30.11.08

SIDONIE GRÜNWALD-ZERKOWITZ: IM TRAUM


SIDONIE GRÜNWALD-ZERKOWITZ (1852-1907)


IM TRAUM


Als ich des Abends zur Ruh gegangen,
Besah ich des Liebsten Bildnis bewegt,
Und daß ich davon mich trennen nicht müßte,
Hab' unter das Kissen ich's heimlich gelegt.

Das Bild, das ist aber dort nicht geblieben;
Im Traum ist's mir näher und näher gerückt -
Gewandelt zu meinem leibhaftigen Liebchen,
Hat's Küsse mir überall hin... gedrückt.

Das Bild, das ich nachts unterm Kissen geborgen,
Das machte - ob auch der Liebste entfernt -
Daß ich die Küsse der Liebe alle -
Hab' alle... im Traume... gründlich erlernt...

29.11.08

MARIA JANITSCHEK: LIEBESZAUBER


MARIA JANITSCHEK (1859-1927)


LIEBESZAUBER


Welch schwüle Pracht!
Die Luft voll Funken,
als ob die Sterne vom Himmel gesunken!
Im Gras, dem feuchten,
ein heimlich Leuchten,
ein Blitzen im Walde ..
Auf der Halde
ein Knistern und Knattern,
Flüstern und Flattern,
ein Rauschen in der Luft
wie vergossener Duft …
Heute bleibt kein Arm leer …
Ave, ave Johannisnacht!

28.11.08

HERTHA KOENIG: GERANIUM


HERTHA KOENIG (1884-1976)


GERANIUM


In der Erde altes Glühen
Hab ich dir mein Herz getaucht.
Meine Liebe weiß um alles -
Um den leichten Tanz der Funken,
Um der Steine schweres Wachstum.
Kannst du mir vorübergehen,
Ohne deine Brust zu weiten?
Siehe, heilig ist mein Brennen,
Leuchtend von dem dunklen Anfang
Mit dem ersten Rot der Urnacht.
Freude bricht aus krustigem Boden,
Weil ich liebe.

24.11.08

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: GLÜCK UND TRAUM


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE


GLÜCK UND TRAUM


Du hast uns oft im Traum gesehen
Zusammen zum Altare gehen,
Und dich als Frau und mich als Mann.
Oft nahm ich wachend deinem Munde,
In einer unbewachten Stunde,
Soviel man Küsse nehmen kann.

Das reinste Glück, das wir empfunden,
Die Wollust mancher reichen Stunden
Floh wie die Zeit mit dem Genuß.
Was hilft es mir, daß ich genieße?
Wie Träume flieh'n die wärmsten Küsse,
Und alle Freude wie ein Kuß.

16.11.08

HEINRICH MÜHLPFORT: WILLKOMMEN SCHÖNESTE


HEINRICH MÜHLPFORT (1639-1681)


[WILLKOMMEN SCHÖNESTE]



1.

Willkommen Schöneste / die meinen Geist erquickt /
Die meine Seele durch ihren Glanz entzückt /
Willkommen Schatz / mein ander Leben /
Der ich mich ganz und gar ergeben.

2.

Stern aller Freuden / schöneste Perlemuth /
Wenn deiner Augen blitzende Liebes Glut
Bestrahlet mein entbrandtes Herze
So acht ich nicht der Sonnen Kerze.

3.

Denn dein Gesicht weiset den Himmel mir /
Wie der beblümet wird von der Sternen Zier;
So streu’n auch deine Fackeln funcken /
Die in die Seele mir gesuncken.

4.

Was ich nur dencke / was ich nur red‘ und thu /
Das auserwählte Perlemuth das bist du /
Ich geh / ich steh / ich schlaf‘ / ich wache /
So bleibst du doch der Zweck der Sache.

5.

Holdreiche Göttin / die meinen Geist bezwingt /
Und die das Siegsfahn über mein Leben schwingt /
Mich dünckt daß alle Seeligkeiten /
Mit deinem Eintritt dich begleiten.

