27.12.12

THEODOR FONTANE: SO UND NICHT ANDERS




THEODOR FONTANE 


SO UND NICHT ANDERS

Die Menschen kümmerten mich nicht viel,
Eigen war mein Weg und Ziel.  

Ich mied den Markt, ich mied den Schwarm,
Andre sind reich, ich bin arm.  

Andre regieren (regieren noch),
Ich stand unten und ging durchs Joch. 

Entsagen und lächeln bei Demütigungen,
Das ist die Kunst, die mir gelungen.  

Und doch, wär`s in die Wahl mir gegeben,
Ich führte noch einmal dasselbe Leben. 

Und sollt` ich noch einmal die Tage beginnen,
Ich würde denselben Faden spinnen. 

ERNST STADLER: IN DIESEN NÄCHTEN


ERNST STADLER (1883-1914)



IN DIESEN NÄCHTEN

In diesen Nächten friert mein Blut nach deinem Leib, Geliebte.
O, meine Sehnsucht ist wie dunkles Wasser aufgestaut vor Schleußentoren,
In Mittagsstille hingelagert, reglos lauernd,
Begierig, auszubrechen. Sommersturm,
Der schwer im Hinterhalt geladner Wolken hält. Wann kommst du, Blitz,
Der ihn entfacht, mit Lust befrachtet, Fähre,
Die weit der Wehre starre Schenkel von sich sperrt? Ich will
Dich zu mir in die Kissen tragen so wie Garben jungen Klees
In aufgelockert Land. Ich bin der Gärtner,
Der weich dich niederbettet. Wolke, die
Dich übersprengt, und Luft, die dich umschließt.
In deine Erde will ich meine irre Glut vergraben und
Sehnsüchtig blühend über deinem Leibe auferstehn.

8.12.12

JAKOB VAN HODDIS: AM LIETZENSEE


JAKOB VAN HODDIS



AM LIETZENSEE

     Meinem Freunde Georg Heym

Die rote Sandsteinbrücke packt
Staubig die andere Seite vom schwärzlichen Tümpel.
Laternen. Das verirrte Mondlicht zackt
Über Sträucher und Wellen und träges Gerümpel.

Doch zu uns tönt der Abendschrei der Stadt.
Ich spüre noch die Lust der vielen Straßen
Und Trommelwirbel um Fortunas Rad.
Doch du stehst vor mir schläfrig und verblasen.

Feindselig reichst du mir die plumpe Hand,
Von neuem Zorn die starke Stirn betört.
Und als ich längst schon meinen Weg gerannt,
Hat alle Schritte noch dein Traum gestört.

27.11.12

ERNST STADLER: REINIGUNG


ERNST STADLER (1883-1914)



REINIGUNG

Lösche alle deine Tag' und Nächte aus!
Räume alle fremden Bilder fort aus deinem Haus!
Laß Regendunkel über deine Schollen niedergehn!
Lausche: dein Blut will klingend in dir auferstehn! -
Fühlst du: schon schwemmt die starke Flut dich neu und rein,
Schon bist du selig in dir selbst allein
Und wie mit Auferstehungslicht umhangen -
Hörst du: schon ist die Erde um dich leer und weit
Und deine Seele atemlose Trunkenheit,
Die Morgenstimme deines Gottes zu umfangen.

19.11.12

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: WANDERERS NACHTLIED




JOHANN WOLFGANG VON GOETHE


WANDERERS NACHTLIED

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

18.11.12

NOVALIS: AN MEIN SCHWERT




NOVALIS


AN MEIN SCHWERT

Ich wuchs, da gab mein Vater mir
Ein Schwert von hartem Stahl,
Nun weihe ich ein Liedchen dir
O eines Jünglings schönste Zier
Nun mein zum erstenmal.

Sei stets des Hülfbedürftgen Schutz
Geführt vom starken Arm
Und biete jedem Feinde Trutz
Sei meinen Freunden stets zu Nutz,
Zerstreu der Räuber Schwarm.

Doch diene den Tyrannen nicht
Und blink fürs Vaterland
Und hau den, der für Sklaven ficht,
(Gewiß er ist ein schlechter Wicht),
Geführt von meiner Hand.

