28.3.16

CLAIRE GOLL: ZEHN JAHRE SCHON



CLAIRE GOLL


ZEHN JAHRE SCHON

Zehn Jahre schon daß du mich liebst
Zehn Jahre zehn Minuten gleich
Und immer seh ich dich zum ersten Mal:

Die Taschen voller Rosen
Künftige Tränen hinter der Brille
Wie Diamanten in Vitrinen
In deiner Brust eine Lerche
Und unter den schüchternen Handschuhn
Die Zärtlichkeiten der Zukunft.

Zehn Jahre schon daß du mich liebst
Daß auf allen Uhren
Die Zeit auf immer stillstand.

27.3.16

THEODOR DÄUBLER: DIE WELT KANN SICH DURCH LIEBE NUR ERHELLEN




THEODOR DÄUBLER


DIE WELT KANN SICH DURCH LIEBE NUR ERHELLEN

Die Welt kann sich durch Liebe nur erhellen,
Da treu ein Stern
des andern Leben hegt,
Ein Weltlichtherz entschnellt nur Schwesterwellen,
Das Lebenslicht, das Liebe trägt und wägt.

So malt die Sonne
bunte Frühlingsranken,
Aus Fels und Schlucht, Entwürfe voll von Kraft;
Ihr Mittag bringt des Lebens Vollgedanken,
Aus denen sie die Thatgeburten schafft.

Gedanken, die durch starre Felsen dringen,
Erschöpfen jedes Sein aus Stein und Licht,
Denn bloß notwendige Sonnideen zwingen
Zur Lebenslogik, der die Form entspricht.

Ein Taggeschöpf muß sich zur Sonne kehren,
Der Mensch zumal, denn wir sind glaubensbang;
Mein Innerlicht, dir hehl ich kein Begehren,
Gieb mir ein Weib, mein, rein und seelenschlank.

In deiner Schönheit, Weib, bringst du die Schäume
Der Seelenfluth dem Schöpferkusse dar,
Aus deiner Schlankheit sprudeln weiße Träume
Und Jugendgold verklärt dich wunderbar.

26.3.16

JOHANNES R. BECHER: DIE NEUE SYNTAX




JOHANNES R. BECHER


DIE NEUE SYNTAX

Die Adjektiv-bengalischen-Schmetterlinge
Sie kreisen tönend um des Substantivs erhabenen Quaderbau.
Ein Brückenpartizip muß schwingen! schwingen!!
Derweil das kühne Verb dich klirrend Aeroplan in Höhen schraubt.

Artikeltanz zückt nett die Pendelbeinchen
In Kicherrythmen schaukelt ein Parkett.
Da aber springt metallisch tönend eine reine
Strophe heraus aus dme Trapez. Die Kett

Derr Straßenlampen ineinander splittern.
Trotz jener buntesten Dame heiligem Vokativ.
Ein junger Dichter sich Subjekte kittet.
Bohrt des Objektes Tunnel . . . Imperativ

Schnellt steil empor. Phantastische Sätzelandschaft überzüngelnd.
Bläst sieben Hydratuben. Das Gewölke fällt.
Und Blaues fließt. Geharnischte Berge dringen.
So blühen auf wir in dem Glanz mailichter Überwelt.

22.3.16

FRIEDRICH VON SCHLEGEL: DAS GEDICHT DER LIEBE




FRIEDRICH VON SCHLEGEL


DAS GEDICHT DER LIEBE

Wie nächtlich ungestüm die Wellen wogen,
Bald schwellend liebevoll zum Sternenkranze,
Bald sinkend zu der Tiefe hingezogen,
Sehnsüchtig flutend in dem Wechseltanze,
Bis Morgenrot empor scheint aus den Wogen,
Noch feucht in blumenlichtem Tränenglanze;
So steigen hier der Dichtkunst hohe Strahlen
Aus tiefer Sehnsucht Meer und Wonnequalen.

10.3.16

PAUL CELAN: BILDNIS EINES SCHATTEN





PAUL CELAN


BILDNIS EINES SCHATTEN

Deine Augen, Lichtspur meiner Schritte;
deine Stirn, gefurcht vom Glanz der Degen;
deine Brauen, Wegrand des Verderbens;
deine Wimpern, Boten langer Briefe;
deine Locken, Raben, Raben, Raben;
deine Wangen, Wappenfeld der Frühe;
deine Lippen, späte Gäste;
deine Schultern, Standbild des Vergessens;
deine Brüste, Freunde meiner Schlangen;
deine Arme, Erlen vor dem Schloßtor;
deine Hände, Tafeln toter Schwüre;
deine Lenden, Brot und Hoffnung;
dein Geschlecht, Gesetz des Waldbrands;
deine Schenkel, Fittiche im Abgrund;
deine Kniee, Masken deiner Hoffart;
deine Füße, Walstatt der Gedanken;
deine Sohlen, Flammengrüfte;
deine Fußspur, Auge unsres Abschieds.

2.3.16

HANS MAGNUS ENZENSBERGER: LEICHTER ALS LUFT




HANS MAGNUS ENZENSBERGER


LEICHTER ALS LUFT

Besonders schwer
wiegen Gedichte nicht.
Solange der Tennisball steigt,
ist er, glaube ich,
leichter als Luft.

Das Helium sowieso,
die Eingebung, dieses Kribbeln
in unserm Gehirn,
auch das Elmsfeuer
und die natürlichen Zahlen.

Sie wiegen so gut wie nichts,
von den transzendenten,
ihren vornehmen Vettern,
obwohl sie zahllos sind,
gar nicht zu reden.

Soviel ich weiß, gilt das auch
für den Strahlenkranz des Magneten,
den wir nicht sehen,
für die meisten Heiligenscheine
und für ausnahmslos alle Walzerklänge.

Leichter als Luft,
wie der vergessene Kummer
und der bläuliche Rauch
der endgültig letzten Zigarette,
ist natürlich das Ich,

und, soviel ich weiß,
steigt der Geruch des Brandopfers,
der den Göttern so wohlgefällig ist,
immer gen Himmel.
Der Zeppelin auch.

Vieles bleibt ohnehin
in der Schwebe.
Am leichtesten wiegt vielleicht,
was von uns übrigbleibt,
wenn wir unter der Erde sind.

1.3.16

PAUL CELAN: KÖNIGSSCHWARZ




PAUL CELAN


KÖNIGSSCHWARZ

Nur die Nacht vor den Augen laß reden:
nur das Blatt, das hört, wo noch Wind ist;
nur die Stimme im Vogelbauer.

Nur sie, nur sie allein.
Dich aber tritt mit dem Fuß und sprich zu dir selber: Sei tapfer,
sei würdig des Steins über dir,
bleib Freund mit den Bärten der Toten,
füg Blume zu Wurm,
hiß dein Segel auf Särgen,
nimm die Käfer der unteren Fluren an Bord,
gib Kunde den Trüben.

Gib ihnen zwiefache Kunde:
von dir und von dir,
von beiden Tellern der Waage,
vom Dunkel, das Einlaß begehrt,
vom Dunkel, das Einlaß gewährt.

Gib Kunde den Käfern,
gib Kunde den Trüben,

füg Blume zu Wurm,
hiß dein Segel auf Särgen,
bette dein Herz dir zu Häupten.