26.12.09
TRAKL: IM ROTEN LAUBWERK VOLL GUITARREN…
GEORG TRAKL
IM ROTEN LAUBWERK VOLL GUITARREN…
Im roten Laubwerk voll Guitarren
Der Mädchen gelbe Haare wehen
Am Zaun, wo Sonnenblumen stehen.
Durch Wolken fährt ein goldner Karren.
In brauner Schatten Ruh verstummen
Die Alten, die sich blöd umschlingen.
Die Waisen süß zur Vesper singen.
In gelben Dünsten Fliegen summen.
Am Bache waschen noch die Frauen.
Die aufgehängten Linnen wallen.
Die Kleine, die mir lang gefallen,
Kommt wieder durch das Abendgrauen.
Vom lauen Himmel Spatzen stürzen
In grüne Löcher voll Verwesung.
Dem Hungrigen täuscht vor Genesung
Ein Duft von Brot und herben Würzen.
25.12.09
FRIEDRICH RÜCKERT:ABENDFEIER
HEINRICH HEINE: BELSATZAR
HEINRICH HEINE (1797-1856)
BELSATZAR
Die Mitternacht zog näher schon;
In stummer Ruh lag Babylon.
Nur oben in des Königs Schloß,
Da flackerts, da lärmt des Königs Troß.
Dort oben in dem Königssaal
Belsatzar hielt sein Königsmahl.
Die Knechte saßen im schimmernden Reihn,
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht;
So klang es dem störrigen Könige recht.
Des Königs Wangen leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.
Und blindlings reißt der Mut ihn fort;
Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.
Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.
Der König rief mit stolzem Blick;
Der Diener eilt und kehrt zurück.
Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.
Und der König ergriff mit frevler Hand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.
Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
Und rufet laut mit schäumendem Mund:
Jehovah! Dir künd' ich auf ewig Hohn -
Ich bin der König von Babylon!
Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König wards heimlich im Busen bang.
Das gellende Lachen verstummte zumal;
Es wurde leichenstill im Saal.
Und sieh! Und sieh! an weißer Wand
Da kams hervor wie Menschenhand;
Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
Der König stieren Blicks da saß,
Mit schlotternden Knien und totenblaß.
Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
Und saß gar still, gab keinen Laut.
Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
Belsazar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.
19.12.09
KLABUND: PFINGSTEN
KLABUND (1890-1928)
PFINGSTEN
Schöne Zeit von Himmelfahrt
Bis zum nahen Pfingsten,
Wo der Geist sich offenbart
Groß auch im Geringsten.
Glockenklang erschallt vom Dom,
Und zur Lust des Maien
Wallt hinaus der Menschenstrom,
Alles will sich freuen!
Freue sich, wer Gutes tat,
Wer dafür gestritten,
Wer gestreut der Zukunft Saat,
Und auch wer gelitten!
Ja, ich weiß, es wird geschehn,
Was wir jetzt noch hoffen,
Daß zum Glück die Tore stehn
Allen einst noch offen.
Daß man nicht mehr sieht verirrt
Scharen Lebensmüder;
Keine Herde und kein Hirt,
Freie nur, nur Brüder!
Wenn kein Druck den Geist mehr dämpft,
Wenn ein zweites Eden,
Aber schöner, weil erkämpft,
Folgt auf unsre Fehden.
Eines Himmels Erdenfahrt
Und ein andres Pfingsten,
Wo der Geist sich offenbart,
Groß auch im Geringsten
12.12.09
GERTRUD KOLMAR: DER ENGEL IM WALDE
GERTRUD KOLMAR (1894-1943)
DER ENGEL IM WALDE
Gib mir deine Hand, die liebe Hand, und komm mit mir;
Denn wir wollen hinweggehen von den Menschen.
Sie sind klein und böse, und ihre kleine Bosheit haßt und peinigt uns.
Ihre hämischen Augen schleichen um unser Gesicht, und
ihr gieriges Ohr betastet das Wort unseres Mundes.
Sie sammeln Bilsenkraut . . .
So laß uns fliehn
Zu den sinnenden Feldern, die freundlich mit Blumen und
Gras unsere wandernden Füße trösten,
An den Strom, der auf seinern Rücken geduldig wuchtende
Bürden, schwere, güterstrotzende Schiffe trägt,
Zu den Tieren des Waldes, die nicht übelreden.
Komm.
Herbstnebel schleiert und feuchtet das Moos mit dumpf
smaragdenem Leuchten.
Buchenlaub rollt, Reichtum goldbronzener Münzen.
Vor unseren Schritten springt, rote zitternde Flamme,
das Eichhorn nur.
Schwarze gewundene Erlen züngeln am Pfuhl empor in
kupfriges Abendglasten.
Komm.
Denn die Sonne ist nieder in ihre Höhle gekrochen, und ihr
warmer rötlicher Atem verschwebt.
Nun tut ein Gewölb sich auf.
Unter seinem graublauen Bogen zwischen bekrönten Säulen
der Bäume wird der Engel stehn,
Hoch und schmal, ohne Schwingen.
Sein Antlitz ist Leid.
Und sein Gewand hat die Bleiche eisig blinkender Sterne
in Winternächten.
Der Seiende,
Der nicht sagt, nicht soll, der nur ist,
Der keinen Fluch weiß noch Segen bringt und nicht in
Städte hinwallt zu dem, was stirbt :
Er schaut uns nicht
In seinem silbernen Schweigen.
Wir aber schauen ihn,
Weil wir zu zweit und verlassen sind.
Vielleicht
Weht ein braunes, verwelktes Blatt an seine Schulter,
entgleitet;
Das wollen wir aufheben und verwahren, ehe wir weiterziehn.
Komm, mein Freund, mit mir, komm.
Die Treppe in meines Vaters Haus ist dunkel und krumm
und eng, und die Stufen sind abgetreten;
Aber jetzt ist es das Haus der Waise, und fremde Leute wohnen darin.
Nimm mich fort.
Schwer fügt der alte rostige Schlüssel im Tor sich meinen
schwachen Händen.
Nun knarrt es zu.
Nun sieh mich an in der Finsternis, du, von heut meine Heimat.
Denn deine Arme sollen mir bergende Mauern baun,
Und dein Herz wird mir Kammer sein und dein Auge mein
Fenster, durch das der Morgen scheint.
Und es türmt sich die Stirn, da du schreitest.
Du bist mein Haus an allen Straßen der Welt, in jeder
Senke, auf jedem Hügel.
Du Dach, du wirst ermattet mit mir unter glühendem
Mittag lechzen, mit mir erschauern, wenn Schneesturm
peitscht.
Wir werden dürsten und hungern, zusammen erdulden,
Zusammen einst an staubigem Wegesrande sinken und weinen...
10.12.09
LOUISE VON PLÖNNIES: ZWEI BÄUME
LOUISE VON PLÖNNIES (1803-1872)
ZWEI BÄUME
Zwei Bäume hab' ich einst im Wald gesehn,
Die wollten sich einander nahe stehn.
Sie schau'n sich an voll Sehnsucht, möchten gern
Sich fest umschlingen; doch sie stehn zu fern,
Denn andrer Grund ist Jedem angewiesen,
Darin des Lebens starke Wurzeln sprießen.