28.8.12

BERTOLT BRECHT: UND WAS BEKAM DES SOLDATEN WEIB



BERTOLT BRECHT


UND WAS BEKAM DES SOLDATEN WEIB

Und was bekam des Soldaten Weib
Aus der alten Hauptstadt Prag?
Aus Prag bekam sie die Stöckelschuh.
Einen Gruß und dazu die Stöckelschuh
Das bekam sie aus der Stadt Prag.

Und was bekam des Soldaten Weib
Aus Warschau am Weichselstrand?
Aus Warschau bekam sie das leinene Hemd
So bunt und so fremd, ein polnisches Hemd!
Das bekam sie vom Weichselstrand.

Und was bekam des Soldaten Weib
Aus Oslo über dem Sund?
Aus Oslo bekam sie das Kräglein aus Pelz.
Hoffentlich gefällt‘s, das Kräglein aus Pelz!
Das bekam sie aus Oslo am Sund.

Und was bekam des Soldaten Weib
Aus dem reichen Rotterdam?
Aus Rotterdam bekam sie den Hut.
Und er steht ihr gut, der holländische Hut.
Den bekam sie aus Rotterdam.

Und was bekam des Soldaten Weib
Aus Brüssel im belgischen Land?
Aus Brüssel bekam sie die seltenen Spitzen.
Ach, das zu besitzen, so seltene Spitzen!
Sie bekam sie aus belgischem Land.

Und was bekam des Soldaten Weib
Aus der Lichterstadt Paris?
Aus Paris bekam sie das seidene Kleid.
Zu der Nachbarin Neid das seidene Kleid
Das bekam sie aus Paris.

Und was bekam des Soldaten Weib
Aus dem libyschen Tripolis?
Aus Tripolis bekam sie das Kettchen.
Das Amulettchen am kupfernen Kettchen
Das bekam sie aus Tripolis.

Und was bekam des Soldaten Weib
Aus dem weiten Russenland?
Aus Rußland bekam sie den Witwenschleier.
Zu der Totenfeier den Witwenschleier
Das bekam sie aus Rußland.

6.8.12

WOLFGANG WEYRAUCH: ROSA, DIE FRANKFURTERIN



WOLFGANG WEYRAUCH


ROSA, DIE FRANKFURTERIN

Beckmann, Maler, nahm sie in das Bild,
Synagoge, Litfaß-Säule, Platz
malen ist nicht schreiben. Fehlt der Satz
von der Rosa, die das Bild verhüllt.

Rosa war ein Mädchen, wie Ihr es seit,
Bürgerin aus Frankfurt an dem Main,
hatte alles, Busen, Schoß und Bein,
aber eines nicht: Gerechtigkeit.

Hatte wieder mehr als andere, Stern,
mit dem Zacken, gelb, ein Todespaß,
doch sie biß nicht in das gelbe Gras,
hatte doch das grüne Gras zu gern.

Sprang, zu Freunden, in das grüne Dach,
bis der Bomben Brand vom Himmel sprang;
wenn das Pack vom Judenmesser sang,
Rosa lag im Kohlenkasten wach.

Als der Krieg schon fast zuende war,
trieb der Hunger Rosa hoch. Und aus
wars mit ihr, und aus mit Mann und Maus,
Haut und Haar der ganzen Mörderschar.

Sind es alle? fragt der Schreiber sich,
wenn er mitten durch die Straßen streicht,
Rosas Mörder ist mein Wirt vielleicht,
und jetzt haßt er meinen Satz und mich.

Beckmann, Max, wir danken Dir Dein Bild,
Synagoge, Säule, Lampe, Draht,
gib uns einen guten Rat und gute Tat,
denn Du malest alles unverhüllt.

Seht, die Mauern, Fenster schief und krumm
seht das alte Bild: es irrt sich nicht,
unterm gelben Neonröhrenlicht
wird gefragt, die Frage läuft herum.

Schornstein, Zaun sind krumm und schief, und nur
Mond und Katze sind im Gleichgewicht.
Mensch, aus Faß und Brett mach Dein Gericht.
Stell Dich drauf. Du witterst Deine Spur.

29.7.12

ALFRED LICHTENSTEIN: DIE NACHT



ALFRED LICHTENSTEIN


DIE NACHT

Verträumte Polizisten watscheln bei Laternen.
Zerbrochne Bettler meckern, wenn sie Leute ahnen.
An manchen Ecken stottern starke Straßenbahnen,
Und sanfte Autodroschken fallen zu den Sternen.

