31.3.08

GÜNTER GRASS: SONNTAGSJÄGER


GÜNTER GRASS (1927)


SONNTAGSJÄGER


Schnepfen gehen sie schießen,
tragen in farblosen Tüten
Inhalt,
in Tüten verständlich,
und langsam fettet er durch.
Mürrisch, so heißt der Hund
und hört nicht darauf.
Warum nun die Schnepfe,
die sie getroffen in ihren Inhalt,
auch mürrisch und fettet auch durch?
Farblos mürrisch die Schnepfe.
Mürrisch der Hund, der so heißt
und hört nicht darauf. -
Mürrisch rufen sie mürrisch.
Schnepfen gingen sie schießen.

30.3.08

ERICH FRIED: DIE ANFRAGE


ERICH FRIED (1921-1988)


DIE ANFRAGE


Mit Verleumdung und Unterdrückung
und Kommunistenverbot
und Todesschüssen in Notwehr
auf unbewaffnete Linke
gelang es den Herrschenden
eine handvoll empörte Empörer
Ulrike Meinhof
Horst Mahler
und einige mehr
so weit zu treiben
dass sie den Sinn verloren
für das was in dieser Gesellschaft
verwirklichbar ist
Was weiter geschah
war eigentlich zu erwarten:
Wieder Menschenjagd
Wieder Todesschüsse in Notwehr
die bekannten Justizmethoden
die bekannten Zeitungsartikel
und die Urteile gegen Horst Mahler
und gegen Ulrike Meinhof
Aber Anfrage an die Justiz
betreffend die Länge der Strafen:
Wieviel tausend Juden
muss ein Nazi ermordet haben
um heute verurteilt zu werden
zu so lange Haft?

29.3.08

LUDWIG UHLAND: LAUF DER WELT


LUDWIG UHLAND


LAUF DER WELT


An jedem Abend geh ich aus,
Hinauf den Wiesensteg.
Sie schaut aus ihrem Gartenhaus,
Es stehet hart am Weg.
Wir haben uns noch nie bestellt,
Es ist nur so der Lauf der Welt.

Ich weiß nicht, wie es so geschah,
Seit lange küß ich sie.
Ich bitte nicht, sie sagt nicht: ja!
Doch sagt sie: nein! auch nie.
Wenn Lippe gern auf Lippe ruht,
Wir hindern's nicht, uns dünkt es gut.

Das Lüftchen mit der Rose spielt,
Es fragt nicht: hast mich lieb?
Das Röschen sich am Taue kühlt,
Es sagt nicht lange: gib!
Ich liebe sie, sie liebet mich,
Doch keines sagt: ich liebe dich!

28.3.08

RICARDA HUCH: DEINE KÜSSE SIND SO


RICARDA HUCH (1864-1947)


DEINE KÜSSE SIND SO


Deine Küsse sind so:
Süß wie einst, süßer als einst.
Was du denkst, was du hoffst, was du weinst,
Was in Jahren entfloh,
Ungeküßter Küsse Glut,
Ungestillter Sehnsucht Drang,
Götterkraft, Jugendblut,
Liebe das Leben lang
Überglüht mich heiß,
Überfließt mich ganz,
Wie von den Bergen Weiß
Des Mondes fließt,
Fern ferner Sonnenglanz,
Durch Nacht versüßt.

27.3.08

WILHELM HEINRICH WACKENRODER: ARION


WILHELM HEINRICH WACKENRODER (1773-1798)


ARION


Arion schifft auf Meereswogen
Nach seiner teuren Heimat zu,
Er wird vom Winde fortgezogen
Die See in stiller, sanfter Ruh'.

Die Schiffer stehn von fern und flüstern,
Der Dichter sieht ins Morgenrot,
Nach seinen goldnen Schätzen lüstern
Beschließen sie des Sängers Tod.

Arion merkt die stille Tücke,
Er bietet ihnen all' sein Gold,
Er klagt und seufzt, daß seinem Glücke
Das Schicksal nicht wie vordem hold.

Sie aber haben es beschlossen,
Nur Tod gibt ihnen Sicherheit,
Hinab ins Meer wird er gestoßen,
Schon sind sie mit dem Schiffe weit.

Er hat die Leier nur gerettet,
Sie schwebt in seiner schönen Hand,
In Meeresfluten hingebettet
Ist Freude von ihm abgewandt.

Doch greift er in die goldnen Saiten,
Daß laut die Wölbung widerklingt,
Statt mit den Wogen wild zu streiten
Er sanft die zarten Töne singt:

Klinge Saitenspiel,
In der Flut
Wächst mein Mut,
Sterb' ich gleich, verfehl' ich nicht mein Ziel.

