9.6.12

HERMANN CONRADI: DAS ENDE VOM LIEDE



HERMAN CONRADI (1862-1890)


DAS ENDE VOM LIEDE

Vergessen können  ja! Das ist die Kunst,
Von allen Künsten dieser Welt die erste
Von allen Künsten dieser Welt die schwerste,
Und bist du ihrer Herr, ist alles Dunst.

Ist alles Wurst, was jemals du gewesen,
Was du geliebt, gehaßt, getan, gefehlt, gewollt,
Ob sich dein Leben prunkvoll aufgerollt,
Ob du für andre warst bequemer Besen.

Ob Sklave oder Herr  dann ist's egal,
Vergessen können  und nicht dran ersticken,
Hinunterschlucken, lachen, weiterkrücken,
Ins Leben weiter noch ein dutzendmal.

Dann tut's ja nichts!  Nun gut! Ich will's probieren,
Den letzten Lorbeerkranz will ich entblättern,
Das letzte Amulett will ich zerschmettern,
Wie man vergißt, will ich genau studieren.

Und eines Tages dann  ist mir's geglückt,
Ich atme auf in grenzenloser Leere
Und breche in die Knie und bete: Kehre,
O kehre wieder, die du mich entzückt:

Geliebte Sünde, die ich froh beging
Geliebte Reue, die ich kühn genossen.
Gemach, mein Freund! Dein Schicksal ist beschlossen
Und um dich schürzt sich des Vergessens Ring.

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