So neigt sich Jeder still zum Andern hin,
Der Eine scheint den Andern anzuzieh'n,
Bis es zuletzt gelingt den schlanken Zweigen,
Sich in den Kronen liebend zu erreichen.
Wie sie die Aeste in einander flechten,
Sind sie beschirmt von liebevollen Mächten;
In blauen Lüften, wo die Wolken jagen,
Da dürfen sie sich ihre Sehnsucht klagen.
Sie dürfen Blüth' um Blüthe selig tauschen,
An ihren Düften wonnig sich berauschen.
Sie stehn, vom Licht des Abendroths umglüht,
Gleich wie von tausend Rosen überblüht;
Verklärend weben aus der Himmelsferne
Ihr heilig Licht darum die ew'gen Sterne.
So möcht' ich mich mit dir zur Höhe schwingen,
Mit tausend Liebesarmen dich umschlingen,
Mit meines Herzens innigsten Gedanken
Dich unauflöslich fassen und umranken.
So möcht' ich deinem höchsten Leben lauschen,
So möcht' ich Seel' um Seele mit dir tauschen,
Hoch über'm düstern Nebelreich der Erden,
Im Himmelblau mit dir vereinigt werden,
Wo keines Menschen Augen auf uns sehn,
Wo nur die Sterne auf und niedergehn.
1.12.09
GEORG TRAKL: DIE RABEN
GEORG TRAKL
DIE RABEN
Über den schwarzen Winkel hasten
Am Mittag die Raben mit hartem Schrei.
Ihr Schatten streift an der Hirschkuh vorbei
Und manchmal sieht man sie mürrisch rasten.
O wie sie die braune Stille stören,
In der ein Acker sich verzückt,
Wie ein Weib, das schwere Ahnung berückt,
Und manchmal kann man sie keifen hören
Um ein Aas, das sie irgendwo wittern,
Und plötzlich richten nach Nord sie den Flug
Und schwinden wie ein Leichenzug
In Lüften, die von Wollust zittern.
15.11.09
AUGUST KOPISCH: DIE ROGGENMUHME
13.11.09
GEORG HERWEGH: AN DIE DEUTSCHEN DICHTER
GEORG HERWEGH (1817-1875)
AN DIE DEUTSCHEN DICHTER
Seid stolz! es klingt kein Gold der Welt
Wie eurer Saiten Gold;
Es ist kein Fürst so hoch gestellt,
Daß ihr ihm dienen sollt!
Trotz Erz und Marmor stürb er doch,
Wenn ihr ihn sterben ließet;
Der schönste Purpur ist annoch
Das Blut, das ihr als Lied vergießet!
Der Ruhm der Herrscher wird verweht -
Lobpreis ihn, wer da will!
Man jagt und spornt ihn, doch er steht
Mit ihrem Herzen still.
O laßt sie donnern fort und fort!
An ihrem Grab verhallt es.
Ihr Dichter, sprecht ein grollend Wort,
Und zu dem ew'gen Gotte schallt es!
Es hat dem Vogel in dem Nest
Der Himmel nie gewankt;
Er dünkt die Mächtigen nur fest,
Solang der Thron nicht schwankt!
Palast und Purpur hin und her,
Ob Glanz sie überschütte -
Seid stolz, seid stolz, ihr seid ja mehr;
Seid ihr nicht Könige der Hütte?
Blitzt ewig nicht der Tau im Feld
Gleich wie der Diamant?
Ist nicht ob dieser ganzen Welt
Ein Baldachin gespannt?
Wiegt nicht die Rebe, die hinauf
An einem Strohdach gleitet,
Den unfruchtbaren Efeu auf,
Der sich um Zwingherrnburgen breitet?
Hoch, Sänger, schlage euer Herz,
Wie Lerchen in der Luft!
Es ruht sich besser allerwärts
Als in der Fürstengruft.
Ein Liebchen, das die Treue bricht,
Ist überall zu finden;
Verschmähet mir die Ringe nicht,
Doch laßt euch nie an Ketten binden!
Dem Volke nur seid zugetan,
Jauchzt ihm voran zur Schlacht,
Und liegt's verwundet auf dem Plan,
So pfleget sein und wacht!
Und so man ihm den letzten Rest
Der Freiheit will verkümmern,
So haltet nur am Schwerte fest
Und laßt die Harfen uns zertrümmern!
2.11.09
SOPHIE ALBRECHT: LIEBE
SOPHIE ALBRECHT (1757-1840)
LIEBE
Süße Qual in meinem Herzen,
Die sein holder Name giebt,
Ruft mit tausendfachen Schmerzen:
Nie als jetzt hab' ich geliebt!
Dieses Klopfen, dieses Sehnen,
Ha! wem gilt der Flammenstreit?
Sind der Tugend diese Thränen?
Sind der Wollust sie geweiht?
Sehnsucht, wie sie keine kannte,
Seit die Lieb' ein Weib gekannt,
Knüpfst du himmlisch unsre Bande?
Wirst du Unschuld noch genannt?
Tausend kühne Wünsche beben,
Kühn vermess'ne Pulse fliehn -
Wollt' ich ihnen Namen geben,
Würde Schaam die Stirn' umglühn.
Selbst der Tugend ernste Büste -
Einst mein schönstes Heiligthum -
Wandelt, seit sein Mund mich küßte,
Sich zur Liebesgöttin um.
1.11.09
SOPHIE MEREAU: MITGEFÜHL
SOPHIE MEREAU (1770-1806)
MITGEFÜHL
Wer nicht, voll reiner Menschenhuld,
mit rascher, schöner Ungeduld,
der Brüder tiefes Leiden sieht,
und tätig es zu lindern glüht;
Der, dessen Herz nicht höher schlägt,
von Mitempfindung süß bewegt,
wenn, von des Glückes Hauch belebt,
die Freude fremde Busen hebt:
Und flög' sein Nam' im Lichtgewand
des Ruhmes über Meer und Land,
und ordnete sein Herrscherblick
von Millionen das Geschick;
Und hätte ihm des Schicksals Hand
der Gaben schönste zugesandt:
das Glück, geliebt zu sein - gebricht
ihm dies Gefühl - ich neid' ihn nicht!
O Mitgefühl, der Menschheit Glück!
was trocknete den nassen Blick
was hielt' an der Verzweiflung Rand
zurück, wär's nicht der Freundschaft Hand?
Sei ewig, ewig heilig mir!
Schon manche Freude dank' ich dir.
Weint einst mein Aug' in Mißgeschick,
so tröste mich dein Engelblick!
31.10.09
KARL MARX:IN SEINEM SESSEL…
KARL MARX
IN SEINEM SESSEL…
In seinem Sessel, behaglich dumm,
Sitzt schweigend das deutsche Publikum.
Braust der Sturm herüber, hinüber,
Wölkt sich der Himmel düster und trüber,
Zischen die Blitze schlängelnd hin,
Das rührt es nicht in seinem Sinn.
Doch wenn sich die Sonne hervorbeweget,
Die Lüfte säuseln, der Sturm sich leget,
Dann hebt's sich und macht ein Geschrei,
Und schreibt ein Buch: "der Lärm sei vorbei."
