2.10.16

HANS MAGNUS ENZENSBERGER: FEHLER




HANS MAGNUS ENZENSBERGER


FEHLER

Nebenan spielt ein Kind Pour Elise.
Man hört den Fehler, immer wieder von vorn.
Das Dogma von der Unfehlbarkeit
war ein Fauxpas. Es ist ein fataler Patzer
des Parasiten, den Wirt zu töten.
Man nennt das auch Globalisierung.

Schamhaft verbirgt sich der entscheidende Fehler
in einer Düne von geringfügigen Irrtümern
und geht darin unter. An warnenden Stimmen
hat es noch nie gefehlt, die sagen:
Die Welt ist das Unkorrigierbare.

Rührende Reparaturversuche, Flicken,
Plomben, Reformen, Verbesserungen
mit roter Tinte und Pentimenti
führen zu vollkommen neuen Schnitzern.

Gewiß, Geburtsfehler und Fehlgeburten,
das sind zwei Paar Stiefel.
Doch auch die Leistung geht fehl,
die Farbe, die Bitte, der Start,
der Tritt und die Zündung.

Eine Milchstraße von Verirrungen,
die wundernimmt. Aufs Ganze gesehen,
entsteht daraus ein Mirakel.

Fehler um jeden Preis zu vermeiden,
das wäre verfehlt.
Man gesteht ja, räumt ein,
daß man sich vertan hat,
verschrieben, verrannt.

Manche Gedichte zum Beispiel
wären vollkommen,
hätte sie vor diesem Los
nicht ein winziger Fehler bewahrt.

Aus Versehen ist man glücklich,
zuweilen, einen Moment lang,
aus Versehen. Aber etwas fe
hlt.