22.7.08

LUDWIG PFAU: LIEBESWEGE


LUDWIG PFAU (1821-1894)


LIEBESWEGE


Nachts wandl' ich auf den Wegen,
Die wir so oft gewallt;
Da rauscht es wie ein Segen,
Der leis' im Wind verhallt.
Die alten Bäume singen
Von alter Zeit im Traum;
Bis an mein Herz ein Klingen
Kommt durch den Himmelsraum.
Das kommt von meiner Süßen,
Das kennt mein Herze leicht;
Das ist der Liebe Grüßen,
Die nachts auf Erden schleicht.

21.7.08

PAUL HEYSE: SIESTA


PAUL HEYSE (1830-1914)


SIESTA


Lieb, o lieb war die Nacht
Mitten am hellen Tag,
Als wir die Läden geschlossen,
Als durch die schützenden Sprossen
Goldige Dämmerung brach.

Kühl, o kühl war der Saal,
Drinnen die Welt uns verging,
Da wir in seligem Schmachten
Wandelten, flüsterten, lachten,
Bis uns der Schlummer umfing.

Süß, o süß war der Traum,
Herz am Herzen geträumt!
Über uns schwebend im Kreise
Flattert’ ein Schmetterling leise,
Dunkel die Schwingen umsäumt.

20.7.08

BETTY PAOLI: BRUCH DER FREUNDSCHAFT


BETTY PAOLI (1814-1894)


BRUCH DER FREUNDSCHAFT


           Nessun maggior dolore          

Ob auch nur schwer, doch läßt es sich verwinden,
Wenn Liebe ihren flücht'gen Schwur uns bricht.
Wie sollten mit dem Lebensfrühling nicht
Auch seine Düfte und sein Glanz verschwinden?

Ich weiß ein bänger, schmerzlicher Empfinden:
Der Freundschaft, die einst uns'rer Seele Licht,
Zu starren in das todte Angesicht,
Und wieder einsam sich im All zu finden.

Was sonst dein Herz an Freuden auch verlor,
Verglichen mit so ungeheuerm Wehe,
Schnellt jedes anderen Schale hoch empor!

Dort ward doch nur Vergängliches zerschlagen;
Hier starb ein Göttliches, und schaudernd sehe
Ich die Vernichtung sich an Ew'ges wagen.

19.7.08

CHRISTIAN FRIEDRICH DANIEL SCHUBART: DER RÜCKFALL


CHRISTIAN FRIEDRICH DANIEL SCHUBART (1739-1791)


DER RÜCKFALL


Weg, o Liebe, mit dem Zauberbecher!
Circe, weg, ich trinke nicht!
Weg von mir, du Flatterer, du Frecher,
Amor, mit dem Puppenangesicht!
Geht zum Jüngling, der dort um der Traube
Mostbeträufte Berge irrt
Und nach einer Lais, wie die Taube
Nach dem Tauber, girrt.
Grazien und Amoretten,
Locket mich nicht mehr!
Flechtet eure Blumenketten
Um den Süßling her,
Der mit Spielwerk aus Paris beladen,
Dorten pfeift und spielt,
Und nach seinen Waden
Beifallächelnd schielt.
Denn hier sitz' ich, wo, genährt von Oele,
Dieses blaue Flämmchen zückt;
Wo mit Ernst und Staunen meine Seele
Auf sich selber niederblickt.
Aller Weisen fromme Lehren schweben,
Eingehüllt in Bildern, um mich her;
Tausend Stimmen hör' ich um mich beben:
Guter Mann, so liebe doch nicht mehr!
Fahr empor! gen Himmel fahre!
Er allein ist deiner Liebe werth;
Warte nicht, bis Wollust deiner Jahre
Feuer aufgezehrt.