6.

Gast dessen gleichen mir nicht der Erden Kreiß
In allen Enden einst zu gewähren weiß /
Was nicht die ganze Welt kan schicken /
Mit dem kan Oelße mich beglücken.

7.

Wie aus des Himmels Zimmern die Morgenröth
Im höchsten Purpur gleich eine Fürstin geht /
So ist mit nicht geringerm Lichte
Umbgeben / Schatz / dein Angesichte.

8.

Du trägest Rosen / gleichwie dein Name heist
Und theuren Perlen gleichet dein edler Geist /
Ich lasse Geld und Güter fahren /
Du bleibst die beste von den Waaren.

9.

Daß mir dein Anblick schencket die höchste Lust /
Daß deine Worte gleichfals der Liebe kost /
Daß dein Kuß kan die Seele weiden /
Sind nur ein Vorbild grössrer Freuden.

10.

Ach Sonne renne / kürze der Tage Rest /
Biß daß erscheinet unser Vermählungs-Fest /
Daß wir den besten Zweck erzielen /
Und unsre Glut zusammen spielen /

11.

Der Augen Sterne / der Wangen Rosen-Glut /
Der Schnee des Halses / der Lippen Purpur-Blut /
Der Brüste rund-geschwollne Hügel
Verbleiben unsrer Liebe Sigel.

12.

So hat die Venus nicht den Adon erfrischt /
Wenn sie vergnüget haben im Wald getischt /
Als deine Gegenwart mich tröstet /
Und mir das Liebes-Manna röstet.

13.

Komm schönste Nimfe / Sonne der Unterwelt
Durch derer Blicke sich noch mein Geist erhellt:
Laß ferne deine Strahlen glänzen /
In meinem Hauß und Herzens-Gränzen.

15.11.08

ELSE LASKER-SCHÜLER: MEIN STILLES LIED


ELSE LASKER-SCHÜLER (1869-1945)


MEIN STILLES LIED


Mein Herz ist eine traurige Zeit,
Die tonlos tickt.

Meine Mutter hatte goldene Flügel,
Die keine Welt fanden.

Horcht, mich sucht meine Mutter,
Lichte sind ihre Finger und ihre Füße wandernde Träume.

Und süße Wetter mit blauen Wehen
Wärmen meine Schlummer

Immer in den Nächten,
Deren Tage meiner Mutter Krone tragen.

Und ich trinke aus dem Monde stillen Wein,
Wenn die Nacht einsam kommt.

Meine Lieder trugen des Sommers Bläue
Und kehrten düster heim.

– Ihr verhöhntet meine Lippe
Und redet mit ihr. –

Doch ich griff nach euren Händen,
Denn meine Liebe ist ein Kind und wollte spielen.

Und ich artete mich nach euch,
Weil ich mich nach dem Menschen sehnte.

Arm bin ich geworden
An eurer bettelnden Wohltat.

Und das Meer wird es wehklagen
Gott.

Ich bin der Hieroglyph,
Der unter der Schöpfung steht

Und mein Auge
Ist der Gipfel der Zeit;

Sein Leuchten küßt Gottes Saum.

13.11.08

JOHANN FRIEDRICH ROCHLITZ: KLAGLIED


JOHANN FRIEDRICH ROCHLITZ (1796-1842)


KLAGLIED


Meine Ruh' ist dahin,
Meine Freud' ist entflohn,
In dem Säuseln der Lüfte,
In dem Murmeln des Bachs
Hör' ich bebend nur Klageton.

Seinem schmeichelnden Wort,
Und dem Druck seiner Hand,
Seinem heißen Verlangen,
Seinem glühenden Kuß,
Weh' mir, daß ich nicht widerstand!

Wenn ich seh' ihn von fern,
Will ich ihn zu mir ziehn,
Kaum entdeckt mich sein Auge,
Kaum tritt näher er mir,
Möcht' ich gerne ins Grab entfliehn.

