6.1.17

GOTTFRIED BENN: DER DUNKLE




GOTTFRIED BENN


DER DUNKLE

I.

Ach, gäb er mir zurück die alte Trauer,
die einst mein Herz so zauberschwer umfing,
da gab es Jahre, wo von jeder Mauer
ein Tränenflor aus Tristanblicken hing.

Da littest du, doch es war Auferstehung,
da starbst du hin, doch es war Liebestod,
doch jetzt bei jedem Schritt und jeder Drehung
liegen die Fluren leer und ausgeloht.

Die Leere ist wohl auch von jenen Gaben,
in denen sich der Dunkle offenbart,
er gibt sie dir, du mußt sie trauernd haben,
doch diese Trauer ist von anderer Art.


II.

Auch laß die Einsamkeiten größer werden,
nimm dich zurück aus allem, was begann,
reihe dich ein in jene Weideherden,
die dämmert schon die schwarze Erde an.

Licht ist von großen Sonnen, Licht ist Handeln,
in seiner Fülle nicht zu überstehn,
ich liebe auch den Flieder und die Mandeln
mehr in Verschleierung zur Blüte gehn.

Hier spricht der Dunkle, dem wir nie begegnen,
erst hebt er uns, indem er uns verführt,
doch ob es Träume sind, ob Fluch, ob Segnen,
das läßt er alles menschlich unberührt.


III.

Gemeinsamkeit von Geistern und von Weisen,
vielleicht, vielleicht auch nicht, in einem Raum,
bestimmt von Ozean und Wendekreisen
das ist für viele ein erhabner Traum.

Mythen bei Inkas und bei Sansibaren,
die Sintflutsage rings und völkerstet –
doch keiner hat noch etwas je erfahren,
das vor dem Dunklen nicht vorübergeht.


IV.

Grau sind die Hügel und die Flüsse grau,
sie tragen schon Urahnen aller Jahre,
und nun am Ufer eine neue Frau
gewundene Hüften, aufgedrehte Haare.

Und auf der Wiese springen Stiere an,
gefährdend jedes, mit dem Horn zerklüften,
bis in die Koppel tritt geklärt ein Mann,
der bändigt alles, Hörner, Haare, Hüften.

Und nun beginnt der enggezogene Kreis,
der trächtige, der tragische, der schnelle,
der von der großen Wiederholung weiß –
und nur der Dunkle harrt auf seiner Stelle.

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