30.5.16

FRIEDRICH VON SCHLEGEL: AN HELIODORA




FRIEDRICH VON SCHLEGEL


AN HELIODORA

Aus tiefem Herzen wollte Liebe dringen,
Im Grün der Jugend flammte hoch der Mut
Durch lichte Kraft die Sterne zu erringen.
Doch brannte bald der Geist in eigner Glut,
Verachtend wandt' er sich von allen Dingen,
Zum Raub gegeben seiner Sehnsucht Wut.
Da klang der dunkeln Tugend Lichtgebot:
Befrei' dich Freier selbst, durch heil'gen Tod.

Kraft dieses Strahls ward ich mir neu gegeben.
Des Todes Liebe heilt des Lebens Wunde,
Aus der Vernichtung blitzt das höchste Leben.
Die große Bildung wuchs auf sicherm Grunde;
Was herrlich war und sein wird, faßt' im Streben
Kunstlieb' und Heldenstolz im festen Bunde.
Der Wissenschaften Geist in Einem Bilde
Erschien dem Zauberrufe schön und milde.

Da wird ein Feuer aus den alten Funken.
Die Brüder, die mich schonend oft ertragen,
Wenn in der Freundschaft Urbild ich versunken,
So grenzenlos begehrt' ohn' es zu sagen,
Sie sind mit mir von gleicher Liebe trunken;
Wir alle hoffen, es soll göttlich tagen.
Zum Scherz belebt den Kreis der Frauen Güte,
Auch mich erfreut des Witzes zarte Blüte.

Du warst mir Morgensonne, Heliodora!
Aus deinem Lichte sog ich neue Glut;
Du bist mir Lebensquelle, Heliodora!
Durch deren Kraft der alte Schmerz nun ruht;
Blüh' auf, du Wunderblume, Heliodora!
Zur ew'gen Poesie hauch' ew'gen Mut.
Ich will nicht länger mit dem Schicksal rechten,
Zu schönem Kranz nur schöne Zweige flechten.

Doch wollen mit Vernunft wir vorwärts schreiten;
Verstand erkenne, was die Lust begonnen.
Durch Klugheit seh' ich selbst die besten gleiten,
Verworrne List ist gar zu bald zerronnen;
Sie irren von sich selbst in ferne Weiten
Und haben nichts als ihre Müh' gewonnen.
Zeigt Weisheit sich in törichtem Gewande,
So kommt der Dumme leichtlich von Verstande.

Die schwangre Zukunft rauscht mit mächt'gem Flügel,
Ich öffne meiner Lebensbahn die Schranken,
Schau in des klaren Geistes tiefsten Spiegel;
Da kämpf' ich, Werke bildend sonder Wanken,
Entreiße jeder Wissenschaft das Siegel,
Verkünd'ge Freunden heilige Gedanken,
Und stifte allen Künsten einen Tempel,
Ich selbst von ihrem Bund ein neu Exempel.

Will das Geschick mich aber früh zerschlagen,
So sinken wir in Einer Todesflut;
Der bunten Erde kann ich leicht entsagen,
Denn für die Kunst nur lodert meine Glut.
Laß uns nach ihr auch auf der Sonne fragen!
Ein Schwert vereine hier noch unser Blut.
Dem Geist genügt zu hinterlaßnem Ruhme
Der Liebe Kranz im ird'schen Heiligtume.

15.5.16

WOLFGANG BORCHERT: GROSSSTADT


WOLFGANG BORCHERT


GROSSSTADT

Die Göttin Großstadt hat uns ausgespuckt
in dieses wüste Meer von Stein.
Wir haben ihren Atem eingeschluckt,
dann ließ sie uns allein.

Die Hure Großstadt hat uns zugeplinkt –
an ihren weichen und verderbten Armen
sind wir durch Lust und Leid gehinkt
und wollten kein erbarmen.

Die Mutter Großstadt ist und mild und groß –
und wenn wir leer und müde sind,
nimmt sie uns in den grauen Schoß –
und ewig orgelt über uns der Wind!

14.5.16

ALFRED KOLLERITSCH: EPIGRAMM




ALFRED KOLLERITSCH


EPIGRAMM

Dir gibt das Verweilen Sanftmut,
sie ist die Überraschung der Strenge,
die nichts bleiben läßt.
Du bist, was du verlierst,
was dir niemand bestimmen darf.

