18.7.13

THOMAS BRASCH: WENN ICH DICH BEGEHRE




THOMAS BRASCH (1945-2001)


WENN ICH DICH BEGEHRE

Wenn ich dich begehre gegen jede Vernunft
wenn ich in dir suche meine Unterkunft
wenn ich das Sehnen u
nd die Sucht benenn mit deinem Namen
und denke, es war gestern, als wir zu uns kamen
wenn ich in meiner Liebe ganz verfangen bin
und alle meine Wunsche wandern zu dir hin
was kann denn daran unvernunftig sein,
wenn wir nicht uns, nur der Vernunft jetzt sagen:
Bleib allein.

HANS MAGNUS ENZENSBERGER: FINNISCHER TANGO





HANS MAGNUS ENZENSBERGER (1929)


FINNISCHER TANGO

Was gestern abend war ist unf ist nicht
Das kleine Boot das sich entfernt
und das kleine Boot das sich nähert
Das Haar das ganz nah war ist fremdes Haar
Das ist leicht gesagt Das ist immer so
Der graue See ist doch der graue See
Das frische Brot von gestern abend ist hart
Niemand tanzt Niemand flüstert Niemand weint
Der Rauch ist verschwunden und nicht verschwunden
Der graue See ist jetz blau Jemand ruft
Jemand lacht Jemand ist fort
Es ist ganz hell Es war halb dunkel
Das kleine Boot kehrt nicht immer zurück
Es ist dasselbe und nicht dasselbe
Niemand ist da Der Felsen ist Felsen
Der Felsen hört auf Felsen zu sein
Der Felsen wird wieder zum Felsen
Das ist immer so Es verschwindet
nichts und nichts bleibt Was da war
ist und ist nicht und ist Das
versteht niemand Was gestern abend war
Das ist leicht gesagt Wie hell
der Sommer hier ist und wie kurz

8.7.13

OSCAR LOERKE: BLAUER ABEND IN BERLIN




OSCAR LOERKE


BLAUER ABEND IN BERLIN

Der Himmel fließt in steinernen Kanälen;
Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen
Sind alle Straßen, voll von Himmelblauen;
Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen

Im Wasser. Schwarze Essendämpfe schwelen
Und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.
Die Leben, die sich ganz am Grunde stauen,
Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,

Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien.
Wie eines Wassers Bodensatz und Tand
Regt sie des Wassers Wille und Verstand

Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.
Die Menschen sind wie grober bunter Sand
Im linden Spiel der großden Wellenhand.