29.12.10

ERNST WILHELM LOTZ: IN DEINEM ZIMMER




ERNST WILHELM LOTZ (1890-1914)






IN DEINEM ZIMMER




In deinem Zimmer fand ich meine Stätte,


In deinem Zimmer weiß ich, wer ich bin.


Ich liege tagelang in deinem Bette


Und schmiege meinen Körper an dich hin.




Ich fühle Tage wechseln und Kalender


Am Laken, das uns frisch bereitet liegt,


Ich staune manchmal still am Bettgeländer,


Wie himmlisch lachend man die Zeit besiegt.




Bisweilen steigt aus fernen Straßen unten


Ein Ton zu unserm Federwolkenraum,


Den schlingen wir verschlafen in die bunten


Gobelins, gewirkt aus Küssen, Liebe, Traum.

28.12.10

HEINRICH HEINE: DAS HOHELIED


HEINRICH HEINE (1797-1856)


DAS HOHELIED


Des Weibes Leib ist ein Gedicht,
Das Gott der Herr geschrieben
Ins große Stammbuch der Natur,
Als ihn der Geist getrieben.

Ja, günstig war die Stunde ihm,
Der Gott war hochbegeistert;
Er hat den spröden, rebellischen Stoff
Ganz künstlerisch bemeistert.

Fürwahr, der Leib des Weibes ist
Das Hohelied der Lieder;
Gar wunderbare Strophen sind
Die schlanken, weißen Glieder.

O welche göttliche Idee
Ist dieser Hals, der blanke,
Worauf sich wiegt der kleine Kopf,
Der lockige Hauptgedanke!

Der Brüstchen Rosenknospen sind
Epigrammatisch gefeilet;
Unsäglich entzückend ist die Zäsur,
Die streng den Busen teilet.

Den plastischen Schöpfer offenbart
Der Hüften Parallele;
Der Zwischensatz mit dem Feigenblatt
Ist auch eine schöne Stelle.

Das ist kein abstraktes Begriffspoem!
Das Lied hat Fleisch und Rippen,
Hat Hand und Fuß; es lacht und küßt
Mit schöngereimten Lippen.

Hier atmet wahre Poesie!
Anmut in jeder Wendung!
Und auf der Stirne trägt das Lied
Den Stempel der Vollendung.

Lobsingen will ich dir, o Herr,
Und dich im Staub anbeten!
Wir sind nur Stümper gegen dich,
Den himmlischen Poeten.

Versenken will ich mich, o Herr,
In deines Liedes Prächten;
Ich widme seinem Studium
Den Tag mitsamt den Nächten.

Ja, Tag und Nacht studier ich dran,
Will keine Zeit verlieren;
Die Beine werden mir so dünn –
Das kommt vom vielen Studieren.

26.12.10

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: KURZ UND GUT


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)


KURZ UND GUT


Sollt ich mich denn so ganz an sie gewöhnen?
Das wäre mir zuletzt doch reine Plage.
Darum versuch ichs gleich am heutgen Tage
Und nahe nicht dem vielgewohnten Schönen.

Wie aber mag ich dich, mein Herz, versöhnen,
Daß ich im wichtigen Fall dich nicht befrage?
Wohlan! Komm her! Wir äußern unsre Klage
In liebevollen, traurig heitern Tönen.

Siehst du, es geht! Des Dichters Wink gewärtig,
Melodisch klingt die durchgespielte Leier,
Ein Liebesopfer traulich darzubringen.

Du denkst es kaum, und sieh, das Lied ist fertig!
Allein was nun? – Ich dächt: im ersten Feuer
Wir eilten hin, es vor ihr selbst zu singen.

25.12.10

BERTOLT BRECHT: LIED EINER DEUTSCHEN MUTTER


BERTOLT BRECHT


LIED EINER DEUTSCHEN MUTTER


Mein Sohn, ich hab dir die Stiefel
Und dies braune Hemd geschenkt:
Hätt ich gewußt, was ich heute weiß
Hätt ich lieber mich aufgehängt.

Mein Sohn, als ich deine Hand sah
Erhoben zum Hitlergruß
Wußte ich nicht, daß dem, der ihn grüßet
Die Hand verdorren muß.

Mein Sohn, ich hörte dich reden
Von einem Heldengeschlecht.
Wußte nicht, ahnte nicht, sah nicht:
Du warst ihr Folterknecht.

Mein Sohn, und ich sah dich marschieren
Hinter dem Hitler her
Und wußte nicht, daß, wer mit ihm auszieht
Zurück kehrt er nimmermehr.

Mein Sohn, du sagtest mir, Deutschland
Wird nicht mehr zu kennen sein.
Wußte nicht, es würd werden
Zu Asche und blutigem Stein.

Sah das braune Hemd dich tragen
Habe mich nicht dagegen gestemmt.
Denn ich wußte nicht, was ich heut weiß:

Es war dein Totenhemd.

19.12.10

RAINER MARIA RILKE: ZUM FEST


RAINER MARIA RILKE (1875-1926)


ZUM FEST


Heut sind wir endlich allein, und von Gästen
droht uns ganz sicher heut keine Gefahr.
Schmück dich, mein Kind, zu der Liebe Festen,
rote Rosen stehn dir am besten,
rote Rosen steck dir ins Haar.

Und das Kleid nimm aus Großmutters Tagen,
mit den Ärmeln luftig gepufft.
Einmal kamst du mirs selber sagen:
Großmutter hats bei der Hochzeit getragen. -
Und in den Falten liegt noch der Duft.

6.12.10

BERTOLT BRECHT: GEGEN DIE OBJEKTIVEN


BERTOLT BRECHT


GEGEN DIE OBJEKTIVEN


Wenn die Bekämpfer des Unrechts
Ihre verwundeten Gesichter zeigen
Ist die Ungeduld derer, die in Sicherheit waren
Groß.

Warum beschwert ihr euch, fragen sie
Ihr habt das Unrecht bekämpft! Jetzt
Hat es euch besiegt: schweigt also!

Wer kämpft, sagen sie, muß verlieren können
Wer Streit sucht, begibt sich in Gefahr
Wer mit Gewalt vorgeht
Darf die Gewalt nicht beschuldigen.

Ach, Freunde, die ihr gesichert seid
Warum so feindlich? Sind wir
Eure Feinde, die wir Feinde des Unrechts sind?
Wenn die Kämpfer gegen das Unrecht besiegt sind
Hat das Unrecht doch nicht recht!!

Unsere Niederlagen nämlich
Beweisen nichts, als daß wir zu
Wenige sind
Die gegen die Gemeinheit kämpfen
Und von den Zuschauern erwarten wir
Daß sie wenigstens beschämt sind!

3.12.10

HEINRICH SEIDEL: AN MEINE KÖNIGIN


HEINRICH SEIDEL (1842-1906)


AN MEINE KÖNIGIN


Ich flocht dir eine Krone
Von Lindenlaub in's Haar,
Und du auf grünem Throne
Regiertest wunderbar.

Es war dein lieblich Scepter
Ein lichter Blüthenzweig -
Es kniete dir zu Füßen
Dein Unterthan im Reich.

Wie dien' ich dir so gerne -
Wie milde ist dein Sinn -
Wie lieblich ist dein Herrschen,
Du holde Königin.