Das seit Anbeginn Gelebte,
wir sind es ganz und der Teil davon
Das dunkelgrüne Kamelienblatt
in deiner Hand übersetzt sich selbst:
Das Blatt bist du, vergiß die Blüte.

13.5.16

PAUL CELAN: DEM DAS GEHÖRTE QUILLT AUS DEM OHR




PAUL CELAN


DEM DAS GEHÖRTE QUILLT AUS DEM OHR

Dem das Gehörte quillt aus dem Ohr
und die Nächte durchströmt:
ihm
erzähl, was du abgelauscht hast
deinen Händen.

Deinen Wanderhänden.
Griffen sie nicht
nach dem Schnee, dem die Berge
entgegenwuchsen ?
Stiegen sie nicht
in das herzendurchpochte Schweigen des Abgrunds?
Deine Hände, die Wandrer.
Deine Wanderhände.

12.5.16

THEODOR DÄUBLER: FLÜGELLAHMER VERSUCH




THEODOR DÄUBLER


FLÜGELLAHMER VERSUCH

Es schweift der Mond durch ausgestorbene Gassen,
Es fällt sein Schein bestimmt durch bleiche Scheiben.
Ich möchte nicht in dieser Gasse bleiben,
Ich leid es nicht, daß Häuser stumm erblassen.

Doch was bewegt sich steil auf den Terrassen?
Ich wähne dort das eigenste Betreiben,
Als wollten Kreise leiblich sich beschreiben,
Ich ahne Laute, ohne sie zu fassen.

Es mag sich wohl ein weißer Vogel zeigen,
Fast wie ein Drache trachten aufzusteigen,
Dabei sich aber langsam niederneigen.

Wie scheint mir dieses Mondtier blind und eigen,
Es klopft an Scheiben, unterbricht das Schweigen
Und liegt dann tot in Hainen unter Feigen.

11.5.16

JOHANNES R. BECHER: DER TOD




JOHANNES R. BECHER


DER TOD

Der Tod, der in dem blassen Mädchen weinet,
Der aufgerollt liegt in der Alten Haar,
Der, was er bös oft trennet, besser einet,
Der jauchzet ungestüm durch manche Bar,

Der gell erschallt im Volkstumult furchtbar,
Als Feuerschrift an schwarzer Wand erscheinet,
Als Strolch mit Hund und Messer nächtlich streunet,
Da werden ihn wohl viele bleich gewahr...

Welch schönes Kleid hat er sich ausgesucht,
Da tat er ab den Flaus aus Kot und Schimmel!
Es bauschet sich in unerhörter Wucht

Sein Mantel, jener zarte Lilahimmel,
Der Herbstzeitlose Kelch, endlose Bucht,
Aufsaugend uns und irdisches Gewimmel.

10.5.16

JOSEPH VON EICHENDORFF: DER VERIRRTE JÄGER




JOSEPH VON EICHENDORFF (1788-1857)


DER VERIRRTE JÄGER

»Ich hab gesehn ein Hirschlein schlank
Im Waldesgrunde stehn,
Nun ist mir draußen weh und bang,
Muß ewig nach ihm gehn.

Frischauf, ihr Waldgesellen mein!
Ins Horn, ins Horn frischauf!
Das lockt so hell, das lockt so fein,
Aurora tut sich auf!«

Das Hirschlein führt den Jägersmann
In grüner Waldesnacht,
Talunter schwindelnd und bergan,
Zu nie gesehner Pracht.

»Wie rauscht schon abendlich der Wald,
Die Brust mir schaurig schwellt!
Die Freunde fern, der Wind so kalt,
So tief und weit die Welt!«

Es lockt so tief, es lockt so fein
Durchs dunkelgrüne Haus,
Der Jäger irrt und irrt allein,
Findt nimmermehr heraus.

8.5.16

WOLFGANG BORCHERT: DER WIND UND DIE ROSE




WOLFGANG BORCHERT


DER WIND UND DIE ROSE

Kleine blasse Rose!
Der Wind, von Luv, der lose,
der dich zerwühlte,
als wär dein Blatt
das Kleid von einer Hafenfrau -
er kam so wild und kam so grau!

Vielleicht auch fühlte
er sich für Sekunden matt
und wollt in deinen dunklen Falten
den Atem sanft verhalten.
Da hat dein Duft ihn so betört,
berauscht,
daß er sich bäumt und bauscht
und dich vor Lust zerstört,
daß er sich noch mit deinem Kusse bläht,
wenn er am bangen Gras vorüberweht.