Fängt an darüber zu phantasieren,
Will dem Ding auf den Grundstoff spüren,
Glaubt, das sei doch nicht die rechte Art,
Der Himmel spaße auch ganz apart,
Müsse das All systematischer treiben,
Erst an dem Kopf, dann an den Füßen reiben,
Gebärd't sich nun gar, wie ein Kind,
Sucht nach Dingen, die vermodert sind,
Hätt' indessen die Gegenwart sollen erfassen,
Und Erd' und Himmel laufen lassen,
Gingen ja doch ihren gewöhnlichen Gang,
Und die Welle braust ruhig den Fels entlang.
21.10.09
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: DER KÖNIG IN THULE
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)
DER KÖNIG IN THULE
Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert' ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
Sooft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
Zählt' er seine Städt im Reich,
Gönnt' alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.
Er saß beim Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vätersaale,
Dort auf dem Schloß am Meer.
Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut,
Und warf den heil'gen Becher
Hinunter in die Flut.
Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer.
Die Augen täten ihm sinken;
Trank nie einen Tropfen mehr.
19.10.09
HEDWIG LACHMANN: SPAZIERGANG
HEDWIG LACHMANN (1865-1918)
SPAZIERGANG
Die Sonne steht schon tief. Wir scheiden bald.
Leis sprüht der Regen. Horch! Die Meise klagt.
Wie dunkel und verschwiegen ist der Wald!
Du hast das tiefste Wort mir nicht gesagt.-
Zwei helle Birken an der Waldeswand.
Ein Spinngewebe zwischen beiden, sieh!
Wie ist es zart von Stamm zu Stamm gespannt!
Was uns zu tiefst bewegt, wir sagen's nie.-
Fühlst du den Hauch? Ein Zittern auf dem Grund
Des Sees. Die glatte Oberfläche bebt.
Wie Schatten weht es auch um unsern Mund-
Wir haben wahrhaft nur im Traum gelebt.-
18.10.09
ADELBERT VON CHAMISSO: IM HERBST
ADELBERT VON CHAMISSO (1781-1838)
IM HERBST
Niedrig schleicht blaß hin die entnervte Sonne,
Herbstlich goldgelb färbt sich das Laub, es trauert
Rings das Feld schon nackt und die Nebel ziehen
Über die Stoppeln.
Sieh, der Herbst schleicht her und der arge Winter
Schleicht dem Herbst bald nach, es erstarrt das Leben;
Ja, das Jahr wird alt, wie ich alt mich fühle
Selber geworden!
Gute, schreckhaft siehst du mich an, erschrick nicht;
Sieh, das Haupthaar weiß, und des Auges Sehkraft
Abgestumpft; warm schlägt in der Brust das Herz zwar,
Aber es friert mich!
Naht der Unhold, laß mich ins Auge ihm scharf sehn:
Wahrlich, Furcht nicht flößt er mir ein, er komme,
Nicht bewußtlos rafft er mich hin, ich will ihn
Sehen und kennen.
Laß den Wermutstrank mich, den letzten, schlürfen,
Nicht ein Leichnam längst, ein vergeßner, schleichen,
Wo ich markvoll einst in den Boden Spuren
Habe getreten.
Ach! ein Blutstrahl quillt aus dem lieben Herzen:
Fasse Mut, bleib stark; es vernarbt die Wunde,
Rein und liebwert hegst du mein Bild im Herzen
Nimmer vergänglich.
11.10.09
HERMANN ALLMERS: WALDEINSAMKEIT
HERMANN ALLMERS (1821-1902)
WALDEINSAMKEIT
O zaubergrüne Waldeseinsamkeit,
Wo alte, dunkle Fichten stehn und träumen,
Wo klare Bächlein über Kiesel schäumen
In tief geheimer Abgeschiedenheit.
Nur Herdenglockenlaut von Zeit zu Zeit,
Und leises Säuseln oben in den Bäumen,
Dann wieder Schweigen wie in Tempelräumen,
O zaubergrüne Waldeseinsamkeit! -
Hier sinkt des Erdendaseins enge Schranke,
Es fühlt das Herz sich göttlicher und reiner,
Als könnt es tiefer schauen und verstehen.
Da löst sich manch unsterblicher Gedanke;
Woher das kommt, das ahnet selten einer, -
Es ist des Weltengeistes nahes Wehen.
1.10.09
FRIEDRICH VON SCHILLER: BREITE UND TIEFE
FRIEDRICH VON SCHILLER (1759-1805)
BREITE UND TIEFE
Es glänzen Viele in der Welt,
Sie wissen von allem zu sagen,
Und wo was reizet, und wo was gefällt,
Man kann es bei ihnen erfragen;
Man dächte, hört man sie reden laut,
Sie hätten wirklich erobert die Braut.
Doch gehn sie aus der Welt ganz still,
Ihr Leben war verloren.
Wer etwas Treffliches leisten will,
Hätt' gern was Großes geboren,
Der sammle still und unerschlafft
Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.
Der Stamm erhebt sich in die Luft
Mit üppig prangenden Zweigen;
Die Blätter glänzen und hauchen Duft,
Doch können sie Früchte nicht zeugen;
Der Kern allein im schmalen Raum
Verbirgt den Stolz des Waldes, den Baum.
29.9.09
FRIEDERIKE KEMPNER: WANDERLIED
FRIEDERIKE KEMPNER (1836-1904)
WANDERLIED
Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh',
Schöne Damen, liebe Herrn
Kaufet freundlich, kaufet gern,
Brauch's auf Brot, und brauch's auf Bier,
Und das gönnt ihr sicher mir.
Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh',
In der Kälte, in der Glut,
Keiner meiner Füße ruht,
Such' am Herde einen Platz,
Finde keinen, keinen Schatz.
Schöne Damen, liebe Herrn
Kaufet freundlich, kaufet gern,
Komm aus fernem Lande her
Und dem Fremdling wird's so schwer:
Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh'!
27.9.09
THEOBALD HOCK: VON ART DER DEUTSCHEN POETEREY
THEOBALD HOCK (1573-1625)
VON ART DER DEUTSCHEN POETEREY
Die Deutschen haben ein b'sonder Art und Weise /
Dass sie der fremden Völker Sprach mit Fleisse /
Lernen und wöllen erfahrn /
Kein Müh nicht spar'n /
In ihren Jahren.
Wie solches den ist an ihm selbs' hoch z'loben /
Drauss man ihr Geschicklichkeit gar wol kan proben /
Wenn sie nur auch ihr eigene Sprachen /
Nit unwerth machen /
Durch solche Sachen.
Den ander Nationen also b'scheide /
Ihr Sprach vor ändern loben und preisen weidte /
Manch Reimen drin dichten /
So künstlich schlichten /
Und z'sammen richten.
Wir wundern uns dass die Poeten gschriben /
So künstlich Vers und Meisterstück getrieben /
Dass doch nit ist solch wunder /
Weil sie gschrieben b'sunder /
Ihr Sprach jetzunder.
Den sein Ouidius und Maro Gierte /
Nit gwesen Reimer also hoch geehrte /
Die sie in der Mutter Zungen /
Lateinisch gsungen /
Dass ihnen g'lungen.
Warumb sollen wir den unser Teutsche Sprachen /
In gwisse Form und Gsatz nit auch mögen machen /
Und Deutsches Carmen schreiben /
Die Kunst zutreiben /
Bei Mann und Weiben.
