13.1.10
BERTOLT BRECHT: BALLADE VON DEN SEERÄUBERN
BERTOLT BRECHT
BALLADE VON DEN SEERÄUBERN
Von Branntwein toll und Finsternissen,
Von unerhörten Güssen nass.
Vom Frost eiskalter Nacht zerrissen
Im Mastkorb, von Gesichten blass.
Von Sonne nackt gebrannt und krank,
(Die hatten sie im Winter lieb)
Aus Hunger, Fieber und Gestank
Sang alles, was noch übrig blieb:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!
Kein Weizenfeld mit milden Winden,
Selbst keine Schenke mit Musik,
Kein Tanz mit Weibern und Absinthen,
Kein Kartenspiel hielt sie zurück.
Sie hatten vor dem Knall das Zanken,
Vor Mitternacht die Weiber satt.
Sie lieben nur verfaulte Planken
Ihr Schiff, das keine Heimat hat.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!
Mit seinen Ratten, seinen Löchern,
Mit seiner Pest, mit Haut und Haar.
Sie fluchten wüst darauf beim Bechern
Und liebten es, so wie es war.
Sie knoten sich mit ihren Haaren
Im Sturm in seinem Mastwerk fest.
Sie würden nur zum Himmel fahren,
Wenn man dort Schiffe fahren lässt.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!
Sie morden kalt und ohne Hassen
Was ihnen in die Zähne springt.
Sie würgen Gurgeln so gelassen
Wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt.
Sie trinken Sprit bei Leichenwachen,
Nachts torkeln trunken sie in See.
Und die, die übrig bleiben, lachen
Und winken mit der kleinen Zeh:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!
Sie leben schön wie noble Tiere
Im weichen Wind, im trunknen Blau.
Und oft besteigen sieben Stiere
Eine geraubte fremde Frau.
Die hellen Sternennächte schaukeln
Sie mit Musik in süße Ruh.
Und mit geblähten Segeln gaukeln
Sie unbekannten Meeren zu.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!
Doch eines Abends im Aprile,
Der keine Sterne für sie hat,
Hat sie das Meer in aller Stille
Auf einmal plötzlich selber satt.
Der große Himmel, den sie lieben
Hüllt still in Rauch die Sternensicht
Und die geliebten Winde schieben
Die Wolken in das milde Licht.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!
Sie fühlen noch, wie voll Erbarmen
Das Meer mit ihnen heute wacht.
Dann nimmt der Wind sie in die Arme
Und tötet sie vor Mitternacht.
Und ganz zuletzt in höchsten Masten
War es, weil Sturm so gar laut schrie
Als ob sie, die zur Hölle rasten
Noch einmal sangen, laut wie nie:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
Lasst uns um Sankt Marie die See!
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