Ich will es thun! so sprach ich und die Saiten
Des hohen Flügels hallten's nach;
Die Geisterchen, die mich umschwebten, freuten
Sich hörbar, als ich's sprach.
Doch, Himmel, ach! wie schnell bin ich gefallen!
Du Zauberin, was willst du denn von mir?
Ich seh' sie wohl, die goldnen Locken, wallen!
Ich seh' sie wohl, die blauen Augen, hier!
Was schaust du unterm sanftgeschweiften Hute
Wollüstigschön, o Zauberin, hervor?
Laß mich, schon stürmt in meinem Blute
Der Liebe Flamm' empor!

Ich seh' es wohl das Schlängelchen am Munde,
Das sich zum Lächeln krümmt;
Und, ach! in einer finstern Stunde
Euch Geisterchen des Weisen überstimmt.
Ich sinke schon an ihre Brust: - O blicke
Mich nicht so schmachtend an! -
Dank dir, Natur, daß ich dein Meisterstücke
Mit diesem Arm umfassen kann!
Wer lacht da? Ha! 's ist Amor und die Liebesgötter,
Umtanzt von Grazien;
Hör' doch, o Minna, was er sagt, der Spötter:
Was machen deine Geisterchen?

18.7.08

THEKLA LINGEN: DIE GEIGEN SANGEN DIE GANZE NACHT


THEKLA LINGEN (1866-1931)


[DIE GEIGEN SANGEN DIE GANZE NACHT]


Die Geigen sangen die ganze Nacht,
Wir haben bei froher Tafel gelacht.

Ich sass glückselig neben dir,
Dein Blick wie Sonne über mir.

Da hat dein Fuss sich scheu verirrt,
Ich war erschrocken, jäh verwirrt.

Ich schloss die Augen lusterstarrt,
Da dir mein Fuss zu eigen ward.

Die Geigen sangen die ganze Nacht,
Wir beide haben nicht mehr gelacht.

Verstummt der Jubel, ich bin allein
Im dunkel-stillen Kämmerlein,

Und träume und träume, wie es wird,
Wenn sich dein Mund so süss verirrt.

17.7.08

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: AM FLUSSE


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)


AM FLUSSE


Verfließet, vielgeliebte Lieder,
Zum Meere der Vergessenheit!
Kein Knabe sing' entzückt euch wieder,
Kein Mädchen in der Blütenzeit.

Ihr sanget nur von meiner Lieben;
Nun spricht sie meiner Treue Hohn.
Ihr wart in's Wasser eingeschrieben;
So fließt denn auch mit ihm davon!

16.7.08

CLARA BLÜTHGEN: NACHKLANG


CLARA BLÜTHGEN (1856-1934)


NACHKLANG


Rose der Liebe, in Schuld entsprossen,
in Qual erblüht, mit Thränen begossen,
o laß an Deinem Duft mich berauschen -
die Seligkeit sollt ich um Alltagsglück tauschen?
Ich will kein langes, kein reuloses Glück,
Vollwonne nur einen Augenblick.
Mein heimliches Glück, einer andern geraubt,
mein ist es dennoch, stolz heb ich das Haupt,
von der Sitte verdammt, von der Welt getadelt,
durch Sünde geächtet, durch Liebe geadelt.

15.7.08

KLABUND: LIEBESLIED


KLABUND (1890-1928)


LIEBESLIED


Dein Mund, der schön geschweifte,
Dein Lächeln, das mich streifte,
Dein Blick, der mich umarmte,
Dein Schoß, der mich erwarmte,
Dein Arm, der mich umschlungen,
Dein Wort, das mich umsungen,
Dein Haar, darein ich tauchte,
Dein Atem, der mich hauchte,
Dein Herz, das wilde Fohlen,
Die Seele unverhohlen,
Die Füße, welche liefen,
Als meine Lippen riefen -:
Gehört wohl mir, ist alles meins,
Wüßt nicht, was mir das liebste wär,
Und gäb nicht Höll noch Himmel her:
Eines und alles, all und eins.