So doch die Deutsche Sprach vil schwerer eben /
Alss ander all / auch vil mehr müh thut geben /
Drin man muss obseruiren /
Die Silben recht führen /
Den Reim zu zieren.
Man muss die Pedes gleich so wol scandiren,
Den Dactilum und auch Spondeum rieren /
Sonst wo das nit würd gehalten /
Da sein d'Reim gespalten /
Krumb und voll falten.
Und das nach schwerer ist so sollen die Reime /
Zu letzt grad zsammen gehn und gleine /
Das in Lateiner Zungen /
Nit würdt erzwungen /
Nicht dicht noch g'sungen.
Drumb ist es vil ein schwerer Kunst recht dichten /
Die Deutsche Reim alls eben Lateinisch schlichten /
Wir mögen neue Reim erdencken /
Und auch dran hencken /
Die Reim zu lencken.
Niembt sich auch billich ein Poeten nennet /
Wer d'Griechisch und Lateinisch Sprach nit kennet /
Noch d'Singkunst recht thut riehen /
Vil Wort von Griechen /
Ins Deutsch her kriechen.
Noch dürffen sich vil Teutsche Poeten rühmen /
Sich also schreiben die besser zügen am Riemen /
Schmiden ein so hinckets Carmen,
Ohn Fuss und Armen /
Das zuerbarmen.
Wenn sie nur reimen z'sammen die letzte Silben /
Gott geb wie die Wörter sich uberstilben /
Das jrret nicht ihre zotten /
Ein Handt voll Notten /
Ist baldt versotten.
O wenn sie sollen darfür an d'Hacken greiften /
Und hacken Holtz / wenn es nit khride zu Pfeiffen /
Khridts doch zu Poltzen selber /
Sie trügen doch gelber /
Für Lorber Felber.
BRUNO WILLE: STERNLOSE NACHT
BRUNO WILLE (1860-1928)
STERNLOSE NACHT
Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.
Ich bin ein Erlenstumpf,
Dran bleicher Moder glimmert,
Ein gärend fauler Sumpf,
Wo scheu das Irrlicht flimmert.
Unheimlich düstre Welt,
Du Tummelplatz für Toren!
Bin gänzlich unbestellt
In dich hineingeboren.
Sag an, was hast du für
Mit deinem bangen Kinde?
Und hast du keine Tür,
Wo ich den Ausgang finde?
Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.
Mein Leben schäumend rann,
Ein Sturzbach zwischen Steinen.
Was ich dabei gewann?
O bitter möcht' ich weinen!
Einst ward ich schmuck und neu
Als Menschlein eingekleidet.
Doch alles Fleisch ist Heu,
Und horch, die Sense schneidet.
Ach wohl, die Jugend reicht
Den süßen Taumelbecher.
Doch Rausch und Minne weicht,
Und Reue weckt den Zecher.
Um jeden Bissen Brot
Muss hart der Froner schanzen;
Sonst hockt die hagre Not
Auf seinem leeren Ranzen.
Mach dich nicht gar zu breit,
Du Herr im güldnen Hause!
Ohn End ist Ewigkeit,
Und schmal die letzte Klause.
Poch nicht auf Ehr und Zier!
Fortuna hat's geliehen.
Der Hobler wird auch dir
Ein Linnenkleid anziehen,
Zum Pfühle untern Kopf
Zwei Handvoll Späne schieben...
Nun denke nach, du Tropf,
Wie närrisch du's getrieben!
Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.
Und wie ich ratlos bang
Ins dunkle Rätsel staune,
Horch, sanfter Wiegensang,
Ein wogend Waldgeraune:
"Nur stille, Menschenkind!
Was helfen deine Sorgen?
Die Augen schließe lind!
Derweilen wächst das Morgen."
Die Nacht hat ihren Tau,
Auf dass der Maien blühe,
Und aus dem Wolkengrau
Entsprießt die Purpurfrühe.
Soll nicht der Sagenstein,
Wo wüste Tannen dunkeln,
Ein Königspalast sein
Und einst entzaubert funkeln?
Zuvor im Puppenkleid,
Will diese trübe Erden
Am Glanz der Ewigkeit
Ein Himmelsfalter werden.
Und ob die Wolke hüllt
Den letzten Sternenfunken,
Dein Traum wird noch erfüllt:
Du schaust - von Sternen trunken.
26.9.09
KURT TUCHOLSKY: DAS PARLAMENT
KURT TUCHOLSKY
DAS PARLAMENT
Ob die Sozialisten in den Reichstag ziehn –
is ja janz ejal!
Ob der Vater Wirth will nach links entfliehn,
oder ob er kuscht wegen Disziplin –
is ja janz ejal!
Ob die Volkspartei mit den Schiele-Augen
einen hinmacht mitten ins Lokal
und den Demokraten auf die Hühneraugen ...
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
Die Plakate kleben an den Mauern –
is ja janz ejal!
mit dem Schmus für Städter und für Bauern:
»Zwölfte Stunde!« – »Soll die Schande dauern?«
Is ja janz ejal!
Kennt ihr jene, die dahinter sitzen
und die Schnüre ziehn bei jeder Wahl?
Ob im Bockbiersaal die Propagandafritzen
sich halb heiser brüllen und dabei Bäche schwitzen –:
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
Ob die Funktionäre ganz und gar verrosten –
is ja janz ejal!
Ob der schöne Rudi den Ministerposten
endlich kriegt – (das wird nicht billig kosten):
is ja janz ejal!
Dein Geschick, Deutschland, machen Industrien,
Banken und die Schiffahrtskompanien –
welch ein Bumstheater ist die Wahl!
Reg dich auf und reg dich ab im Grimme!
Wähle, wähle! Doch des Volkes Stimme
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
is ja janz ejal –!
25.9.09
RICHARD DEHMEL: AM UFER
23.9.09
BARTHOLD HEINRICH BROCKES: KIRSCHBLÜTE BEI DER NACHT
BARTHOLD HEINRICH BROCKES (1680-1747)
KIRSCHBLÜTE BEI DER NACHT
Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte,
In kühler Nacht beim Mondenschein;
Ich glaubt', es könne nichts von größerer Weiße sein.
Es schien, ob wär ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der kleinste Ast
Trug gleichsam eine rechte Last
Von zierlich-weißen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt,
Indem daselbst des Mondes sanftes Licht
Selbst durch die zarten Blätter bricht,
Sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden
Was Weißers ausgefunden werden.
Indem ich nun bald hin, bald her
Im Schatten dieses Baumes gehe,
Sah ich von ungefähr
Durch alle Blumen in die Höhe
Und ward noch einen weißern Schein,
Der tausenmal so weiß, der tausendmal so klar,
Fast halb darob erstaunt, gewahr.
Der Blüte Schnee schien schwarz zu sein
Bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
Von einem hellen Stern ein weißes Licht,
Das mir recht in die Seele strahlte.
Wie sehr ich mich an Gott im Irdischen ergetze,
Dacht ich, hat Er dennoch weit größre Schätze.
Die größte Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.
ADA CHRISTEN: NUR DU ALLEIN
ADA CHRISTEN (1839-1901)
NUR DU ALLEIN
1
Nur Du allein, Du schautest wie ich litt,
Nur Du allein hast meiner Qual geglaubt,
Du schirmtest die Gedanken mir im Haupt -
Als Nacht mit Licht in meiner Seele stritt.