Unverdrossen
Komm' ich, Tod,
Dein Gebot
Schreckt' mich nicht, mein Leben ward genossen.

Welle hebt
Mich im Schimmer,
Bald den Schwimmer
Sie in tiefer, nasser Flut begräbt.

Es klang das Lied durch alle Tiefen,
Die Wogen wurden sanft bewegt,
In Abgrunds Schlüften, wo sie schliefen,
Die Seegetiere aufgeregt.

Aus allen Tiefen blaue Wunder,
Die hüpfend um den Sänger ziehn,
Die Meeresfläche weit hinunter
Beschwimmen die Tritonen grün.

Die Wellen tanzen, Fische springen,
Seit Venus aus den Fluten kam,
Man dieses Jauchzen, Wonneklingen
In Meeresvesten nicht vernahm.

Arion sieht mit trunknen Blicken
Lautsingend in das Seegewühl,
Er fährt auf eines Delphins Rücken,
Schlägt lächelnd noch sein Saitenspiel.

Des Fisches Sinn zum Dienst gezwungen,
Er naht sich schon der Felsenbank,
Er landet, hat den Fels errungen
Und singt dem Fährmann seinen Dank.

Am Ufer kniet er, dankt den Göttern,
Daß er entrann dem nassen Tod.
Der Sänger triumphiert in Wettern
Bezwingt ihn nicht Gefahr, nicht Not.

26.3.08

FRIEDERIKE MAYRÖCKER: DIE VOGEL KUTSCHE


FRIEDERIKE MAYRÖCKER (1924)


DIE VOGEL KUTSCHE


         für Christa Kühnhold

waren es Hühner Kinder Bachstelzen Buch-
staben welche an Weiher und in den Wiesen :
Wolken üppigen Wolken und Wiesen : wogend
und in welchen man sah 3 Gestalten mit strohgelben
van-Gogh-Hüten .. diese Unschuld diese Umschweife
zum See und der knisternde Blech Kübel bei verhangenem
Wetter das waren Granatäpfel nämlich Tropfen aus
einem Gewitter Himmel : aus einer Dachtraufe ein
Knattern und Nadel Instrument unerklärliches
Wetter Instrument, usw., die Lauch Gewächse und
Paraplues im Wald über den Geraniengärten wenn
man sie dem Regen überläszt dann fangen sie an
dann bluten sie nämlich der weisze Schirm wie
er in der Blumen Erde gesteckt hat : Firn– oder
Firnis Schnee auf dem Nacken, des Gebirges, an
der Kreide Tafel der griechischen Gaststätte
gegen das Tor gelehnt, stand, an der Spitze
der Speisenfolge ein Gericht wie GOTTES LAMM /
DAS LAMM GOTTES, im Kostüm des Regens und Herolds
: ein schwarzes Ästchen war so gebeugt und geknickt
nämlich vom Baum gebrochen dasz es die
Initiale des Dichters beschrieb.

25.3.08

NIKOLAUS LENAU: AN DIE ENTFERNTE


NIKOLAUS LENAU (1802-1850)


AN DIE ENTFERNTE


Diese Rose pflück ich hier,
In der fremden Ferne;
Liebes Mädchen, dir, ach dir
Brächt ich sie so gerne!

Doch bis ich zu dir mag ziehn
Viele weite Meilen,
Ist die Rose längst dahin,
Denn die Rosen eilen.

Nie soll weiter sich ins Land
Lieb von Liebe wagen,
Als sich blühend in der Hand
Läßt die Rose tragen;

Oder als die Nachtigall
Halme bringt zum Neste,
Oder als ihr süßer Schall
Wandert mit dem Weste.

23.3.08

ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF: BRENNENDE LIEBE


ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF (1797–1848)


BRENNENDE LIEBE


Und willst du wissen, warum
So sinnend ich manche Zeit,
Mitunter so töricht und dumm,
So unverzeihlich zerstreut,
Willst wissen auch ohne Gnade,
Was denn so Liebes enthält
Die heimlich verschlossene Lade,
An die ich mich öfters gestellt?

Zwei Augen hab' ich gesehn,
Wie der Strahl im Gewässer sich bricht,
Und wo zwei Augen nur stehn,
Da denke ich an ihr Licht.
Ja, als du neulich entwandtest
Die Blume vom blühenden Rain,
Und »Oculus Christi« sie nanntest,
Da fielen die Augen mir ein.

Auch gibt's einer Stimme Ton,
Tief, zitternd, wie Hornes Hall,
Die tut's mir völlig zum Hohn,
Sie folget mir überall.
Als jüngst im flimmernden Saale
Mich quälte der Geigen Gegell,
Da hört' ich mit einem Male
Die Stimme im Violoncell.