14.7.08

PAUL BOLDT: DIE DIRNE


PAUL BOLDT (1885-1921)


DIE DIRNE


Die Zähne standen unbeteiligt, kühl
Gleich Fischen an den heißen Sommertagen.
Sie hatte sie in sein Gesicht geschlagen
Und trank es – trank – entschlossen dies Gefühl

In sich zu halten, denn sie ward ein wenig
Wie früher Mädchen und erlitt Verführung;
Er aber spürte bloß Berührung,
Den Mund wie eine Muskel, mager, sehnig.

Und sollte glauben an ihr Offenbaren,
Und sah, wie sie dann dastand – spiegelnackt –
Das Falsche, das Frisierte an den Haaren;

Und unwillig auf ihren schlechten Akt
Schlug er das Licht aus, legte sich zu ihr,
Mischend im Blut Entsetzen mit der Gier.

12.7.08

ELISABETH PAULSEN: ABSCHIED


ELISABETH PAULSEN (1879-1951)


ABSCHIED


Eine leise Stimme spricht:
Ruf mich nicht zurück,
du kannst nicht.
Eine leise Stimme spricht:
Gib mir nicht die Hand,
Handschlag bricht.
Eine leise Stimme spricht:
Meine Liebe fordert deine Liebe
nicht. –

11.7.08

MARGARETE BEUTLER: DER STROM


MARGARETE BEUTLER (1876-1949)


DER STROM


Als nun der Strom meiner Nächte
Breit durch die Ebene glitt,
Brachte er krauses Geflechte,
Tangwerk und Dorngestrüpp mit,
Brachte von bergigter Quelle
Wilder Blüten Gerank,
Und es klang seine Welle
Dunkler als droben sie klang.

Lauscher standen am Lande,
Horchten dem Klange voll Zorn
Als einem sicheren Pfande
Für den vergifteten Born,
Schrieen böse und lauernd
All meinen Frohmut entzwei,
Und meine Seele glitt trauernd
Ihrem Erkennen vorbei. – –

10.7.08

EMMY HENNINGS: TRAUM


EMMY HENNINGS (1885-1948)


TRAUM


Ich bin so vielfach in den Nächten.
Ich steige aus den dunklen Schächten.
Wie bunt entfaltet sich mein Anderssein.

So selbstverloren in dem Grunde,
Nachtwache ich, bin Traumesrunde
Und Wunder aus dem Heiligenschrein.

Und öffnen sich mir alle Pforten,
Bin ich nicht da, bin ich nicht dorten?
Bin ich entstiegen einem Märchenbuch?

Vielleicht geht ein Gedicht in ferne Weiten.
Vielleicht verwehen meine Vielfachheiten,
Ein einsam flatternd, blasses Fahnentuch . . .

9.7.08

DANIEL CASPER VON LOHENSTEIN: DIE VORTREFFLICHKEIT DER KÜSSE


DANIEL CASPER VON LOHENSTEIN (1635-1683)


DIE VORTREFFLICHKEIT DER KÜSSE


1.
Nectar und zucker und safftiger zimmet /
Perlen-thau / honig und Jupiters safft /
Balsam / der über der kohlen-glut glimmet /
Aller gewächse versammlete krafft /
Schmecket / zu rechnen / mehr bitter / als süsse /
Gegen dem nectar der zuckernen küsse.

2.
Hyble wird gerne der blumichten brüste /
Rosen / narcissen und liljen verschmähn /
Wird er die freuden-geschwägerte lüste
Zweyer sich küssender seelen ansehn.
Da sich stets honig einsammlende bienen
Finden um ihre geküßte rubinen.

3.
Marmel und kisel und eiserne wercke /
Diamant und unzerbrüchlicher stein /
Stählerne / noch alabasterne stärcke /
Schliessen so feste / wie küsse / nichts ein.
Küsse verknüpffen mit nährenden flammen
Zwischen zwey lippen zwey herzen zusammen.