Nur Du allein, Du lieh'st mir Deine Hand,
Als ich einst kam, geschmähet und bedroht -
Als sich kein heimathlicher Heerd mir bot,
Als ich allein auf weiter Erde stand....
Nur Du allein, Du hast mich nie betrübt,
Seit Du erschaut, wie ich so tief verarmt -
Nur Du allein hast Dich einst mein erbarmt,
Hast mich beschützt - und hast mich nie geliebt...
2
Sag' nicht, ich soll Dich meiden
Und nimmer sehn,
Wollt' ich Dich auch verlassen,
Wohin sollt' ich gehn? -
Du weißt es ja, ich habe
Keine Heimath dann -
Kein Glück - und keine Stätte,
Wo ich ruhen kann...
21.9.09
PAUL GERHARDT: PASSIONSLIED
PAUL GERHARDT (1607-1676)
PASSIONSLIED
O Haupt voll Blut und Wunden,
Voll Schmerz und voller Hohn,
O Haupt, zu Spott gebunden
Mit einer Dornenkron!
O Haupt, sonst schön gezieret
Mit höchster Ehr und Zier,
Jetzt aber hoch schimpfieret,
Gegrüßet seist du mir!
Du edles Angesichte,
Davor sonst schrickt und scheut
Das große Weltgewichte,
Wie bist du so bespeit,
Wie bist du so erbleichet,
Wer hat dein Augenlicht,
Dem sonst kein Licht nicht gleichet,
So schändlich zugericht?
Die Farbe deiner Wangen,
Der roten Lippen Pracht
Ist hin und ganz vergangen,
Des blassen Todes Macht
Hat alles hingenommen,
Hat alles hingerafft,
Und daher bist du kommen
Von deines Leibes Kraft.
Nun, was du, Herr, erduldet,
Ist alles meine Last,
Ich hab es selbst verschuldet,
Was du getragen hast!
Schau her, hier steh ich Armer,
Der Zorn verdienet hat,
Gib mir, o mein Erbarmer,
Den Anblick deiner Gnad.
Erkenne mich, mein Hüter;
Mein Hirte, nimm mich an!
Von dir, Quell aller Güter,
Ist mir viel Guts getan.
Dein Mund hat mich gelabet
Mit Milch und süßer Kost;
Dein Geist hat mich begabet
Mit mancher Himmelslust.
Ich will hier bei dir stehen,
Verachte mich doch nicht!
Von dir will ich nicht gehen,
Wann dir dein Herze bricht.
Wann dein Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstoß,
Alsdann will ich dich fassen
In meinen Arm und Schoß.
Es dient zu meinen Freuden
Und kommt mir herzlich wohl,
Wenn ich in deinem Leiden,
Mein Heil, mich finden soll.
Ach, möcht ich, o mein Leben,
An deinem Kreuze hier
Mein Leben von mir geben,
Wie wohl geschähe mir!
Ich danke dir von Herzen,
O Jesu, liebster Freund,
Für deines Todes Schmerzen,
Da du's so gut gemeint.
Ach gib, daß ich mich halte
Zu dir und deiner Treu
Und, wenn ich nun erkalte,
In dir mein Ende sei.
Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir;
Wenn ich den Tod soll leiden,
So tritt du dann herfür.
Wenn mir am allerbängsten
Wird um das Herze sein,
So reiß mich aus den Ängsten
Kraft deiner Angst und Pein.
Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod
Und laß mich sehn dein Bilde
In deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
Da will ich glaubensvoll
Dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.
9.9.09
CHARLOTTE VON AHLEFELD: AN DIE WOLKEN
CHARLOTTE VON AHLEFELD (1781-1849)
AN DIE WOLKEN
Es jagen die Stürme
Am herbstlichen Himmel
Die fliehenden Wolken;
Es wehen die Blätter
Des Haines hernieder,
Es hüllt sich in Nebel
Das ferne Gebirg. -
O jaget, Ihr Wolken,
In stürmender Eile.
Ihr ziehet nach Süden,
Wo freundlich die Sonne
Den wehenden Schleier
Euch liebevoll schmücket
Mit goldenem Saum.
Mich trieben die Stürme
Des Schicksals nach Norden
Dort mangelt mir ewig
Die Sonne der Freude,
Und nimmer verkläret
Ihr Lächeln die Wolken
Des düsteren Sinnes.
Und darum geleit' ich
Mit Seufzern der Sehnsucht
Euch, luftige Bilder
Der wechselnden Laune
Des ewigen Himmels,
Und flüchtete gerne
Nach Süden mit Euch.
8.9.09
FELIX DAHN: ZWEI LEBEN IN EINER GESTALT
FELIX DAHN (1843-1912)
ZWEI LEBEN IN EINER GESTALT
Einst stand der Dorn ohne blühenden Duft,
Verdorrend im eisigen Windeshauch,
Da quoll vom Süden wabernde Luft:
Und sonnig umwarb sie den Dornenstrauch;
Da sproßten ihm Blätter und Knospen auch
Mit zwingender Lebensgewalt.
Nun brennen im blühenden Dornenstrauch
Zwei Leben in einer Gestalt.
7.9.09
GOTTFRIED AUGUST BÜRGER: LIEBE OHNE HEIMAT
GOTTFRIED AUGUST BÜRGER (1747-1794)
LIEBE OHNE HEIMAT
Meine Liebe, lange wie die Taube
Von dem Falken hin und her gescheucht,
Wähnte froh, sie hab' ihr Nest erreicht
In den Zweigen einer Götterlaube.
Armes Täubchen! Hart getäuschter Glaube!
Herbes Schicksal, dem kein andres gleicht!
Ihre Heimat, kaum dem Blick gezeigt,
Wurde schnell dem Wetterstrahl zum Raube.
Ach, nun irrt sie wieder hin und her!
Zwischen Erd' und Himmel schwebt die Arme,
Sonder Ziel für ihres Flugs Beschwer.
Denn ein Herz, das ihrer sich erbarme,
Wo sie noch einmal, wie einst erwarme,
Schlägt für sie auf Erden nirgends mehr.
6.9.09
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: BUCH DER LIEBE
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)
BUCH DER LIEBE
Wunderlichstes Buch der Bücher
Ist das Buch der Liebe;
Aufmerksam hab ich's gelesen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung.
Wiedersehn! ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß.
O Nisami! - doch am Ende
Hast den rechten Weg gefunden;
Unauflösliches, wer löst es?
Liebende, sich wieder findend.
4.9.09
LOUISE ASTON: LEBENSMOTTO
LOUISE ASTON (1814-1871)
LEBENSMOTTO
Fromme Seelen, fromme Herzen,
Himmelssehnend, lebenssatt;
Euch ist rings ein Thal der Schmerzen,
Eine finst're Schädelstatt!
Mag in schreckenden Gesichten
Bang vor mir das Schicksal steh'n;
Nie soll mich der Schmerz vernichten,
Nie zerknirscht und reuig seh'n!
Freiem Leben, freiem Lieben,
Bin ich immer treu geblieben!
