31.12.11

MAX HERMANN-NEISSE: NACHT IM STADTPARK


MAX HERMANN-NEISSE


NACHT IM STADTPARK


Ein schmales Mädchen ist sehr liebevoll
Zu einem Leutnant, der verloren stöhnt,
Ein Korpstudent mokiert sich, frech, verwöhnt,
Und eine schiefe Schneppe kreischt wie toll.

Ein Refrendar bemüht sich ohne Glück
Um eine Kellnerin, die Geld begehrt,
Ein Abgeblitzter macht im Dunkeln kehrt,
Und eine Nutte schwebt zerzaust zurück.

Zwei Unbestimmte prügeln einen Herrn,
Mit Uniformen zankt ein Zivilist,
Ein Jüngling merkt, daß er betrogen ist,
Und zwei Verschmolzne haben schnell sich gern.

Ein starker Bolzen und ein Musketier
Sind ganz in eine graue Bank verwebt,
Ein Gent an einem Ladenfräulein klebt,
Ein greiser Onkel schnuppert geil und stier.

Ein Weib mit bloßem Kopf wird sehr gemein,
Ein Louis lauert steif und rührt sich nicht,
Ein Frechdachs leuchtet jeder ins Gesicht,
Und ein Kommis umfaßt ein weiches Bein.

Es raschelt in den Sträuchern ungewiß
Und tappt gesträubt auf einen steifen Hut,
Die Bäche liegen still wie schwarzes Blut,
Und Bäume fallen aus der Finsternis.

Ein Johlen rollt die Straße hin und stirbt,
Ein Wurf ins Wasser, irgendwo, ganz dumpf,
Ein Mauerwerk wächst wie ein Riesenrumpf,
Ein unbekanntes Tier erwacht und zirpt.

Zwei Männer flüstern einen finstern Plan,
Ein welkes Wesen wehrt sich hoffnungslos,
Ein Schüler hat ein Bahnerweib im Schoß,
Im Teich zieht schwer ein ruheloser Schwan.

Und Sterne stolpern in die tiefe Nacht,
Und Obdachlose liegen wie erstarrt,
Und bleiern hängt der Mond, und hohl und hart
Glotzt breit ein Turm, verstockt und ungeschlacht.

23.12.11

NOVALIS: AN JULIEN


NOVALIS


AN JULIEN


Daß ich mit namenloser Freude
Gefährte deines Lebens bin
Und mich mit tiefgerührtem Sinn
Am Wunder deiner Bildung weide -
Daß wir aufs innigste vermählt
Und ich der Deine, du die Meine,
Daß ich von allen nur die Eine
Und diese Eine mich gewählt,
Dies danken wir dem süßen Wesen,
Das sich uns liebevoll erlesen.

O! laß uns treulich ihn verehren,
So bleiben wir uns einverleibt.
Wenn ewig seine Lieb uns treibt,
So wird nichts unser Bündnis stören.
An seiner Seite können wir
Getrost des Lebens Lasten tragen
Und selig zu einander sagen:
Sein Himmelreich beginnt schon hier,
Wir werden, wenn wir hier verschwinden,
In seinem Arm uns wiederfinden.

22.12.11

PAUL WERTHEIMER: STÄNDCHEN


PAUL WERTHEIMER (1874-1937)


STÄNDCHEN


Vernimmst du meiner Geige sehnsuchtstollen
Aufschrei der nachtgebor'nen Melodien?
Ich will mit Liedern wie mit wundervollen
Blumenguirlanden deine Stirn umziehen.

Du meine Welt, du mein geheimes Wissen!
Was ist mir der Erkenntnis Sternenklarheit!
In Nachtviolen, Rosen und Narzissen,
In meinem Traum von dir ist meine Wahrheit!

6.12.11

H[ANS] G[ÜNTHER] ADLER: ANTWORT


H[ANS] G[ÜNTHER] ADLER (1910-1988)


ANTWORT


Einsam gemessene siedende Klage
Sag ich an um dich, du Geliebte.
Ich erahne dich nur, doch erfühl ich dich nicht,
Meine Seele ist schwach geworden.

Wenn ich erstorben in grausamen Wogen
Meine Weise flehentlich wage,
Da erschallt es in mir mit gewaltigem Braus:
Leid, ein drohender Haufen Qualen.

Unstet ein Schatten bist du nun geworden,
Schatten bin ich selbst jetzt, umgürtet,
Und ich lausche hinaus in den stäubenden Rausch,
Ob ich Rufe von dir erhorche.

Jedoch vergebens vertrau ich dem Schatten,
Nirgend hör ich mehr als die Klage,
Wie ich selbst ins Getös der Unendlichkeit schrie.
Antwort . . . Nimmer wird sie ertönen,

Antwort, ach Antwort auf glühende Fragen . . .
Spür ich deinen Ruf, du Geliebte?
Ich erfühle dich wohl, aber fasse dich nicht.
Antwort? – Antwort gibt es nie wieder.