31.8.16

AUGUST VON PLATTEN: TRISTAN




AUGUST VON PLATEN


TRISTAN

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheimgegeben,
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,
Und doch wird er vor dem Tode beben,
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen!

Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe,
Denn ein Tor nur kann auf Erden hoffen,
Zu genügen einem solchen Triebe:
Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,
Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!

Ach, er möchte wie ein Quell versiechen,
Jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen
Und den Tod aus jeder Blume riechen:
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!

30.8.16

PAUL CELAN: DEIN HAAR ÜBERM MEER




PAUL CELAN





DEIN HAAR ÜBERM MEER


Es schwebt auch dein Haar überm Meer mit dem goldnen Wacholder.
Mit ihm wird es weiß, dann färb ich es steinblau:
die Farbe der Stadt, wo zuletzt ich geschleift ward gen Süden…
Mit Tauen banden sie mich und knüpften an jedes ein Seigel
und spieen mich an aus nebligen Mäulern und sangen:
«O komm übers Meer!»
Ich aber malt als ein Kahn die Schwingen mir purpurn
und röchelte selbst mir die Brise und stach, eh sie schliefen, in See.
Ich sollte sie rot dir mm färben, die Locken, doch lieb ich sie steinblau:
O Augen der Stadt, wo ich stürzte und südwärts geschleift ward!
Mit dem goldnen Wacholder schwebt auch dein Haar überm Meer.

29.8.16

FRIEDRICH HÖLDERLIN: LEBENSGENUSS




FRIEDRICH HÖLDERLIN


LEBENSGENUSS

Noch kehrt in mich der süße Frühling wieder,
Noch altert nicht mein kindischfröhlich Herz,
Noch rinnt vom Auge mir der Tau der Liebe nieder,
Noch lebt in mir der Hoffnung Lust und Schmerz.

Noch tröstet mich mit süßer Augenweide
Der blaue Himmel und die grüne Flur,
Mir reicht die Göttliche den Taumelkelch der Freude,
Die jugendliche, freundliche Natur.
Getrost! Es ist der Schmerzen wert, dies Leben
Solang uns Armen Gottes Sonne scheint
Und Bilder bessrer Zeit um unsre Seele schweben
Und, ach, mit uns ein freundlich Auge weint.

28.8.16

INGEBORG BACHMANN: ERKLÄR MIR, LIEBE




INGEBORG BACHMANN 


ERKLÄR MIR, LIEBE

Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,

dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –

Erklär mir, Liebe!


Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,

die Taube schlägt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

Der Fisch errötet, überholt den Schwarm

und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit; 
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

Erklär mir, Liebe!


Wasser weiß zu reden,

die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!

Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!


Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:

sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermisst?

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn…

Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

15.8.16

WOLFGANG BORCHERT: DAS GRAUROTGRÜNE GROSSSTADTLIED




WOLFGANG BORCHERT


DAS GRAUROTGRÜNE GROSSSTADTLIED

Rote Münder, die aus grauen Schatten glühn,
girren einen süßen Schwindel.
Und der Mond grinst goldigrün
durch das Nebelbündel.

Graue Straßen, rote Dächer,
mittendrin mal grün ein Licht.
Heimwärts gröhlt ein später Zecher
mit verknittertem Gesicht.

Grauer Stein und rotes Blut –
morgen früh ist alles gut.
Morgen weht ein grünes Blatt
über einer grauen Stadt.