4.
Schätzt ihr nicht küssende küsse für winde /
Welche nicht über den lippen-pfad gehn?
Meynet ihr / münde beküssen nur münde?
Nimmermehr wirds euch die liebe gestehn.
Wisset / ihr eiß-kaltgesinnete / wisset /
Hier wird die küssende seele geküsset.

5.
Küsse bewurzeln sich schwerlich so feuchte;
Meynen die lippen / daß küssen nur rauch?
Lippen und mund zwar empfinden das feuchte /
Den mit der wärme verschwisterten hauch.
Aber die seele bekömmet das beste /
Von dem mit liebe beseeleten weste.

6.
Küsse sind schweigende reden der lippen /
Seuffzer der seelen und strahlen der gunst;
Welche von ihren corallenen klippen
Sämen ins herze die quelle der brunst;
Derer gebraucht sich der wütende schütze /
Daß er mit ihnen gemüther zerritze.

7.
O der unendlich-erquickenden schmerzen /
Wenn man die küsse mit seuffzern vermengt!
Bald die lieb-äugelnden sternen und kerzen
Auff die geküssten rosen versenckt /
Wenn sich gemüthe / gedancken und leben
Haben auff äuserste lippen begeben.

8.
Lachet ihr lippen / ihr pförtner des lachens /
Schöpffer der worte / du perlerner mund /
Schieß-platz der liebe / des feurigen drachens /
Köcher der pfeile / durch die man wird wund.
Höle / wo Cypripor wangen erröthet /
Herzen uns stiehlet / und seelen uns tödtet.

9.
Lippen / die scharlach und rosen bedecken /
Welche der marmel der wangen umflicht /
Rühret von purpurnem schaume der schnecken
Euere göttliche liebligkeit nicht?
Nein / nein / ihr habt euch in thränen und aschen /
Und in dem blute der buhler gewaschen.

10.
Erstlich zwar wolten die milchernen wangen
Geben an farbe dem munde nicht nach;
Aber seit purpur die milch hat umfangen /
Und das vor lauter- und schneerne dach
Ward von halbfarbichter röthe besämet /
Stehet die prahlende hoffart beschämet.

11.
Wo denn die blutige wärme der glieder
Selber der wagen der seelen soll seyn /
Auch sie sich nirgend nicht schöner läst nieder /
Als in der lippen beblümeten schein /
Kan man die seele gewisser nicht finden /
Als auff mit blute beseeleten münden.

12.
Prüfet man ferner der lippen ihr kosen /
Muß man gezwungen bekennen / man schau
Säugende bienen / und säugende rosen /
Winckende nelcken / und tränckenden thau;
Die wohl mit thaue die lippen beküssen /
Aber nach anderen dürsten auch müssen.

13.
Zwar in der augen gestirntem gerüste
Wird die uns martende liebe gezeugt.
In den bemilcheten liljen der brüste
Wird sie mit feuer und flammen gesäugt /
Biß sie mit reiffender saate wird gelbe /
Zwischen der schooß alabaster-gewölbe.

14.
Aber man kan sie mit keinerley kosen /
Als mit gepfropfeten früchten erziehn /
Auff den mit seelen geschwängerten rosen /
Wo das begeisterte küssen wird grün /
Soll mit der zeit mit feuer und blitzen /
Können metallene herzen zuritzen.

15.
Denn wie wird können die seele der seelen /
Die uns entseelende liebe bestehn?
Wird auff der lippen rubinen hölen
Ihr nicht die säugende nahrung auffgehn?
Denn auff den lippen entstehen und stertzen /
Leben und sterben / die seelen und herzen.

16.
Hier find die seele den tod und das leben /
Auffgang und untergang / wiegen und grab.
Hier wird die glut ihr zur speise gegeben /
Und was sie nehret / das zehret sie ab.
Gleichwie der Phönix von neuem auch lebet /
Wenn er sich zwischen die flammen begräbet.