Auch weiß ich eine Gestalt,
So leicht und kräftig zugleich,
Die schreitet vor mir im Wald,
Und gleitet über den Teich;
Ja, als ich eben in Sinnen
Sah über des Mondes Aug'
Einen Wolkenstreifen zerrinnen,
Das war ihre Form, wie ein Rauch.

Und höre, höre zuletzt,
Dort liegt, da drinnen im Schrein,
Ein Tuch mit Blute genetzt,
Das legte ich heimlich hinein.
Er ritzte sich nur an der Schneide,
Als Beeren vom Strauch er mir hieb,
Nun hab' ich sie alle beide,
Sein Blut und meine brennende Lieb'.

22.3.08

JOHANNES R. BECHER: EXIL


JOHANNES R. BECHER (1891-1958)

EXIL


Ihr, die ihr in die Heimat wiederkehrt,
Verbannte, ihr, die ihr den jahrenlangen
Endlosen Weg zu Ende seid gegangen
Und habt nur eins, der Rückkehr Tag, begehrt -

Und ihr,Verbannte auch, die ihr voll Bangen
Habt ausgeharrt und habt euch still gewehrt,
Vor langem Warten müd und ausgezehrt,
Inmitten eures eigenen Volks gefangen -

Seid ihr gewarnt und seht das Transparent:
>> Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!
Wenn der Verbannung Fluch euch nicht erkennt,

Treibt ihr wie vormals ein verlorenes Spiel.
Bevor aus Deutschland wir vertrieben waren,
Wir lebten schon seit Jahren im Exil.

21.3.08

GEORG HEYM : DIE NEUEN HÄUSER


GEORG HEYM (1887-1912)


DIE NEUEN HÄUSER


Im grünen Himmel, der manchmal knallt
Vor Frost im rostigen Westen,
Wo noch ein Baum mit den Ästen
Schreit in den Abend, stehen sie plötzlich, frierend und kalt,
Wie Pilze gewachsen, und strecken in ihren Gebresten
Ihre schwarzen und dünnen Dachsparren himmelan,
Klappernd in ihrer Mauern schäbigem Kleid
Wie ein armes Volk, das vor Kälte schreit.
Und die Diebe schleichen über die Treppen hinan,
Springen oben über die Böden mit schlenkerndem Bein,
Und manchmal flackert heraus ihr Laternenschein.

20.3.08

ALFRED LICHTENSTEIN: DIE STADT


ALREDD LICHTENSTEIN (1889-1914)


DIE STADT


Ein weißer Vogel ist der große Himmel.
Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.
Die Häuser sind halbtote alte Leute.

Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel.
Und Winde, magre Hunde, rennen matt.
An scharfen Ecken quietschen ihre Häute.

In einer Straße stöhnt ein Irrer: Du, ach, du -
Wenn ich dich endlich, o Geliebte, fände...
Ein Haufen um ihn staunt und grinst voll Spott.

Drei kleine Menschen spielen Blindekuh -
Auf alles legt die grauen Puderhände
Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott.

19.3.08

LUDWIG TIECK: WANDERN


LUDWIG TIECK (1773-1853 )


WANDERN


Wohlauf! es ruft der Sonnenschein
Hinaus in Gottes Welt!
Geht munter in das Land hinein,
Und wandert über Feld!
Es bleibt der Strom nicht ruhig stehn,
Gar lustig rauscht er fort;
Hörst du des Windes muntres Wehn?
Er braust von Ort zu Ort.

Es reist der Mond wohl hin und her,
Die Sonne ab und auf,
Guckt überm Berg und geht ins Meer,
Nie matt in ihrem Lauf:
Und Mensch, du sitzest stets daheim,
Sehnst dich nicht nach der Fern'?
Sei frisch, und wandle durch den Hain
Und sieh die Fremde gern.

Wer weiß, wo dir dein Glücke blüht,
So geh und such es nur!
Der Abend kommt, der Morgen flieht,
Betrete bald die Spur.
So weit dich schließt der Himmel ein,
Gerät der Liebe Frucht,
Und jedes Herz wird glücklich sein
Und finden, was es sucht.

18.3.08

HILDE DOMIN: FRANZOSISCHER GOBELIN


HILDE DOMIN (1909-2006)


FRANZOSISCHER GOBELIN


Ach Liebster verzeih
daß meine Augen so blau sind,
sie sind nur ein zärtlicher Spiegel
für deine braunen.
Vergib meine strahlende Weiße,
sie ist nur dein hellstes Bett.

Der Falke meines Verstands
fliegt für dich auf die Jagd.
Sieh, alle meine Tiere
sind so bescheiden zu Diensten
als wären sie in den Teppich
zu deinen Füßen gewebt.