Leben - Meer, das endlos rauschend
Mich auf weiten Fluten trägt:
Deinen Tiefen freudig lauschend
Steh' ich sinnend, stummbewegt.
Stürzt Gewittersturm, der wilde,
Jauchzend sich in's Meer hinein,
Schau' ich in dem Flammenbilde
Meines Lebens Wiederschein.
Freiem Leben, freiem Lieben,
Bin ich immer treu geblieben!
Liebe - von der Welt geächtet,
Von dem blinden Wahn verkannt,
Oft gemartert, oft geknechtet,
Ohne Recht und Vaterland;
Fester Bund von stolzen Seelen
Den des Lebens Glut gebar,
Freier Herzen freies Wählen
Vor der Schöpfung Hochaltar!
Freiem Leben, freiem Lieben,
Bin ich immer treu geblieben!
Und so lang' die Pulse beben,
Bis zum letzten Athemzug,
Weih' der Liebe ich dies Leben,
Ihrem Segen, ihrem Fluch!
Schöne Welt, du blühend Eden,
Deiner Freuden reicher Schatz
Giebt für alle Schicksals Fehden
Vollen, köstlichen Ersatz!
Freiem Lieben, freiem Leben,
Hab' ich ewig mich ergeben!
3.9.09
GEORG TRAKL: NACHTLIED
GEORG TRAKL
NACHTLIED
Des Unbewegten Odem. Ein Tiergesicht
Erstarrt vor Bläue, ihrer Heiligkeit.
Gewaltig ist das Schweigen im Stein;
Die Maske eines nächtlichen Vogels. Sanfter Dreiklang
Verklingt in einem. Elai! dein Antlitz
Beugt sich sprachlos über bläuliche Wasser.
O! ihr stillen Spiegel der Wahrheit.
An des Einsamen elfenbeinerner Schläfe
Erscheint der Abglanz gefallener Engel.
1.9.09
LUISE HENSEL: WILL KEINE BLUMEN MEHR
LUISE HENSEL (1798-1876)
WILL KEINE BLUMEN MEHR
Die Sommerrosen blühen
Und duften um mich her;
Ich seh' sie all' verglühen,
Will keine Blumen mehr.
Der Bruder mein that ziehen
Mit Königs stolzem Heer,
Läßt einsam mich verblühen,
Will keine Blumen mehr.
Die blanken Waffen sprühen
Weit Funken um ihn her;
Das Herz thut ihm erglühen,
Will keine Blumen mehr.
Und Silbersterne blühen
Um Helm und Brustschild her,
Die blitzend ihn umziehen,
Will keine Blumen mehr.
Die Sommerrosen glühen
Und duften all' so sehr;
Ich seh' sie all' verblühen,
Will keine Blumen mehr.
27.8.09
RAINER MARIA RILKE: DER SCHWAN
RAINER MARIA RILKE (1875-1926)
DER SCHWAN
Diese Mühsal, durch noch Ungetanes
schwer und wie gebunden hinzugehn,
gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes.
Und das Streben, dieses Nichtmehrfassen
jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn,
seinem ängstlichen Sich-Niederlassen -:
in die Wasser, die ihn sanft empfangen
und die sich, wie glücklich und vergangen,
unter ihm zurückziehn, Flut um Flut;
während er unendlich still und sicher
immer mündiger und königlicher
und gelassener zu ziehn geruht.
26.8.09
WALTER RHEINER: NIETZSCHE
WALTER RHEINER (1895-1925)
NIETZSCHE
Entzündet von den Bergen. Über die Erde
hingewölbt. Musik. Strahlender Morgen Röte.
Apokalyptische Fahrt. Brausend erfüllte Einöde.
Inseln schwärmende in der Brust. Akkord,
baun sich auf die Wälder über der Stirn.
Es leuchtet von innen her, diamantener Firn.
Zeit flichst du um dich! Verzauberst den Ort!
Apostolisches Sein! Magier! Frenetischer Klang.
Goldenes Blut in alpine Nächte verströmt.
Du versinkst in den Sphären, tieferer Schlafgesang.
Feuer zerstört dein Herz. Gekreuzigt über die Welt
du lachst ein letztes Mal! Dunkel stöhnt
ein Schrei. - Du: rasender Tänzer im Sternenfeld!
23.8.09
CLARA MÜLLER-JAHNKE: SCHLAF UND TOD
CLARA MÜLLER-JAHNKE (1860-1905)
SCHLAF UND TOD
Süß und wonnesam ist der Schlaf. -
In der strengen Schule des Lebens,
wo gleich unverständigen Kindern
wir die krausen, verworrenen Rätsel
mühsam zusammenbuchstabieren
aber nimmer den Sinn erforschen,
wo der Schmerz mit ehernem Griffel
Runen auf unsere Stirnen schreibt,
dünkt der Schlaf die Erholungsstunde
mir, die süße, köstliche Pause,
da die verschlossene Türe aufspringt
und statt dumpfigen Bücherstaubes
Sonnenstrahlen und Luft wir atmen...
süß und wonnesam ist der Schlaf. –
Schlaf ist Vergessen, ist die Befreiung
von all den lastenden, quälenden Sorgen
um des Daseins traurige Narrheit,
um der Zukunft lichtloses Dunkel,
um das eine, selige Glück,
das gleich silbernen Wasserwogen
meines Lebens dornige Wüste
noch mit blühenden Blumen schmückte,
und nun haltlos wie Regentropfen
mir in der zitternden Hand zerrinnt. –
Süß und wonnesam ist der Schlaf,
aber eines noch däucht mich süßer:
nicht das Vergessen nur, - das Vergehen!
Nicht das Ausruhen, - nein, die Ruhe!
Sei willkommen mir, goldene Stunde,
die den Schüler gereisten Sinnes
aus der drückenden Mauern Enge
über die Schwelle hinaus in lichte
sonnendurchstrahlte Weiten führt –
Sei gesegnet, du Götterbote,
der auf rauschenden Adlerschwingen
meine Seele aus Nacht und Dunkel
aufwärts trägt zu den fernen Höhn,
wo aus goldenem Schacht des Glückes
nie versiegende Quellen sprudeln! –
Dreimal süßer ist Schlaf, denn Wachen,
aber das Süßeste ist der Tod.
22.8.09
FERDINAND VON SAAR: DAS SONETT
FERDINAND VON SAAR (1833-1906)
DAS SONETT
Ein Labyrinth mit holdverschlung'nen Gängen
Hat dem Gedanken still sich aufgeschlossen;
Er tritt hinein - und wird sogleich umflossen
Von Glanz und Duft und zauberischen Klängen.
Hier leuchten Blumen, die auf Wiesenhängen
Des Pflückers harren, sehnsuchtsvoll entsprossen,
Dort wollen Zweige, goldschwer übergossen,
Den Wandelnden auf schmalem Pfad bedrängen.
Der aber, wird so mancher Wunsch ihm rege,
Pflückt eine Frucht nur mit zufried'ner Miene-
Doch manche Blüthe, die er trifft am Wege.
Und nun - ob er gefangen auch erschiene
Schon in des Vierreims wechselndem Gehege-:
Geleitet ihn in's Freie die Terzine.
21.8.09
PETER HILLE: WALDNACHT
PETER HILLE (1854-1904)
WALDNACHT
Ist das eine rüstige Nacht.