Um harte Häuser humpeln Huren hin und wieder,
Die melancholisch ihren reifen Hintern schwingen.
Viel Himmel liegt zertrümmert auf den herben Dingen...
Wehleid'ge Kater schreien schmerzhaft helle Lieder.

28.7.12

BERTOLT BRECHT: LIED EINES FREUDENMÄDCHENS


BERTOLT BRECHT


LIED EINES FREUDENMÄDCHENS

Meine Herren, mit siebzehn Jahren
Kam Ich auf den Liebesmarkt
Und Ich habe viel erfahren
Böses gab es viel
Doch das war das Spiel
Aber manches hab ich doch verargt.
(Schlie
βlich bin ich ja auch ein Mensch.)

Gott sei Dank geht alles schnell vorüber
Auch die Liebe und der Kummer sogar.
Wo sind die Tränen von gestern Abend?
Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?

Freilich geht man mit den Jahren
Leichter auf den Liebesmarkt
Und umarmt sie dort in Scharen.
Aber das Gefühl
Bleibt erstaundlich kühl
Wenn man damit allzuwenig kargt.
(Schlie
βlich geht ja jede Vorrat zu Ende.)

Gott sei Dank geht alles schnell vorüber
Auch die Liebe und der Kummer sogar.
Wo sind die Tränen von gestern Abend?
Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?

Und auch wenn man gut das Handeln
Lernte auf der Liebesmess’:
Lust in Kleingeld zu verwandeln
Ist doch niemals leicht.
Nun, es wird erreicht.
Doch man wird auch alter unterdes.
(Schlie
βlich bleibt man ja nicht immer siebzehn.)

Gott sei Dank geht alles schnell vorüber
Auch die Liebe und der Kummer sogar.
Wo sind die Tränen von gestern Abend?
Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?
Wo sind die Tränen von gestern Abend?
Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?

27.7.12

EDUARD MÖRIKE: UM MITTERNACHT



EDUARD MÖRIKE


UM MITTERNACHT

Gelassen stieg die Nacht an Land,
lehnt träumend an der Berge Wand;
ihr Auge sieht die goldne Waage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker rauschen die Quellen hervor, 
  sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr 
    vom Tage,
    vom heute gewesenen Tage!

Das uralt alte Schlummerlied,
sie achtet's nicht, sie ist es müd;
ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
der flücht'gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
  Doch immer behalten die Quellen das Wort,
  es singen die Wasser im Schlafe noch fort
    vom Tage,
    vom heute gewesenen Tage!

9.7.12

HERMANN CONRADI: WAS FRAG’ ICH NACH ZEIT UND STUNDE



HERMANN CONRADI (1862-1890)


WAS FRAG’ ICH NACH ZEIT UND STUNDE

Was frag' ich nach Zeit und Stunde,
Wenn an deiner Brust ich lieg' -
Wenn ich küsse von deinem Munde
Der Liebe süßseligen Sieg!
Wenn ich küsse die weißen Brüste,
Den knospenden, schwellenden Leib -
Was frag' ich nach Zeit und Stunde,
Bei solch holdem Zeitvertreib!...

Was frag' ich nach Zeit und Stunde,
Rast' ich auf Linnen, schneeweiß,
Bei dir und trink' dir vom Munde
Der Liebe süßseligen Preis!
Da füllt mich ein großes Genügen,
Mein wildes Begehren versinkt ...
Was frag' ich nach Zeit und Stunde,
Wenn die Welt wie verschollen mich dünkt!...

9.6.12

HERMANN CONRADI: DAS ENDE VOM LIEDE



HERMAN CONRADI (1862-1890)


DAS ENDE VOM LIEDE

Vergessen können  ja! Das ist die Kunst,
Von allen Künsten dieser Welt die erste
Von allen Künsten dieser Welt die schwerste,
Und bist du ihrer Herr, ist alles Dunst.

Ist alles Wurst, was jemals du gewesen,
Was du geliebt, gehaßt, getan, gefehlt, gewollt,
Ob sich dein Leben prunkvoll aufgerollt,
Ob du für andre warst bequemer Besen.