17.
Küsset demnach / ihr geküsseten / küsset /
Küsse mit küssen verwechseln steht fein.
Glaubet / ihr geber und nehmer / man büsset
Nicht an der küssenden waare hier ein.
Würde sich wer / als bevortheilt / beschweren /
Der wird dem nehmer sie doppelt gewähren.

18.
Seelen / die ihr von zwey augen entzündet /
Lustige marter und martende lust /
Ja ein unsterbliches sterben empfindet
In der entseelt und beseeleten brust /
Hier hilfft ein kuß / ein erqvick-safft den herben /
Sterben dem leben / und leben dem sterben.

19.
Hier sind die küsse das flammende kühlen /
Ja die verwundete salbe der pest /
Welche das herze beseelig't / das fühlen
Mit überzuckertem sausseln anbläst.
Küssen ist hier / das den todten das leben /
Daß er nur öffter ersterbe / kan geben.

20.
Ist / Roselinde / nun auch dein beginnen /
Meine vergnügung / dein kummer / mein schmerz?
Haben wir einerley willen und sinnen?
Haben wir zwischen zwey brüsten ein herz?
Fasset mein herze dein herze / du meines?
Ach! ach! wie seynd nicht die lippen auch eines?

21.
Ach meiner augen augapffel und sonne /
Ach meiner seelen beseelender geist!
Qvellbrunn der freuden / und wurzel der wonne /
Die mein verhängniß mich peinigen heist;
Laß dein rubin-glaß der lippen hersincken /
Daß ich daraus mir mein sterben kan trincken.

22.
Blicket / ihr sternen / in himmel der liebe /
Blicket ihr spiegel der augen mich an.
Lebende sonnen durchstrahlet das trübe /
Das euer abseyn erregen mir kan.
Will ich doch willig im blutenden herzen /
Euere blitzende pfeile verschmerzen.

23.
Reiche den perlenen purpur im munde /
Zwischen vergeisterten seuffzer mir dar.
Küssen verwundet und heilet die wunde /
Welche von küssen geritzet erst war.
Aber / wenn wird man die wunde gelosen?
Küssen sticht ärger / als dörner an rosen.

24.
Ja / wenn die lippen auff lippen sich legen /
Wenn kuß und kuß mit ergetzligkeit scherzt /
Fühlet die seele so feuriges regen /
Daß sie fast ausser sich selber wegsterzt.
Wenn sie der seuffzer geflügelter wagen
Hat auff die küssende lippen getragen.

25.
Fühlen die glieder denn solche geschäffte /
Welche die seelen den seelen entziehn /
Bald die ergänzen die mangelnden kräffte:
Fänget das marck an in adern zu glüh'n /
Und des geblütes erregete flammen
Lauffen biß zwischen die lippen zusammen.

26.
Die überrötheten wangen erwarmen /
Schwimmend in rosen und schwanger mit lust /
Und die verwechselten armen umarmen
Achsel / und neben dem halse die brust;
Eben wie dörner die winden / die reben
Ulmen / und eppich die eichen umgeben.

27.
Cypripor aber / mehr schmerzen zu schmieden /
Spielet indessen ins herze sich ein /
Zündet ein feuer an / thränen zu sieden /
Seuffzer zu kochen / das öle der pein /
Welches der seelen halbglimmende kerze
Nur noch erfrischt mit erquickendem schmerze.

28.
Unterdeß geht auff den küssenden münden
Eine gewünschte wechselung für.
Liljenlieb giebet sein herz Roselinden /
Und er empfänget die seele von ihr /
Endlich mißgönnens den lippen die augen /
Durstig das honig der lippen zu saugen.

29.
Zwischen dergleichen beliebenden nöthen
Macht sich die sterbende seele gesund /
Und die getödteten herzen ertödten /
Und das verwundete machet uns wund /
Und das verletzete leben verletzet /
Und das ergetzete sterben ergetzet.

