29.1.19

NOVALIS: WALZER



NOVALIS


WALZER

Hinunter die Pfade des Lebens gedreht
Pausiert nicht, ich bitt euch so lang es noch geht
Drückt fester die Mädchen ans klopfende Herz
Ihr wißt ja wie flüchtig ist Jugend und Scherz.

Laßt fern von uns Zanken und Eifersucht sein
Und nimmer die Stunden mit Grillen entweihn
Dem Schutzgeist der Liebe nur gläubig vertraut
Es findet noch jeder gewiß eine Braut.

19.1.19

PAUL BOLDT: NÄCHTE ÜBER FINNLAND



PAUL BOLDT





NÄCHTE ÜBER FINNLAND

Die Nadelwälder dunkeln fort im Osten,
Und aus den Seen taucht das Nachtgespenst
Den gelben Kopf, von Feuerrauch gekränzt,
Den Sterngeruch der neuen Nacht zu kosten.

Zu weißen Pilzen filzen Fichtenpfosten,
Und Ast an Ast in zartem Lichte glänzt,
— befrorne Linien — Filigran umgrenzt,
Zieht die Kontur aus reinen, reifen Frosten.

Bis auf das alte, runde, schwarze Eis
Des Grundes sind die Flüsse zugefroren.
In Schuttmoränen glänzt der glatte Gneis

Und in den leuchtenden, polierten Mooren.
Die Krähen schreien ewig: Tag — und Tat —
Nebel und Kälte fällt wie Sack und Saat.

18.1.19

FRANZ WERFEL: HEKUBA



FRANZ WERFEL





HEKUBA

Manchmal geht sie durch die Nacht der Erde,
Sie, das schwerste ärmste Herz der Erde.
Wehet langsam unter Laub und Sternen,
Weht durch Weg und Tür und Atemwandern,
Alte Mutter, elendste der Mütter.

So viel Milch war einst in diesen Brüsten,
So viel Söhne gab es zu betreuen.
Weh dahin! — Nun weht sie nachts auf Erden,
Alte Mutter, Kern der Welt, erloschen,
Wie ein kalter Stern sich weiterwälzet.

Unter Stern und Laub weht sie auf Erden
Nachts durch tausend ausgelöschte Zimmer,
Wo die Mütter schlafen, junge Weiber,
Weht vorüber an den Gitterbetten,
An dem hellen runden Schlaf der Kinder.

Manchmal hält am Haupt sie eines Bettes,
Und sie sieht sich um mit solchem Wehe,
Sie, ein dürftiger Wind, von Schmerz gestaltet,
Daß der Schmerz in ihr Gestalt erst findet,
Und das Licht in toten Lampen aufweint.

Und die Frauen steigen aus den Retten,
Wie sie fortweht, nackten schweren Schrittes,
Sitzen lange an dem Schlaf der Kinder,
Schauen langsam in die Zimmertrübe,
Tränen habend unbegrißnen Wehes.

12.1.19

PAUL BOLDT: FRÜHJAHR



PAUL BOLDT





FRÜHJAHR

Die ganze Nacht durch kamen Wanderungen
Wie auf der Flucht, in sohlenloses Schreiten
Vermummt. Am Morgen bargen es die Weiten:
Nur Sturm schwimmt durch die dunkelen Waldungen.

Als wäre allem Licht ein Tor gesprungen,
Will es sich in die Aderbäume breiten,
Darin die Pulse spülen, Säfte gleiten
Wie Frühjahrströme durch die Niederungen.

Mein gutes Glück, märzlich dahergetänzelt.
Mädchen, gut, daß du Weib bist! Diese Stunde
Verlangt das. Küsse mich! O unsere Munde

Haben noch niemals um ihr Glück scharwenzelt.
Du — du — dein Haar riecht wie der frühe Wind
Nach weißer Sonne — Sonne — Sonne — Wind.

RAINER MARIA RILKE: NÄCHTLICHER GANG



RAINER MARIA RILKE


NÄCHTLICHER GANG

Nichts ist vergleichbar. Denn was ist nicht ganz
mit sich allein und was je auszusagen;
wir nennen nichts, wir dürfen nur ertragen
und uns verständigen, dass da ein Glanz

und dort ein Blick vielleicht uns so gestreift
als wäre grade das darin gelebt
was unser Leben ist. Wer widerstrebt
dem wird nicht Welt. Und wer zu viel begreift

dem geht das Ewige vorbei. Zuweilen
in solchen großen Nächten sind wir wie
außer Gefahr, in gleichen leichten Teilen
den Sternen ausgeteilt. Wie drängen sie.