25.6.22

AUGUST STRAMM: TRIEBKRIEG

 


AUGUST STRAMM

 

TRIEBKRIEG

 

Augen blitzen

Dein Blick knallt auf

Heiß

Läuft das Bluten über mich

Und

Tränket

Rinnen See.

Du blitzst und blitzest.

Lebenskräfte

Lodern

Moder wahnet um

Und

Stickt

Und

Stickt.

 

21.6.22

CHRISTIAN MORGENSTERN: DAS NASOBEM

 


CHRISTIAN MORGENSTERN

 

DAS NASOBEM

 

Auf seinen Nasen schreitet

einher das Nasobēm,

von seinem Kind begleitet.

Es steht noch nicht im Brehm.

Es steht noch nicht im Meyer.

Und auch im Brockhaus nicht.

Es trat aus meiner Leyer

zum ersten Mal ans Licht.

Auf seinen Nasen schreitet

(wie schon gesagt) seitdem,

von seinem Kind begleitet,

einher das Nasobēm.

 

28.5.22

HERMANN HESSE: ALLE TODE

 


HERMANN HESSE

ALLE TODE

Alle Tode bin ich schon gestorben,
Alle Tode will ich wieder sterben,
Sterben den holzernen Tod im Baum,
Sterben ben steinernen Tod im Berg,
Irdenen Tod im Sand,
Blatternen Tod im knisternden Sommergras
Ud denm armen, blutigen Menschentod.

Blume will ich wieder geboren werden,
Baum und Gras will ich geboren werden,
Fisch und Hirsch, Vogel und Schmetterling.
Und aus jeder Gestalt
Wird mich Sehnsucht reissen die Stufen
Zu dem letzten Leiden,
Zu den Leiden des Menschen hinan.

O zitternd gespannter Bogen,
Wenn der Sehnsucht rasende Faust
Beide Pole des Lebens
Zueinander zu biegen verlangst!
Oft noch und oftmals wieder
Wirst du mich jagen von Tod zu Geburt,
Der Gestaltungen schmerzvolle Bahn,
Der Gestaltlungen herrliche Bahn.

 

26.5.20

INGEBORG BACHMANN: ES KÖNNTE VIEL BEDEUTEN



INGEBORG BACHMANN



[ES KÖNNTE VIEL BEDEUTEN]


Es könnte viel bedeuten: wir vergehen,
wir kommen ungefragt und müssen weichen.
Doch daß wir sprechen und uns nicht verstehen
und keinen Augenblick des andern Hand erreichen,

zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen.
Schon den Versuch bedrohen fremde Zeichen,
und das Verlangen, tief uns anzusehen,
durchtrennt ein Kreuz, uns einsam auszustreichen.

27.2.20

THOMAS BERNHARD: MEIN WELTENSTÜCK



THOMAS BERNHARD


MEIN WELTENSTÜCK

Vieltausendmal derselbe Blick
Durchs Fenster in mein Weltenstück
Ein Apfelbaum im blassen Grün
Und drüber tausendfaches Blühn,
So an den Himmel angelehnt,
Ein Wolkenband, weit ausgedehnt …
Der Kinder Nachmittagsgeschrei,
Als ob die Welt nur Kindheit sei;
Ein Wagen fährt, ein Alter steht
Und wartet bis sein Tag vergeht,
Leicht aus dem Schornstein auf dem Dach
Schwebt unser Rauch den Wolken nach …
Ein Vogel singt, und zwei und drei,
Der Schmetterling fliegt rasch vorbei,
Die Hühner fressen, Hähne krähn,
Ja lauter fremde Menschen gehn
Im Sonnenschein, jahrein, jahraus
Vorbei an unserem alten Haus.
Die Wäsche flattert auf dem Strick
Und drüber träumt ein Mensch vom Glück,
Im Keller weint ein armer Mann,
Weil er kein Lied mehr singen kann …
So ist es ungefähr bei Tag,
Und jeder neue Glockenschlag
Bringt tausendmal denselben Blick,
Durchs Fenster in mein Weltenstück …