Ob Sklave oder Herr  dann ist's egal,
Vergessen können  und nicht dran ersticken,
Hinunterschlucken, lachen, weiterkrücken,
Ins Leben weiter noch ein dutzendmal.

Dann tut's ja nichts!  Nun gut! Ich will's probieren,
Den letzten Lorbeerkranz will ich entblättern,
Das letzte Amulett will ich zerschmettern,
Wie man vergißt, will ich genau studieren.

Und eines Tages dann  ist mir's geglückt,
Ich atme auf in grenzenloser Leere
Und breche in die Knie und bete: Kehre,
O kehre wieder, die du mich entzückt:

Geliebte Sünde, die ich froh beging
Geliebte Reue, die ich kühn genossen.
Gemach, mein Freund! Dein Schicksal ist beschlossen
Und um dich schürzt sich des Vergessens Ring.

8.6.12

WOLFGANG WEYRAUCH: GESANG UM NICHT ZU STERBEN


WOLFGANG WEYRAUCH (1904-1980)


GESANG UM NICHT ZU STERBEN

Gesang, in Augenblicken
von keinem Laut bewegt,
wenn Schattenhäupter nicken,
vom Schattenrumpf gesägt,

Gesang, in Sand geschrieben,
weil das Papier zerriß -
wird auch der Sand zerrieben,
weil Tritium ihn biß?

Gesang, um nicht zu sterben,
Gesang, nachdem ich schlief -
selbst Staub und Tang und Scherben
sind radio-aktiv.

Gesang, die Frage stellend,
weshalb, seit wann und wie
ein Fisch, zum Maste schnellend,
gefoltert Sätze schrie?

Gesang, daß Wasserzeichen
nicht schwemmen in die Stadt,
dass keine Haie laichen
diesseits von Meer und Watt,

Gesang, kein Grab zu graben,
wenn Angst die Schaufel lenkt,
eh Trümmerfrauen haben
die Tücher aufgehängt.

Gesang, gesungen gegen
den Splitter in den Flaum -
verhört in den Gehegen,
verstummen Lied und Traum,

Gesang, Schalmei und Flöte -
die Kinder wandern aus,
der Hauch der Morgenröte
verläßt das alte Haus.

Gesang, um nicht zu sterben,
Gesang, nachdem ich schlief;
es zittert das Verderben,
gefangen, schwarz und tief.

7.6.12

LUDWIG FULDA: DIE ERSCHAFFUNG DES WEIBES



LUDWIG FULDA (1862-1939)


DIE ERSCHAFFUNG DES WEIBES
(Nach einer indischen Legende)

