9.6.12

HERMANN CONRADI: DAS ENDE VOM LIEDE



HERMAN CONRADI (1862-1890)


DAS ENDE VOM LIEDE

Vergessen können  ja! Das ist die Kunst,
Von allen Künsten dieser Welt die erste
Von allen Künsten dieser Welt die schwerste,
Und bist du ihrer Herr, ist alles Dunst.

Ist alles Wurst, was jemals du gewesen,
Was du geliebt, gehaßt, getan, gefehlt, gewollt,
Ob sich dein Leben prunkvoll aufgerollt,
Ob du für andre warst bequemer Besen.

Ob Sklave oder Herr  dann ist's egal,
Vergessen können  und nicht dran ersticken,
Hinunterschlucken, lachen, weiterkrücken,
Ins Leben weiter noch ein dutzendmal.

Dann tut's ja nichts!  Nun gut! Ich will's probieren,
Den letzten Lorbeerkranz will ich entblättern,
Das letzte Amulett will ich zerschmettern,
Wie man vergißt, will ich genau studieren.

Und eines Tages dann  ist mir's geglückt,
Ich atme auf in grenzenloser Leere
Und breche in die Knie und bete: Kehre,
O kehre wieder, die du mich entzückt:

Geliebte Sünde, die ich froh beging
Geliebte Reue, die ich kühn genossen.
Gemach, mein Freund! Dein Schicksal ist beschlossen
Und um dich schürzt sich des Vergessens Ring.

8.6.12

WOLFGANG WEYRAUCH: GESANG UM NICHT ZU STERBEN


WOLFGANG WEYRAUCH (1904-1980)


GESANG UM NICHT ZU STERBEN

Gesang, in Augenblicken
von keinem Laut bewegt,
wenn Schattenhäupter nicken,
vom Schattenrumpf gesägt,

Gesang, in Sand geschrieben,
weil das Papier zerriß -
wird auch der Sand zerrieben,
weil Tritium ihn biß?

Gesang, um nicht zu sterben,
Gesang, nachdem ich schlief -
selbst Staub und Tang und Scherben
sind radio-aktiv.

Gesang, die Frage stellend,
weshalb, seit wann und wie
ein Fisch, zum Maste schnellend,
gefoltert Sätze schrie?

Gesang, daß Wasserzeichen
nicht schwemmen in die Stadt,
dass keine Haie laichen
diesseits von Meer und Watt,

Gesang, kein Grab zu graben,
wenn Angst die Schaufel lenkt,
eh Trümmerfrauen haben
die Tücher aufgehängt.

Gesang, gesungen gegen
den Splitter in den Flaum -
verhört in den Gehegen,
verstummen Lied und Traum,

Gesang, Schalmei und Flöte -
die Kinder wandern aus,
der Hauch der Morgenröte
verläßt das alte Haus.

Gesang, um nicht zu sterben,
Gesang, nachdem ich schlief;
es zittert das Verderben,
gefangen, schwarz und tief.

7.6.12

LUDWIG FULDA: DIE ERSCHAFFUNG DES WEIBES



LUDWIG FULDA (1862-1939)


DIE ERSCHAFFUNG DES WEIBES
(Nach einer indischen Legende)

