29.3.18

ROSE AUSLÄNDER: ICH VERGESSE NICHT


ROSE AUSLÄNDER


ICH VERGESSE NICHT

Ich vergesse nicht
das Elternhaus
die Mutterstimme
den ersten Kuss
die Berge der Bukowina
die Flucht im Ersten Weltkrieg
den Einmarsch der Nazis
das Angstbeben im Keller
den Arzt, der unser Leben rettete
das bittersüße Amerika
Hölderlin Trackl Celan
meine Schreibqual
den Schreibzwang noch immer.

28.3.18

PAUL ZECH: EINE VERLIEBTE BALLADE


PAUL ZECH


EINE VERLIEBTE BALLADE

FÜR EIN MÄDCHEN NAMENS YSSABEAU

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.
Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,
da blüht ein schöner Zeitvertreib
mit deinem Leib die lange Nacht.
Da will ich sein im tiefen Tal.
Dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.

Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,
da schlief ich manches Sommerjahr
bei dir und schlief doch nie zuviel.
Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,
das macht mir wieder frohen Mut.
Komm her, ich weiß ein schönes Spiel
im dunklen Tal, im Muschelgrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

Die graue Welt macht keine Freude mehr,
ich gab den schönsten Sommer her,
und dir hats auch kein Glück gebracht;
hast nur den roten Mund noch aufgespart,
für mich so tief im Haar verwahrt...
Ich such ihn schon die lange Nacht
im Wintertal, im Aschengrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

Im Wintertal, im schwarzen Erdbeerkraut,
da hat der Schnee sein Nest gebaut
und fragt nicht, wo die Liebe sei.
Und habe doch das rote Tier so tief
erfahren, als ich bei dir schlief.
Wär nur der Winter erst vorbei
und wieder grün der Wiesengrund!
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!



8.3.18

GERTRUD KOLMAR: DIE ALTE FRAU




GERTRUD KOLMAR


DIE ALTE FRAU

Heut bin ich krank, nur heute, und morgen bin ich gesund.
Heut bin ich arm, nur heute, und morgen bin ich reich.
Einst aber werde ich immer so sitzen,
In dunkles Schultertuch frierend verkrochen, mit
     hüstelnder, rasselnder Kehle,
Mühsam hinschlurfen und an den Kachelofen knöchrige
     Hände tun.
Dann werde ich alt sein.

Meiner Haare finstere Amselschwingen sind grau,
Meine Lippen bestaubte, verdorrte Blüten,
Und nichts weiß mein Leib mehr vom Fallen und Steigen der
     roten springenden Brunnen des Blutes.
Ich starb vielleicht Lange schon vor meinem Tode.

Und doch war ich jung.
War lieb und recht einem Manne wie das braune nährende
     Brot seiner hungrigen Hand,
War süß wie ein Labetrunk seinem dürstenden Munde.
Ich lächelte
Und meiner Arme weiche, schwellende Nattern lockten
     umschlingend in Zauberwald.
Aus meiner Schulter sproßte rauchblauer Flügel,
Und ich lag an der breiteren buschigen Brust,
Abwärts rauschend, ein weißes Wasser, vom Herzen des
     Tannenfelsens.

Aber es kam der Tag und die Stunde kam,
Da das bittere Korn in Reife stand, da ich ernten mußte.
Und die Sichel schnitt meine Seele.
»Geh',« sprach ich, »Lieber, geh'.
Siehe, mein Haar weht Altweiberfäden,
Abendnebel näßt schon die Wange,
Und meine Blume schauert welkend in Frösten.
Furchen durchziehn mein Gesicht,
Schwarze Gräben die herbstliche Weide.
Geh'; denn ich liebe dich sehr.«

Still nahm ich die goldene Krone vom Haupt und verhüllte
     mein Antlitz.
Er ging,
Und seine heimatlosen Schritte trugen wohl anderem
     Rastort ihn zu unter helleren Augensternen.

Meine Augen sind trüb geworden und bringen Garn und
     Nadelöhr kaum noch zusammen.
Meine Augen tränen müde unter den faltig schweren,
     rotumränderten Lidern.
Selten
Dämmert wieder aus mattem Blick der schwache,
     fernvergangene Schein
Eines Sommertages,
Da mein leichtes, rieselndes Kleid durch Schaumkraut-
     wiesen floß
Und meine Sehnsucht Lerchenjubel in den offenen Himmel
   warf.

7.3.18

PETER HUCHEL: NICHTS ZU BERICHTEN




PETER HUCHEL


NICHTS ZU BERICHTEN

NICHTS zu berichten.
Das Einhorn ging fort
und ruht im Gedächtnis der Wälder,

in den Kammern des Mohns,
wenn die Äbtissin Sonne und Mond
den Toten gibt,

Der Herbst lichtet sich,
verliert sein Gedächtnis
in der Blutspur der Buche.

Was bleibt, ist nicht mehr
als der schwarze Draht in der Luft,
der zwei Stimmen vereinigt.

In der weißen Abtei des Winters
ein lautloser Flügelschlag.
Im Namen dessen –
bis ans Ende der Tage.