Da fühlt man sich.
Wie meine Schritte treffen!
Und allen Boden wecken wollen.
Und er gibt Antwort.
So weit.
So klar.
Man meint: es ist Wort.
So grau und fein und deutlich.
Und riecht wie ein Kristall.
Die graue Perle der feinen, rüstigen Nacht.
Die nichts gibt, nichts nimmt, sein läßt.
Und sehe ganz deutlich meines Atems, meines Lebens Baum
Und stoße ihn vor mir aus.
Ja, das tut wohl.
Da könnte man immer sein.
Immer gehn.
Immer Leib haben.
Als könne der nicht von uns lassen.
Licht ist nicht zu sehen.
Nicht oben.
Nicht unten.
Das machen meine Augen, meine klaren gesunden Augen.
Juhu!
Und habe mich je im Grübeln gekrümmt?
Komme ja hin.
Komme überall hin.
Es wird wärmer.
Wohl nur von mir aus.
Ich bin ja alles hier.
Und wie eigen, warm vor Leibhaftigkeit die große, weiße Wolke leuchtet.
Wo kommt sie her?
Was scheint sie an?
Ist ja nirgends Licht zu sehen.
Nirgends Licht, nirgends!
Auch eigen?
Wie ich.
Und lockt so stark, so wollüstig wie sonst des
Weibes schwellend uns empörender Frieden.
Und so keusch wie nur die weite Welt.
Das ganz Durchdrungene.
Ich lese mich zurück, lese mich weiter, lese mich
aus allen nahenden, beflissen farbigen Mantelgestalten des Haines.
Kein Lied fällt nieder.
Kein Vogeltraum.
Wir selbst sind Leben.
Eigenes Leben.
Und einen Rausch habe ich.
Höher als der von blödem Gegorenen.
20.8.09
ELISABETH KULMANN: DAS VERGISSMEINNICHT
ELISABETH KULMANN (1808-1825)
DAS VERGISSMEINNICHT
In feuchter Erde Schooße,
Im tiefsten öden Thal,
Sprieß' ich bei Westes Wehen
Und mildem Sonnenstrahl.
Das Veilchen selbst gesellet
Nie zu den Rosen sich;
Und ich erst? Selbst dem Veilchen
Nah' schüchtern nur ich mich.
Und doch verschönt mein Dasein
Der Freude sanftes Licht:
Mich herzen fromme Kinder,
Vergessen meiner nicht.
18.8.09
FRIEDERIKE KEMPNER: POESIE IST LEBEN
16.8.09
GEORG HEYM: AN DAS MEER
GEORG HEYM (1887-1912)
AN DAS MEER
Dich grüßet noch das Land der Hesperiden
Im Untergang, mit Wäldern, rot betaut,
Wenn von den Bergen weit auf deinen Frieden
Des stillen Herbstes großes Auge schaut,
Und jede Nacht entzünden in den Steinen
Meergötter sich ein Feuer mit Gesang,
Wo Segel, die im Mondlicht fern erscheinen,
Ziehn wie ein Traum den Rand der Flut entlang.
Noch glänzet Joppe. Und noch schreiten immer
Die Frauen mit den Krügen aus dem Tor,
Wo deiner Buchten großer Rosenschimmer
Mit schwarzem Duft erfüllt der Locken Flor.
Noch rauscht der Nil hervor aus grünen Sternen,
Ein Brunnen still. Und das Geheimnis klingt
In weiter Wüstennacht in blauer Ferne,
Die bis zum Atlas mit dem Fittich schwingt
Und Mauretania, das weitbeglänzte,
In seidenen Feldern, wie ein Goldhelm schön,
Wo einst Karthagos Flammen gelb umkränzte
Gellender Pfeifen Schrei und Meergetön.
Und aller Inseln windig bunte Stirnen
Hören noch immer deinen Sang, o Meer,
Wenn unter deines Gottes blauem Zürnen
Du brausend bäumst um Stein und Höhlen her,
Und rauscht ihr Bergwald deinem Ton zusammen
Urewig brausend über wilden Pont,
Wenn nachts der Wetter rote Häupter flammen
Mit Feuerlocken weit im Horizont.
Manchmal ertönet noch der Hirtenflöte
Einsames Lied auf deiner Bläue fort,
Wenn, überraucht von großer Abendröte
Du leise schwimmst an ihrer Insel fort.
Dann liegen weiß von Stürmen und von Jahren
Die Wogen ruhig auf dem grünen Strand,
Seefahrern
Und kommen wieder in der Heimat Land.
Und etwas tauchen aus der Flut, der matten,
Gesichter, wesenlos vom Totenreich,
Wenn draußen weit in grauen Abendschatten
Der Mond heraufkommt mit den Hörnern bleich.
Ewiges Meer, im Land der Morgenfrühen
Gewiegt von Winden, wie ein Gott so rein,
Und wenn der Wolken große Städte ziehen
Im Abend in verwelkter Himmel Schein,
O Meer, ich grüße deine Ewigkeiten,
Das unter träumenden Gestirnen wallt,
Verlorner Wandrer, in die Nacht zu schreiten,
Ich, wie ein Horaruf, der schnell verhallt.
ALFRED LICHTENSTEIN: DIE NACHT
ALFRED LICHTENSTEIN (1889-1914)
DIE NACHT
Verträumte Polizisten watscheln bei Laternen.
Zerbrochne Bettler meckern, wenn sie Leute ahnen.
An manchen Ecken stottern starke Straßenbahnen,
Und sanfte Autodroschken fallen zu den Sternen.
Um harte Häuser humpeln Huren hin und wieder,
Die melancholisch ihren reifen Hintern schwingen.
Viel Himmel liegt zertrümmert auf den herben Dingen ...
Wehleidge Kater schreien schmerzhaft helle Lieder.
14.8.09
ANNA LOUISA KARSCH: DER LIEBHABERHUT
ANNA LOUISA KARSCH (1722-1791)
DER LIEBHABERHUT
In einer weltbekannten Stadt,
Die rare Kaufmannswaaren
Und wunderschöne Weiber hat,
Kam schnell ein Mann gefahren,
Eh sich's sein Weibchen vorgestellt,
Und voller Furcht und Schrecken
Entwich ihr junger Liebesheld;
Ach aber zum Entdecken
Der Heimlichkeit gab's viel Gefahr,
Weil er, zu sehr getrieben,
Rasch aus dem Fenster sprang, so war
Sein Hut noch da geblieben,
Lag auf dem Tischchen unverhüllt,
Viel Argwohn zu erregen,
Doch sie, mit Weiberlist erfüllt,
Springt schlau dem Mann entgegen,
Und ruft: Willkommen, süßer Mann!
Du sollst den Hut probieren,
Ein Trödelweib bot mir ihn an:
Er ist mit goldnen Schnüren
Reich eingefaßt und noch ganz neu,
Und ward aus Noth vergeudet. -
Dem Mann gefällt die Schmeichelei,
Er küßt das Weib und leidet
Daß sie an sein Tuppe den Hut
Im Puderhaare drücket,
Ruft selber aus: er laßt mir gut!