30.
Nun o gib / daß die begeisterten lippen
Ich / Roselinde / von deinen nicht zieh.
Lasse der marmel-brust milcherne klippen
Locken vom munde kein küssen auff sie.
Tödte die mißgunst der blumichten wangen /
Welche so sehnlich nach küssen verlangen.

31.
Laßt es euch doch nicht gelüsten ihr hände;
Küssen geht eure gelencke nicht an.
Denn wie nicht werth ist der liebenden bände
Diß / was hinwieder uns lieben nicht kan:
Also soll / was uns nicht wieder kan küssen /
Auch nicht das seelige küssen geniessen.

32.
Ja das uhrälteste liebes-gesetze
Wiedmet den lippen das küssen / und will /
Daß sich die hand auff den brüsten ergetze /
Setzet die augen den wangen zum ziel.
Uber den lippen befiehlt es zu leben /
Aber die schooß ist zum sarge gegeben.

33.
Hütt euch indessen ihr münde für worten /
Fühlet der reden lieb-kosenden west.
Schleuß / Roselinde / die redenden pforten /
Daß ihr nicht etwa des küssens vergest.
Durch die mit worten verstörete herzen
Fühlen die seelen unleidliche schmerzen.

34.
Tödte der zungen gewächsiges schwätzen /
Welche die lippen im küssen verstöhrt.
Aber dafern sie soll kräfftig ergetzen /
Und nicht hinfüro zu wachsen auffhört;
Glaub' ich / daß mich eine natter will schrecken /
Welche die rosen der lippen verdecken.

35.
Hast du denn zunge so sehnlich verlangen
Einige worte der liebe zu fühl'n?
Schaue wie freundlich die züngelnde schlangen
Mit dem so schlüpffrichten zungen-gifft spiel'n.
Eben so kanst du mit züngelnden küssen /
Zwischen den lippen ihr honig geniessen.

36.
Honig geniessen / ja honig verleihen /
Wie des besilbernden perlen-thaus glaß
In den wohlriechenden nächten des mäyen
Kränzt und bezuckert das blumichte graß /
Also bezuckert das züngelnde kosen
Küssender lippen benelckete rosen.

37.
Weil nun dergleichen beliebtes besüssen /
Lippen und zungen so balsamet ein /
Pflegen die zähne mit linderen bissen
Zungen und lippen behäglich zu seyn;
Hoffende von dem liebreizenden spielen
Lieblichen seegen und regen zu fühlen.

38.
Will den die liebe mit süssem vergällen /
Zucker den zuckernen küssen verleihn /
Kan sich die schlaue so meisterlich stellen /
Küssen das müsse zu wider ihr seyn.
Ja Roselinden halb-sauere blicke
Stossen die küssende lippen zurücke.

39.
Aber allhier sind nur kinder erschrocken /
Denn ein erfahrener buhle weiß wohl:
Weigerung sey ein liebreizendes locken /
Daß er noch eifriger küssen sie soll;
Weil die mit liebe bezauberte frauen
Gerne zum küssen gezwungen sich schauen.

40.
Erstlich zwar / ehe das küssende kämpffen
Ein unerfahrener Corydon wagt /
Läst er ihm offt begierden fast dämpffen /
Weil ihm sein eigener kleinmuth absagt.
Dreymahl schlägt sie sein beginnen ihm nieder /
Endlich bereut er sein reuen erst wieder.

41.
Wagt er es auch gleich nach zweiffelnden zagen
Daß er ihr wieder ein küßgen zustellt.
Ach / ach / so ist zu dem furchtsamen wagen
Ein holgebrochenes seuffzen gestellt /
Gleichsam als nisteten zwischen den wangen
Küssender lippen verletzende schlangen.

