERMANN-NEISSE: DIE BAUERNMAGD


MAX HERMANN-NEISSE (1886-1941)


DIE BAUERNMAGD


Hinter einem ganzen Wall von Röcken
hat sie sich auf unsern Markt gebaut:
Braun wie Zeltdach knittert ihre Haut,
ihre Beine gleichen Knotenstöcken.

Mürrisch starrn die Lippen und verschlossen.
Handfest sicher und voll nacktem Hohn
denkt sie rechnend an den Wochenlohn
und wieviel von ihrer Zeit verflossen.

Manchmal träumt ihr Diebstahl, Sterbenmüssen,
Krach, die neue Heirat ihrer Mutter,
oder wie auf Feldern Zwei sich küssen -

Dann verhüllt sie sich mit ihrem Hasse
und erhöht den Preis von Milch und Butter
und bereichert ihre eigne Kasse. -

3.9.08

ISOLDE KURZ: GNADENWAHL


ISOLDE KURZ (1853-1944)


GNADENWAHL


Ach, ein Leben ohne Liebe
Rinnt in des Vergessens Fluten,
Ist ein Frühling ohne Triebe,
Ist ein Sommer ohne Gluten,
Ohne Erntetag ein Herbst.
Wer die Liebe nie gewonnen,
Steht verbannt vom Lebensbronnen.

Ob sie heilig ihn entflammte,
Keiner Künste wird er Meister,
Nicht die Stätte der Verdammten,
Nicht der Chor der sel'gen Geister,
Ihn umfängt das Zwischenreich.
Wem die Liebe sich verschlossen,
Schemen hat er zu Genossen.

Wen ihr Atem nur berührte,
Wer des fliehenden Gewandes
Saum nur an die Lippen führte,
Ist ein Bürger ihres Landes,
Den Erkornen zugesellt,
Wen sie hielt in ihren Armen,
Nimmer kann er ganz verarmen.

Schwand sie hin in Erdenferne,
Weilt nicht länger wärmespendend,
Wandelt sie zum schönsten Sterne
Ihre Flamme strahlensendend,
Zieht das Aug' zum Äther auf,
Für die Freuden, die zerstoben,
Leiht sie Bürgerrecht dort oben.

O wie sanft der Lieb' im Arme
Sinkt das Haupt zum langen Schlummer!
Und sie wacht in ihrem Harme
Eine Weile noch als stummer
Hüter an dem heil'gen Grab.
Bis auch ihr die Wimpern fallen
Und die Schleier niederwallen.

Ach, ein Leben ohne Liebe
Rinnt in des Vergessens Fluten,
Ist ein Frühling ohne Triebe,
Ist ein Sommer ohne Gluten,
Ohne Erntetag ein Herbst.
Wer zur Liebe nicht geboren,
Dort und hier ist er verloren.

2.9.08

JOSEPH VON EICHENDORFF: MONDNACHT




JOSEPH VON EICHENDORFF (1788-1857)


MONDNACHT


Es war als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst,
Daß sie im Blüten-Schimmer
Von ihm nun träumen müßt'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogen sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

1.9.08

GISELA STEINECKERT: DEINETWEGEN


GISELA STEINECKERT (1931)


DEINETWEGEN


Ich hab auf dieser Erde
noch nie so gern gewohnt
wie grade jetzt in diesem Sommer
der sich bis zu Ende lohnt

Nicht weil die Kirschen heuer süß wärn
wie in den frühen Kinderjahren
nicht weil die Birnen reicher reifen
und die Säfte anders gärn
nein, weil ich glücklich bin mit dir
leb ich ziemlich gut mit mir

Ich hab noch nie mich selber
so beinah ganz erkannt
wann war ich je so voll von Tollheit
hatte so mich in der Hand
Nicht weil ich viele Sterne falln seh
und hab bei jedem was gedacht
nicht weil der Tod uns ferner rückte
mit jeder lang verwachten Nacht
nein, weil ich reden kann mit dir
sprech ich nun anders auch mit mir

Ich hab in meinem Leben
nicht oft um Rat gefragt
ich stand mir selber oft im Wege
hab zu wenig laut gesagt
nun, weil ich glücklich bin mit dir
bin ich auch schwach genug für dich
mag ich mich selber, nehm mich ernster
und werd wie du und werde ich