17.3.08

CHRISTINE LAVANT: ICH KÖNNTE VIELLEICHT EIN GEHEIMNIS HABEN


CHRISTINE LAVANT (1915-1973)


ICH KÖNNTE VIELLEICHT EIN GEHEIMNIS HABEN


Ich könnte vielleicht ein Geheimnis haben
mit der breitmächtigen Frau im gehäkelten Tuch,
die sich zwischen den Bahnschienen sonnt
und hinterhältig und grundgutmütig
die Vorstandhühner an sich lockt.
Meine Mutter war wie ein Beichtstuhl für sie
und hat auch ihre Kinder gewandet,
die zahllosen Kinder der Weibin dort,
um Gottes Lohn - meine schmächtige Mutter.
Dafür soll die Frau ihr Geheimnis sagen.
Ich hege Hoffnung zu diesem Geheimnis,
das ganz und gar sich von dieser Welt
aufrechterhält und die Huhnsprache kennt
und vielleicht auch die Wurzel der Würde.
Heimsuchen will ich die mächtige Frau -
sie wird ihre Hühner vom Küchentisch scheuchen,
den Stuhl abwischen und ehrfürchtig tun
und verborgen sich meiner erbarmen.

16.3.08

WALTHER VON DER VOGELWEIDE: UNDER DER LINDEN


WALTHER VON DER VOGELWEIDE (um 1170-1230)


UNDER DER LINDEN


Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.

Ich kam gegangen
zuo der ouwe:
dô was mîn friedel komen ê.
dâ wart ich empfangen
hêre frouwe
daz ich bin sælic iemer mê.
kust er mich? wol tûsentstunt:
tandaradei,
seht wie rôt mir ist der munt.

Dô hete er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
bî den rôsen er wol mac
tandaradei,
merken wâ mirz houbet lac.

Daz er bî mir læge,
wesse ez iemen
(nu enwelle got!), so schamte ich mich.
wes er mit mir pflæge,
niemer niemen
bevinde daz wan er und ich
und ein kleinez vogellîn:
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.

15.3.08

MAX HERMANN-NEISSE: TÜRME IN DER GROSSEN STADT


MAX HERMANN-NEISSE (1886-1941)


TÜRME IN DER GROSSEN STADT


Wir wollen uns immer die Hände reichen
über Patina- Grün und Lichter- Flug,
doch unsrer ehernen Zungen Zeichen
(Wo ist die Stille, die einst uns trug?)
haben sich nie vereint,
immer war irgendein Feind
zwischen uns: Räderspeichen,
Autohupen, Reklamen, ein Stadtbahnzug!

Wir starren, verdorrte Bäume, in Schwüle
(Manchmal schwebt uns ein Luftschiff nach...)
dürstend nach der Sterne Kühle
und der Wolken Gloria.
Rauch erdrosselt weh
unser: Kyrie!
und wie Henkerstühle
stehn Plätze; Drähte sind wie Mördernetze da.
Über uns kommen Nachtmanöver, Kanonen,
wir möchten ausschlagen wie auf dem Wall
junge Pferde, aber wir müssen uns schonen
und stehen immer wie im Stall.
Goldner Kreuze Last
liegt auf uns verhaßt.
Wo unsre Brüder wohnen,
wissen wir nicht. In Scherben zerschellt unsrer einsamen
Stimmen Schall...

Unsre Leiber sinken verloren, erbleichen
bei Patina- Grün und Lichter- Flug.
Wir liegen wie einbalsamierte Leichen,
ewiger Krieg tausend Wunden uns schlug.
Sind nie vereint,
immer trennt und ein Feind,
daß wir uns nie erreichen -
wo ist die Stille, die einst uns trug,
... und ertrug?

2.3.08

RAINER MARIA RILKE: DER TOD DES DICHTERS


RAINER MARIA RILKE (1875-1926)


DER TOD DES DICHTERS


Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war
bleich und verweigernd in den steilen Kissen,
seitdem die Welt und dieses von-ihr-Wissen,
von seinen Sinnen abgerissen,
zurückfiel an das teilnahmslose Jahr.

Die, so ihn leben sahen, wußten nicht,
wie sehr er Eines war mit allem diesen;
denn Dieses: diese Tiefen, diese Wiesen
und diese Wasser waren sein Gesicht.

O sein Gesicht war diese ganze Weite,
die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt;
und seine Maske, die nun bang verstirbt,
ist zart und offen wie die Innenseite
von einer Frucht, die an der Luft verdirbt.

1.3.08

HUGO VON HOFMANNSTHAL: DIE BEIDEN


HUGO VON HOFMANNSTHAL (1874-1929)


DIE BEIDEN


Sie trug den Becher in der Hand -
Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.