Brahma, Schöpfer alles Lebens,
Saß und sann im Weltenmai,
Sann und grübelte vergebens,
(seufzend:)
Wie das "W e i b" zu schaffen sei.
Denn als er den M a n n geschaffen,
Hatte seine Meisterhand
Alle festen alle straffen
Elemente schon verwandt.-
(Fragend:)
Wie das neue Werk beginnen,
Da kein Stoff mehr übrig war?
Erst nach langem, tiefem Sinnen,
Ward's ihm endlich offenbar:
(Tempo)
Und er nahm der Blume Sammet
Und den frommen Blick des Rehs
Und die Glut, die lodernd flammet,
Und den kalten Hauch des Schnees;
Nahm den schlanken Wuchs der Gerte
Und des Windes Flattersucht,
Und des Diamanten Härte
Und die Süßigigkeit der Frucht;
Nahm den zarten Schmelz vom Laube
Und den Flaum vom Sperlingskleid,
(weich:)
Das Gegirr der Turteltaube
(grausam:)
Und des Tigers Grausamkeit;
Und vom morgendlichen Rasen
Nahm er Tränenfluß des Taus,
Nahm die Furchtsamkeit des Hasen
Und die Eitelkeit des Pfaus;
Nahm vom Schilfe das Gezitter
Und des Vollmonds schwelllend Rund
Und des Sonnenstrahles Flitter
Und des Hähers Plappermund;
Nahm der Kletterpflanze Schlingen,
Nahm der Schlange Wellenleib,
(mit gewisser gläubiger Begeisterung:)
Und aus a l l e n diesen Dingen
Schuf der Weltenherr das - "W e i b". -
Und dem Manne zum Genossen
gab er es mit güt'gem Sinn;
(aufgeregt:)Doch bevor ein Mond verflossen,
Trat der Mann vor Brahma hin,
(verlegen)
Und er sprach: O Herr, das Wesen,
Das du mir so gnadenvoll
Zur Gesellschaft hast erlesen,
Macht mich elend, macht mich toll.
Ach, es p l a p p e r t Tag'und Nächte,
Raubt mir S c h l a f und Z e i t und R u h ',
F o r d e r t viel, doch n i e das
R e c h t e,
Stört und quält mich immerzu.
(verzweifelt:)
Es vergiftet mir mein Leben,
Es zertrümmert mir mein Glück
(flehend:)
D u , der mir das Weib gegeben,
Großiger Brahma, n i m m 's   z u r ü c k !
(Erzählend:)
- Brahma tat nach seiner Bitte;
Doch nach einer Woche schon,
trat der Mann mit raschem Schritte
Wiederum vor seinen Thron.
(Furchtsam:)
"Herr", so sprach er scheu bekommen,
"Meines Jammers dich erbarm".
(Als sei es ihm selbst unverständlich:)
Seit mir dies Geschöpf genommen,
Ward mein Leben leer und arm.
(Sinnlich:)
Ach, gedenken muß ich täglich,
Wie dies Wesen tanzt'und sang,
Wie's mich ansah, herzbeweglich
Und mit weichem Arm umschlang,
Die geschmeidig sanften Glieder
Und das liebliche Gesicht.
(Bittend:)
Brahma, gib das Weib mir w i e d e r ,
(jauchzend:)
Meines Lebens Lust und Licht!"
(Erzählend:)
Brahma stillte sein Verlangen
Doch drei Tage kaum vergangen
Kam der Mann mit bleichen Wangen
Abermals zurück und sprach:
(zerknirscht:)
"Sieh mich, Herr, voll bitt'rer Reue!
Ach, ich war ein blinder Tor;
Seit das Weib mir ward aufs n e u e ,
Bin ich ä r m e r als zuvor.
(Entschlossener Trotz:)
Niemals wieder mich betrügen
Wird ihr Lächeln und ihr Kuß
(kleinlaut:)
Winzig klein ist das Vergnügen,
(bedeutungsvoll:)
Riesengroß ist der Verdruß.
Ach, mir blieb kein Hoffnungsschimmer;
Drum erhör'mich, großiger Gott;
(flehend:)
N i m m   d a s   W e i b   m i r   a b
f ü r    i m m e r ! "
(Streng, zornig:)
Brahma forsch: "Bin ich dein Spott?!
(Befehlend:)
Scher'dich heim! Für deine Klagen
Bleibt mein Ohr fortan verschanzt;
Lern's so gut es geht, ertragen,
Was Du nicht entbehren kannst."
(Seufzend:)
Traurig schlich der Mann von hinnen,
Und im Wandern seufzt'er bang':
"Großiger Brahma, nicht entrinnen
Werd' ich meinem Untergang.
Was du mir heraufbeschworen
Durch das Weib, verschmerz'ich nie;
B e i d e m a l bin ich v e r l o r e n -
M i t ihr - - - oder o h n e sie."

10.4.12

ERNST BLASS: KREUZBERG





ERNST BLASS


KREUZBERG 1

Blaßmond hat Hall und Dinge grau geschminkt.
Das Wundern lernte selbst der karge Greis,
Der unten, auf der Bank, im engsten Kreis
Vor sich den mageren Spazierstock schwingt.

Da liegt die große Stadt: schwer, grau und weiß,
Ein Rauchen, Greifen, Atmen, daß es stinkt.
Eh sie dem heil'gen Tag das Dunkle wild entringt,
Erwachen Nerventräume, blaß und heiß.

Fort mit dem süßen Blick! Fort mit dem Kusse!
Hörst du die roten Nacht- und Not- Alarme?
Die heißen, blassen Träume sind verstreut.

Mir stehen riesige, liebes-, hasseswarme
Gebäude zu durchwandern weit bereit.
Da unten rollen meine Autobusse!  



KREUZBERG 2

Wir schleifen auf den müdgewordnen Beinen
Die Trägheit und die Last verschlafner Gierden.
Uns welkten (ach so schnell!) die bunten Zierden.
Durch Dunkliges kriecht geil Laternenscheinen.

