13.4.08
WALTER HASENCLEVER: DIE MÖRDER SITZEN IN DIE OPER
WALTER HASENCLEVER (1890-1940)
DIE MÖRDER SITZEN IN DIE OPER
Zum Andenken an Karl Liebknecht
Der Zug entgleist. Zwanzig Kinder krepieren.
Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier.
Darüber ist kein Wort zu verlieren.
Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.
Soldaten verachtet durch die Straßen ziehen.
Generäle prangen im Ordensstern.
Deserteure, die vor dem Angriff fliehen,
Erschießt man im Namen des obersten Herrn.
Auf, Dirigent, von deinem Orchesterstuhle!
Du hast Menschen getötet. Wie war dir zu Mut?
Waren es viel? Die Mörder machen Schule.
Was dachtest du beim ersten spritzenden Blut?
Der Mensch ist billig, und das Brot wird teuer.
Die Offiziere schreiten auf und ab.
Zwei große Städte sind verkohlt im Feuer.
Ich werde langsam wach im Massengrab.
Ein gelber Leutnant brüllt an meiner Seite:
„Sei still, du Schwein!“ Ich gehe stramm vorbei:
Im Schein der ungeheuren Todesweite
Vor Kälte grau in alter Leichen Brei.
Das Feld der Ehre hat mich ausgespieen;
Ich trete in die Königsloge ein.
Schreiende Schwärme schwarzer Vögel ziehen
Durch goldene Tore ins Foyer hinein.
Sie halten blutige Därme in den Krallen,
Entrissen einem armen Grenadier.
Zweitausend sind in dieser Nacht gefallen!
Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.
Verlauste Krüppel sehen aus den Fenstern.
Der Mob schreit: „Sieg!“ Die Betten sind verwaist.
Stabsärzte halten Musterung bei Gespenstern;
Der dicke König ist zur Front gereist.
„Hier, Majestät, fand statt das große Ringen!“
Es naht der Feldmarschall mit Eichenlaub.
Die Tafel klirrt. Champagnergläser klingen.
Ein silbernes Tablett ist Kirchenraub.
Noch strafen Kriegsgerichte das Verbrechen
Und hängen den Gerechten in der Welt.
Geh hin, mein Freund, du kannst dich an mir rächen!
Ich bin der Feind. Wer mich verrät, kriegt Geld.
Der Unteroffizier mir Herrscherfratze
Steigt aus geschundenem Fleisch ins Morgenrot.
Noch immer ruft Karl Liebknecht auf dem Platze:
„Nieder der Krieg!“ Sie hungern ihn zu Tod.
Wir alle hungern hinter Zuchthaussteinen,
Indes die Opfer tönt im Kriegsgewinn.
Mißhandelte Gefangene stehn und weinen
Am Gittertor der ewigen Knechtschaft hin.
Die Länder sind verteilt. Die Knochen bleichen.
Der Geist spinnt Hanf und leistet Zwangsarbeit.
Ein Denkmal steht im Meilenfeld der Leichen
Und macht Reklame für die Ewigkeit.
Man rührt die Trommel. Sie zerspringt im Klange.
Brot wird Ersatz und Blut wird Bier.
MeinVaterland, mir ist nicht bange!
Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.
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