9.11.08

HEINZ CZECHOWSKI: VOM DACHGARTEN DER YENIDZE


HEINZ CZECHOWSKI (1935)


VOM DACHGARTEN DER YENIDZE


Die Stadt ein zerklüfteter Cañon, in dem sich
Alle Erinnerungen, die ich noch habe,
Verlaufen. Die Hügel der Lößnitz:
Hemingways weiße Elefanten,
Und irgendwo, wo eine Liebe begann
Oder endete, trägt uns noch heute
Etwas hinüber ins imaginäre
Reich der Gerechtigkeit.
Ich bin angekommen und liege noch immer
Im Streit mit der Dummheit, dieser mächtigen
Kraft, die den Abend verdunkelt. Mir gegenüber
Die edlen Maße eines Palais,
Die Gefahr der Schönheit markierend,
Die sprachlos bleibt und tatsächlich
Nichts anderes ist als des Schrecklichen Anfang.
Die schwarzen Engel, ihre Schwingen entfaltend,
Beherrschen mit ihren Schwertern aus Feuer
Noch immer das Tal, das sich anschickt,
Ein neues Jahrtausend in sich zu bergen, als sei es
Nun Zeit auch für mich,
Den Ort der Endgültigkeit aufzusuchen:
Wut, Trauer und das Gefühl, niemals
Irgendwo angekommen zu sein, obwohl
Die Flugpreise sinken und
Der Dunst des Benzins
Die Stirne vernebelt.
Und du, in deinem Hochhaus verschanzt,
Tausendjährige Nymphe,
Während ich, gezeichnet vom Fieber,
In meine Remise zurückfahr.

8.11.08

SELMA MEERBAUM-EISINGER: SCHLAFLIED FÜR DIE SEHNSUCHT




SELMA MEERBAUM-EISINGER (1924-1942)


SCHLAFLIED FÜR DIE SEHNSUCHT


O lege, Geliebter,
den Kopf in die Hände
und höre, ich sing' dir ein Lied.
Ich sing' dir von Weh und von Tod und vom Ende,
ich sing' dir vom Glücke, das schied.

Komm, schließe die Augen,
ich will dich dann wiegen,
wir träumen dann beide vom Glück.
Wir träumen dann beide die goldensten Lügen,
wir träumen uns weit, weit zurück.

Und sieh nur, Geliebter,
im Traume da kehren
wieder die Tage voll Licht.
Vergessen die Stunden, die wehen und leeren
von Trauer und Leid und Verzicht.

Doch dann - das Erwachen,
Geliebter, ist Grauen -
ach, alles ist leerer als je -
Oh, könnten die Träume mein Glück wieder bauen,
verjagen mein wild-heißes Weh!

6.11.08

HERMANN VON GILM: DER TALISMAN


HERMANN VON GILM (1812-1864)


DER TALISMAN


Schenk etwas mir, ich fleh' dich an,
Ein Löcklein allenfalls,
Damit ich mit dem Talisman
Behänge meinen Hals;

Damit ein treuer Wächter sei
Vor meiner offnen Brust
Und ferne halte allerlei
Verbot'ne Lust.

Von hier und dort, von fern und nah
Will vieles Volk hinein
Und doch gehört, du weißt es ja,
Mein Herz nur dir allein.

2.11.08

MARTIN KESSEL: KONZENTRATION


MARTIN KESSEL (1901-1990)


KONZENTRATION


Es ist nicht klug, auch dies noch zu entzwein,
die Träume und das Ich und die Gefühle,
es ist schon etwas, ganz im Bild zu sein,
und wär's ein Don Quijote vor einer Mühle.

So wie du bist, als der, der in dir haust
mit Grenzen und mit Quellen und mit Schwächen,
ob auch im Weltgang vom Geschick zerzaust,
so bleibe, statt dein Letztes aufzubrechen.

Der Punkt, der dich begabt, trägt auch den Keim,
hier schiesst in eins der Kreis und die Tangente.
Was je geschah, ob draussen, ob daheim,
nur die Gestalt zwingt auch die Elemente.