Brahma, Schöpfer alles Lebens,
Saß und sann im Weltenmai,
Sann und grübelte vergebens,
(seufzend:)
Wie das "W e i b" zu schaffen sei.
Denn als er den M a n n geschaffen,
Hatte seine Meisterhand
Alle festen alle straffen
Elemente schon verwandt.-
(Fragend:)
Wie das neue Werk beginnen,
Da kein Stoff mehr übrig war?
Erst nach langem, tiefem Sinnen,
Ward's ihm endlich offenbar:
(Tempo)
Und er nahm der Blume Sammet
Und den frommen Blick des Rehs
Und die Glut, die lodernd flammet,
Und den kalten Hauch des Schnees;
Nahm den schlanken Wuchs der Gerte
Und des Windes Flattersucht,
Und des Diamanten Härte
Und die Süßigigkeit der Frucht;
Nahm den zarten Schmelz vom Laube
Und den Flaum vom Sperlingskleid,
(weich:)
Das Gegirr der Turteltaube
(grausam:)
Und des Tigers Grausamkeit;
Und vom morgendlichen Rasen
Nahm er Tränenfluß des Taus,
Nahm die Furchtsamkeit des Hasen
Und die Eitelkeit des Pfaus;
Nahm vom Schilfe das Gezitter
Und des Vollmonds schwelllend Rund
Und des Sonnenstrahles Flitter
Und des Hähers Plappermund;
Nahm der Kletterpflanze Schlingen,
Nahm der Schlange Wellenleib,
(mit gewisser gläubiger Begeisterung:)
Und aus a l l e n diesen Dingen
Schuf der Weltenherr das - "W e i b". -
Und dem Manne zum Genossen
gab er es mit güt'gem Sinn;
(aufgeregt:)Doch bevor ein Mond verflossen,
Trat der Mann vor Brahma hin,
(verlegen)
Und er sprach: O Herr, das Wesen,
Das du mir so gnadenvoll
Zur Gesellschaft hast erlesen,
Macht mich elend, macht mich toll.
Ach, es p l a p p e r t Tag'und Nächte,
Raubt mir S c h l a f und Z e i t und R u h ',
F o r d e r t viel, doch n i e das
R e c h t e,
Stört und quält mich immerzu.
(verzweifelt:)
Es vergiftet mir mein Leben,
Es zertrümmert mir mein Glück
(flehend:)
D u , der mir das Weib gegeben,
Großiger Brahma, n i m m 's   z u r ü c k !
(Erzählend:)
- Brahma tat nach seiner Bitte;
Doch nach einer Woche schon,
trat der Mann mit raschem Schritte
Wiederum vor seinen Thron.
(Furchtsam:)
"Herr", so sprach er scheu bekommen,
"Meines Jammers dich erbarm".
(Als sei es ihm selbst unverständlich:)
Seit mir dies Geschöpf genommen,
Ward mein Leben leer und arm.
(Sinnlich:)
Ach, gedenken muß ich täglich,
Wie dies Wesen tanzt'und sang,
Wie's mich ansah, herzbeweglich
Und mit weichem Arm umschlang,
Die geschmeidig sanften Glieder
Und das liebliche Gesicht.
(Bittend:)
Brahma, gib das Weib mir w i e d e r ,
(jauchzend:)
Meines Lebens Lust und Licht!"
(Erzählend:)
Brahma stillte sein Verlangen
Doch drei Tage kaum vergangen
Kam der Mann mit bleichen Wangen
Abermals zurück und sprach:
(zerknirscht:)
"Sieh mich, Herr, voll bitt'rer Reue!
Ach, ich war ein blinder Tor;
Seit das Weib mir ward aufs n e u e ,
Bin ich ä r m e r als zuvor.
(Entschlossener Trotz:)
Niemals wieder mich betrügen
Wird ihr Lächeln und ihr Kuß
(kleinlaut:)
Winzig klein ist das Vergnügen,
(bedeutungsvoll:)
Riesengroß ist der Verdruß.
Ach, mir blieb kein Hoffnungsschimmer;
Drum erhör'mich, großiger Gott;
(flehend:)
N i m m   d a s   W e i b   m i r   a b
f ü r    i m m e r ! "
(Streng, zornig:)
Brahma forsch: "Bin ich dein Spott?!
(Befehlend:)
Scher'dich heim! Für deine Klagen
Bleibt mein Ohr fortan verschanzt;
Lern's so gut es geht, ertragen,
Was Du nicht entbehren kannst."
(Seufzend:)
Traurig schlich der Mann von hinnen,
Und im Wandern seufzt'er bang':
"Großiger Brahma, nicht entrinnen
Werd' ich meinem Untergang.
Was du mir heraufbeschworen
Durch das Weib, verschmerz'ich nie;
B e i d e m a l bin ich v e r l o r e n -
M i t ihr - - - oder o h n e sie."