27.1.16

GOTTFIED BENN: KREISLAUF


GOTTFRIED BENN


KREISLAUF

Der einsame Backzahn einer Dirne,
die unbekannt verstorben war,
trug eine Goldplombe.
Die übrigen waren wie auf stille Verabredung
ausgegangen.
Den schlug der Leichendiener sich heraus,
versetzte ihn und ging für tanzen.
Denn, sagte er,
nur Erde solle zur Erde werden.

1912

25.1.16

WILHELM BUSCH: DER HUMORVOLLE VOGEL




WILHELM BUSCH (1832-1908)


DER HUMORVOLLE VOGEL

Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
Er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
Die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
Kommt er dem armen Vogel näher.
Der Vogel denkt: Weil das so ist
Und weil mich doch der Kater frißt,
So will ich keine Zeit verlieren,
Will noch ein wenig quinquilieren
Und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.

19.1.16

INGEBORG BACHMANN: ALLE TAGE




INGEBORG BACHMANN


ALLE TAGE

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.

Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.

Er wird verliehen
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.

13.1.16

GUSTAV FALKE: HASENJAGD




GUSTAV FALKE (1853-1916)


HASENJAGD
 
Rische, rasche, rusche,
der Hase sitzt im Busche.
Wolln wir mal das Leben wagen,
wolln wir mal den Hasen jagen?
 
Rusche, rasche rische,
der Hase sitzt bei Tische.
Siehst du dort im grünen Kohl ihn?
Flink, nun lauf mal hin und hol ihn!
 
Rische, rusche, rasche,
hast ihn in der Tasche?
Was? Ist in das Feld gegangen?
Ätsch! Kann nicht mal Hasen fangen!

10.1.16

HERMANN HESSE: ICH BIN EIN STERN




HERMANN HESSE


ICH BIN EIN STERN

Ich bin ein Stern am Firmament,
Der die Welt betrachtet, die Welt verachtet,
Und in der eignen Glut verbrennt.

Ich bin das Meer, das nächtens stürmt,
Das klagende Meer, das opferschwer
Zu alten Sünden neue türmt.

Ich bin von Eurer Welt verbannt
Vom Stolz erzogen, vom Stolz belogen,
Ich bin der König ohne Land.

Ich bin die stumme Leidenschaft,
Im Haus ohne Herd, im Krieg ohne Schwert,
Und krank an meiner eignen Kraft.

5.1.16

GEORG TRAKL: DE PROFUNDIS




GEORG TRAKL


DE PROFUNDIS

Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt.
Es ist ein brauner Baum, der einsam dasteht.
Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist –
Wie traurig dieser Abend.


Am Weiler vorbei
Sammelt die sanfte Waise noch spärliche Ähren ein.
Ihre Augen weiden rund und goldig in der Dämmerung
Und ihr Schoß harrt des himmlischen Bräutigams.


Bei ihrer Heimkehr
Fanden die Hirten den süßen Leib
Verwest im Dornenbusch.


Ein Schatten bin ich ferne finsteren Dörfern.
Gottes Schweigen
Trank ich aus dem Brunnen des Hains.


Auf meine Stirne tritt kaltes Metall.
Spinnen suchen mein Herz.
Es ist ein Licht, das meinen Mund erlöscht.


Nachts fand ich mich auf einer Heide,
Starrend von Unrat und Staub der Sterne.
Im Haselgebüsch
Klangen wieder kristallne Engel.