Im Trüben hat ein träger Hund gebollen.
Auf Bänken übertastet man die Leiber
Zum Teile gar nicht unsympathscher Weiber.
Die schaukeln noch - wir wissen, was wir wollen.

Du gähnst mich an - in deinem Gähnen sielt
Sich halbverfaulte Geilheit. Hundgebelle.
Und durch das überlaubte Dings da schielt,
In Stein gemetzt, der Bürgermeister Zelle.

9.4.12

GÜNTER GRASS: WAS GESAGT WERDEN MUSS



GÜNTER GRASS


WAS GESAGT WERDEN MUSS

Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.

8.4.12

WALTER HASENCLEVER: DER GEFANGENE






DER GEFANGENE

Keiner, der durch Vorstadt kreisend zieht,
Weiß, wen er liebt, an welches Weib er denkt.
Manchmal in Caféhaus- Walzerlied
Geschieht ein Blick, der ihn beglückt und kränkt.
Aufschäumt der schönen Jugend Melodie,
Gesicht und Ruhm und erstes Zeitungswort;
Schwarzer Fluß mit schmerzlicher Magie
Erscheint im Westen an dem alten Ort.
Dort lebt ein Herz, das, vielen zugesellt,
Sich tiefer senkte auf des Schicksals Grund;
Ein Herz mit ungeheurer Flamme: Welt -
Das jetzt trübe steigt in unsern Mund.
Noch sind Lokale mitternacht-erfüllt,
Geheul von Bürgern, die wir langsam töten.
Wird sich die ewige Stadt dem Antlitz röten?
Entschreiten wir der Ebene unverhüllt!
Schon aus beklommenem Hirn im Nebelschein
Glüht unterirdisch dumpfer Züge Fliehn.
Da stürzt der Kreisel in die Sinne ein,
Morgen steht - der Morgen über Berlin.
Ihr alle in Gefahr und Liebesgraun:
Wir wollen nach den weißen Pferden schaun.
Es schließt der Kreis sich um Gespenst und Jahr;
Lustfrohe Zeit, auch du, wie wunderbar.
Der süßen Gegenwart entrückter Sinn
Erhebt sich östlich zu der Lichtstadt hin,
Die riesenhaft in singender Gestalt
Am körperlosen Äther dir erschallt.
Die Droschke stolpert, wo wir oft gekniet
Vor einer Dame, welche unbekannt,
Bis ihre Strümpfe, die man plötzlich sieht,
Die unbequeme Lust zerriß und fand.
Als wir müde auf den Korridor
Hintraten, aufgeweckt, ins Schlummerland:
Welch ein Gedanke, wenn am fremden Tor
Noch eine kleine Lampe einsam stand.
Die Jalousie strömt fort in blauem Glanz;
Durch spitze Flächen ins Gehirn läuft Tanz.
Die Transparente über Wolk und Stern
Sind längst vergangen...ja, auch Du bist fern.
Bald stirbt die Nacht am rosa Firmament,
Schon nahen Vögel, die nach Süden ziehn;
Wo bist du, Volk, das meinen Namen nennt?
Die Wolke flammt - der Morgen über Berlin.

31.1.12

BERTOLT BRECHT: DAS LIED VON DER UNZULÄNGLICHKEIT DES MENSCHLICHEN STREBENS


BERTOLT BRECHT


DAS LIED VON DER UNZULÄNGLICHKEIT DES MENSCHLICHEN STREBENS


Der Mensch lebt durch den Kopf
der Kopf reicht ihm nicht aus
versuch es nur; von deinem Kopf
lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlau genug
niemals merkt er eben
jeden Lug und Trug.

Ja; mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlecht genug:
doch sein höch´res Streben
ist ein schöner Zug.

Ja; renn nur nach dem Glück
doch renne nicht zu sehr!
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht anspruchslos genug
drum ist all sein Streben
nur ein Selbstbetrug.

Der Mensch ist gar nicht gut
drum hau ihn auf den Hut
hast du ihn auf den Hut gehaut
dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht gut genug
darum haut ihn eben
ruhig auf den Hut.