42.
Schiene sie gleich auch gar zornig zu werden /
Buhler-zorn ist ein beliebender west /
Welcher das feuer der lauen geberden /
Welches schon halb war erloschen / auffbläst /
Und die gewäschigen liebes-gezäncke
Sind denen vereinigten herzen lust-räncke.

43.
Sencken sich gleich auch die lippen vonsammen /
Ach es rührt nicht aus ersättigung her;
Denn die mit schwefel gemehrete flammen
Fällt zu ersättigen schwerlich so schwer /
Als den nach küssend-recht lechzenden willen
Wollen mit übrigen küssen erfüllen.

44.
Nein / nein / mit diesem auffhören von küssen
Giebt man den lippen allein zu verstehn /
Was mit so weniger lieblichkeit müssen
Ihnen für kräfftige freuden entgehn /
Biß sie mit desto begierigerm herzen
Wieder durch küssende wechselung scherzen.

45.
Offtermahls sind auch die dürstigen münde
Von dem entgeisterten küssen so schwach /
Daß sie sich durch die erseuffzete winde /
Durch ein mir thränen befeuchtetes ach
Müssen nach langer bemühung erquicken /
Ferner zum küssen sich frischer zu schicken.

46.
Denn wie wenn einmahl der himmel die schnecken
Mit dem bebisamten silber-thau tränckt /
Sie ihn zum andernmahl dürstiger lecken /
Wenn er noch einmahl auff kräuter sich senckt:
Also vermehret von vielem geniessen
Sich die geschöpffte begierde zu küssen.

47.
Ja! wenn am besten die lippen bedächten /
Daß noch am meisten ein einiger kuß
Durch das mit nectar erfrischte befeuchten /
Sie von dem dürsten erledigen muß /
Ach / ach / so säh'n sie sich eher verbrennet /
Eh' sie den kuß für ein feuer erkennet.

48.
Fühlten es gleich auch die lodernden herzen /
Küssen sey eine verzehrende glut /
Eine vergifftung / ein oele den schmerzen /
Eine mit flammen ersäuffende flut /
Würden sie doch wohl im küssenden sterben
Wollen verglimmen / ersäuffen / verderben.

49.
Denn es gelüstet die rächelnden seelen /
Wenn sie die thränenden lippen anschaun /
Zwischen dergleichen zinobernen hölen
Ihnen ein lebend begräbniß zu baun /
Meynende / für dem nicht küssenden leben
Wäre der küssende tod zu erheben.

50.
Sehnlicher tod! Roselinde nun tödte!
Selige wunde! ach mache mich wund.
Lehre den / mit der verschwisterten röthe /
Und den mit pfeilen gewaffneten mund;
Denn er ist / warlich / ein köcher voll küsse /
Tödte / verwunde mich. Beydes ist süsse.

51.
Heilsamer köcher / gewünschete pfeile!
Flieget / hie habt ihr mein herze zum ziel /
Kräncket es doch / daß die kranckheit es heile /
Treffet / hier trifft / wer gleich treffen nicht will;
Denn der begierde bezauberte schmerzen
Ziehen die küssende pfeile zum herzen.

52.
Wie der magnet sich nach norden hinkehret /
Wie sich die flamme zum flammen-qvell glimmt:
Gleich wie der schwaade der erden zufähret /
Wie das geträncke der dürstige nimmt;
Also fühl ihr herz und lippen auch lechsen
Nach dem ambrosenen lippen-gewächsen.

53.
Weigerst du dich denn im glase des mundes
Mir zu gewähren das küssende gifft?
Heischet doch diß das gesetze des bundes /
Welchen mit uns hat die lippen gestifft;
Thu's / Roselinde / mein engel / ich sterbe.
Sterben ist lieblich / und leben ist herbe.

54.
Thu's / Roselinde / mein kind / aus erbarmen /
Mache mein schwindendes herze gesund /
Labe mich matten / beschencke mich armen /
Träncke den fast halb erdürsteten mund.
Küsse mich. Weist du? die küsse die haben
Kräffte zu heilen / zu träncken / zu laben.