29.1.12

WALTER HASENCLEVER: BEGEGNUNG


WALTER HASENCLEVER


BEGEGNUNG


Sag aus meer- und wolkenhaftem Munde,
Schon verirrt in deines Bettes Nacht,
Wo du mit dem andern schliefst im Bunde:
Welche Stunde bist du aufgewacht?

Wann begannen dunkel dir zu tönen
Uhr und Glas auf deines Tisches Rand;
Wann erhobst du dich aus dumpfem Stöhnen,
Schauernd unter einer fremden Hand?

In derselben ängstlichen Sekunde
Schloß mir jene auf ihr Gartentor,
Wo ich stand verloren in der Runde
Schwarzer Bäume und dem Sternenchor.

Plötzlich allen nächtlichen Verbannten
War ich nahe in der gleichen Zeit -
Und da fühlt ich, daß wir uns erkannten
Tief in Treue aus der Wirklichkeit.

10.1.12

WOLFGANG WEYRAUCH: DER FUSGÄNGER


WOLFGANG WEYRAUCH (1904-1980)


DER FUSGÄNGER


ich bin ein Vertreter
vertrete alles
auf die Ware kommt es nicht an
entweder hats kaum jemand
dann sind Sie eine moderne Hausfrau
oder viele habens
dann gehn Sie mit der Zeit

ich bin ein Meinungsforscher
wir machen einen Querschnitt
aber der Querschnitt
ist unser Querschnitt
objektiv ist keiner
wie man sich bettet
so liegt die Zukunft

ich bin eine Handleserin
die Linien sind
wie sie sind
aber die Linien sind die Zukunft
gefällt mir der Kunde
wirds ihm gut gehen
aber nicht ganz
ganz fällt auf

ich bin ein Bettler
schluck die Krümel
damit sich die oben nicht verschlucken
zuviel ist ungesund
die unten dürfen teilnehmen
Gnade ist freiwillig
kostet nichts

ich bin ein Kind
alle schubsen mich
bald bin ich kein Kind mehr
dann schubs ich

ich bin eine Schülerin
meine Lehrer tun mir leid
meine fast vergessenen Liebhaber
gibst Du mir eine 1

ich bin eine Clofrau
bin dabei
wenn alle gleich sind
alle gleich winzig
Groschen und Schlitz
Geschäft und Rolle
alle sind abhängig von mir

ich bin ein Geheimdienstler
bin für die Sicherheit eingesetzt
die Sicherheit der wenigen
ist wichtiger als die der vielen

ich bin ein Libero
habs in den Beinen
mein Kopf ist eine taube Nuss
aber letzten Samstag wurde ich gescheit
ich machte einen falschen Tritt
altre ich

ich bin eine Hausfrau
nehm die Eier
schlagt das Eigelb mit dem Schneebesen
schlagts zu einer cremeartigen Masse
schlagt das Eiweiss zu steifem Schnee
der Schnitt mit dem Messer muß zu sehn sein
bald ist die Torte fertig
so ißt mein Mann sie gern

8.1.12

ERNST BLASS: ARRANGEMENT


ERNST BLASS


ARRANGEMENT


Ein blauer Abendhimmel, stilisiert.
Singvögel, die teils fleuchen und teils kreuchen.
Es tanzen mehrmals komisch an zuviert
Schutzmannskordone mit geschwollnen Bäuchen.

Ein Cyrano, teils sehnend und teils sehnig,
Schlägt wundervoll heroische Kapritzen.
Es steigt aus den geschärften Häuserspitzen
Der Mond, ein pittoresker Kegelkönig.

7.1.12

WALTER HASENCLEVER: DIE ROTE LATERNE


WALTER HASENCLEVER


DIE ROTE LATERNE


Auf einmal wird es menschenleer,
Als blieb die Straße stehn
Im Dunkeln, und man hört nichts mehr
Als immer nur sein eignes Gehn.

Aus dieser abgeschiedenen Welt
Hebt sich in grauem Ton ein Haus.
Halb offen ist das Tor, es fällt
Ein matter Glanz aus ihm heraus.

Und nur der Glanz - sonst tot und leer.
Wie eigentümlich diese Angst,
Mit der Du plötzlich immer mehr
Herein und nach der Klinke langst.

Wie eigentümlich dieser Mut,
Mit dem Du nun an nichts mehr denkst,
Auf einmal drin bist und den Hut
An irgend einen Nagel hängst.