55.
Küsse mich herze / herze mich / liebste / von herzen /
Treibe das friedsame kämpffen fein scharff /
Gönne / daß ich diß erquickende scherzen
Allemahl zehnmahl vergelten dir darff.
Billig verwechselt man süsse für süsse /
Zucker für zucker / und küsse für küße.

56.
Wirstu diß also beständig nur treiben /
Werden wir beyde beseeliget seyn /
Du / Roselinde / wirst meine verbleiben /
Wie ich ingleichen auch bleiben muß dein.
Denn die verknüpffenden küsse sind kerzen
Liebender seelen / und kochender herzen.

7.7.08

AUGUST HEINRICH HOFFMANN VON FALLERSLEBEN: JA, ÜBERSELIG HAST DU MICH GEMACHT


AUGUST HEINRICH HOFFMANN VON FALLERSLEBEN (1798-1874)


[JA, ÜBERSELIG HAST DU MICH GEMACHT!]


Ja, überselig hast du mich gemacht!
Der allerlängste Tag, er reicht nicht hin,
Und viel zu kurz ist jeder Traum der Nacht,
Zu denken, wie ich überselig bin.
Ich fühl's, um dieser Wonne ganz zu leben,
Muß Gott mir noch ein zweites Leben geben.

3.7.08

BERTOLT BRECHT: SCHLECHTE ZEIT FÜR LYRIK


BERTOLT BRECHT (1898-1956)


SCHLECHTE ZEIT FÜR LYRIK


Ich weiß doch: nur der Glückliche
Ist beliebt. Seine Stimme
Hört man gern. Sein Gesicht ist schön.

Der verkrüppelte Baum im Hof
Zeigt auf den schlechten Boden, aber
Die Vorübergehenden schimpfen ihn einen Krüppel
Doch mit Recht.

Die grünen Boote und die lustigen Segel des Sundes
Sehe ich nicht. Von allem

Sehe ich nur der Fischer rissiges Garnnetz.
Warum rede ich nur davon
Daß die vierzigjährige Häuslerin gekrümmt geht?
Die Brüste der Mädchen
Sind warm wie ehedem.

In meinem Lied ein Reim
Käme mir fast vor wie Übermut.

In mir streiten sich
Die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum
Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers.
Aber nur das zweite
Drängt mich zum Schreibtisch.

2.7.08

NELLY SACHS: DIE GEKRÜMMTE LINIE DES LEIDENS


NELLY SACHS (1891-1970)


[DIE GEKRÜMMTE LINIE DES LEIDENS]

Die gekrümmte Linie des Leidens
nachtastend die göttlich entzündete Geometrie
des Weltalls
immer auf der Leuchtspur zu dir
und verdunkelt wieder in der Fallsucht
dieser Ungeduld ans Ende zu kommen –

Und hier in den vier Wänden nichts
als die malende Hand der Zeit
der Ewigkeit Embryo
mit dem Urlicht über dem Haupte
und das Herz der gefesselte Flüchtling
springend aus seiner Berufung: Wunde zu sein –

1.7.08

JOHANN PETER UZ: AN AMOR


JOHANN PETER UZ (1720-1796)


AN AMOR


Amor, Vater süsser Lieder,
Du mein Phöbus, kehre wieder!
Kehre wieder in mein Herze!
Komm, doch mit dem schlauen Scherze.

Komm und laß zugleich Lyäen,
Dir zur Seite lachend gehen.
Komm mit einem holden Kinde,
Das mein träges Herz entzünde,
Und durch feuervolle Küsse
Zum Horaz mich küssen müsse.

Willst du, Gott der Zärtlichkeiten!
Laß auch Schmerzen dich begleiten:
Ich will lieber deine Schmerzen,
Als nicht küssen und nicht scherzen.