Und dankt ihr halb entzücket,
Indem sein Aug im Spiegel gafft,
Den Zierrath seines Kopfes,
Den sie ihm heimlich angeschafft. -
Sie lacht des armen Tropfes
Sehr oft auf ihres Lieblings Schooß,
Und spricht mit losem Muthe:
Mein Schatz! wir kamen wohlfeil los
Mit dem vergeßnen Hute.
13.8.09
CHARLOTTE VON AHLEFELD: GLÜCK DER LIEBE
CHARLOTTE VON AHLEFELD (1781-1849)
GLÜCK DER LIEBE
Einem Schmetterlinge gleicht die Liebe;
Wie er flatternd über Blumen schwebt,
So entflieht sie oft auf leichten Schwingen,
Und nur selten kehrt sie uns zurück.
Um gewaltsam ihre Flucht zu hemmen,
Strebt das kranke Herz mit leisem Weh;
Möcht' ihr gern die raschen Flügel binden,
Gern sie bannen in der Treue Kreis.
Aber wie des Schmetterlinges Farben
Selbst in zarten Händen untergehn,
So vernichten Fesseln auch die Reize,
Die der Liebe freie Regung schmücken.
Darum öffne ihrem kurzen Glücke
Willig und genießend Geist und Herz;
Aber will es wankelmüthig weichen
Trauere dann - doch halt es nicht zurück!
12.8.09
HERMANN ALLMERS: STRANDLUST
HERMANN ALLMERS (1821-1902)
STRANDLUST
Gern bin ich allein an des Meeres Strand,
Wenn der Sturmwind heult und die See geht hohl,
Wenn die Wogen mit Macht rollen zu Land,
O wie wird mir so kühn und so wonnig und wohl!
Die segelnde Möwe, sie rufen ihren Gruß
Hoch oben aus jagenden Wolken herab;
Die schäumende Woge, sie leckt meinen Fuß,
Als wüßten sie beide, wie gern ich sie hab'.
Und der Sturm, der lustig das Haar mir zaust,
Und die Möw' und die Wolke, die droben zieht,
Und das Meer, das da vor mir brandet und braust,
Sie lehren mich alle manch herrliches Lied.
Doch des Lebens erbärmlicher Sorgendrang,
O wie sinkt er zurück, wie vergess' ich ihn,
Wenn die Wogenmusik und der Sturmgesang
Durch das hoch aufschauernde Herz mir ziehn!
1.7.09
KAROLINE VON GÜNDERODE: WUNSCH
KAROLINE VON GÜNDERODE (1780-1806)
WUNSCH
Ja Quitos Hand, hat meine Hand berühret
Und freundlich zu den Lippen sie geführet,
An meinem Busen hat sein Haupt geruht.
Da fühlt ich tief ein liebend fromm Ergeben.
Mußt ich dich überleben, schönes Leben?
Noch Zukunft haben, da du keine hast?
Im Zeitenstrome wirst du mir erbleichen,
Stürb ich mit dir, wie bei der Sonne Neigen
Die Farben all' in dunkler Nacht vergehn.
30.6.09
BETTY PAOLI: UNSERE SPRACHE
BETTY PAOLI (1814-1894)
UNSERE SPRACHE
Deutsche Sprache! Zaubergarten
Du, mit Blumen aller Arten
Reich und wundersam bekränzt!
Schacht, in dessen dunkeln Gängen
Gold und Eisen sich vermengen
Und der Lichtkarfunkel glänzt!
Meer, aus dessen Wogenfülle
Ohne Schleier, ohne Hülle
Sich die reinste Schönheit hebt!
Luft aus klaren Aetherhöhen,
Die mit ihrem frischen Wehen
Wie des Morgens Hauch belebt!
Tief ist deine Macht begründet,
Einz'ges Band, das uns verbindet
Und so fest zusammenhält,
Daß von Deutschlands Ruhm und Leide
Jenseits der Atlantis Scheide
Deutsche Herzen noch geschwellt!
29.6.09
GERRIT ENGELKE: ALLES IN DIR
GERRIT ENGELKE (1890-1918)
ALLES IN DIR
In Dir, o Mensch, ist alles:
In Dir ist der Schlaf und das Wache:
In Dir ist die Zeit.
Und ohne Dich ist keine Zeit.
In Dir ist die Zeit
Und die Fülle der Zeit:
Der qualmende Dampfer,
Die rollende Bahn,
Der eiserne Lärm
Und das Schweigen des Domes.
Der Stein und der Mörtel:
Das Haus und die Stadt.
In Dir ist die Fülle
Des zeitlichen Werkes.
In Dir, o Mensch, ist alles:
Die mordende Hand
Und das Künstler-Gehirn, -
Das ruchlose, stinkende Wort
Und das schwellende, schwebende Lied.
Die Liebe um Liebe:
Die Liebe der männlichen Stärke
Zu weiblicher Weichheit.
Und trübe verzehrende Liebe
Der Gleichen zu Gleichem.
Ist Beides in Dir:
Der Gott und das Böse.
In Dir, o Mensch, ist Alles:
Das trinkende Ohr
Und der Antworten speiende Mund.
Der nehmende Mund
Und der scheidende Darm -
Der bohrende Keim
Und der schwellende Schoß:
Der aufsaugende Anfang,
Das ausbrechende Sein.
Ist Beides in Dir:
Der schäumende Anfang,
Das reifende Ende,
Das Ende,
Das wieder nur Anfang,
Ist Alles, o Alles in Dir!
KARL MARX: IN SEINEM SESSEL...
KARL MARX (1818-1883)
IN SEINEM SESSEL...
In seinem Sessel, behaglich dumm,
Sitzt schweigend das deutsche Publikum.
Braust der Sturm herüber, hinüber,
Wölkt sich der Himmel düster und trüber,
Zischen die Blitze schlängelnd hin,
Das rührt es nicht in seinem Sinn.
Doch wenn sich die Sonne hervorbeweget,
Die Lüfte säuseln, der Sturm sich leget,
Dann hebt's sich und macht ein Geschrei,
Und schreibt ein Buch: "der Lärm sei vorbei."
Fängt an darüber zu phantasieren,
Will dem Ding auf den Grundstoff spüren,
Glaubt, das sei doch nicht die rechte Art,
Der Himmel spaße auch ganz apart,
Müsse das All systematischer treiben,
Erst an dem Kopf, dann an den Füßen reiben,
Gebärd't sich nun gar, wie ein Kind,
Sucht nach Dingen, die vermodert sind,
Hätt' indessen die Gegenwart sollen erfassen,
Und Erd' und Himmel laufen lassen,
Gingen ja doch ihren gewöhnlichen Gang,
Und die Welle braust ruhig den Fels entlang.
KARL-JOHANNES VOGT: HOMO MECHANIKUS
KARL-JOHANNES VOGT (1919)
HOMO MECHANIKUS
Bekenne nie
Dass dich eine Blume entzückt
Ein Bach
Ein Vogel
Ein Mensch oder ein Wort
Die Weisheit des Lebens
Findest du mühelos
In den Graffitis
Der eisernen Pissoirs
In den dunstigen Städten
Und die Faszination des Lebens
Ist nicht im Gedicht
Sondern im mechanischen Prinzip
Und in der Erregung
Die aufwallt
Wenn der Held
Aber auch der Feigling stirbt
Im blutigen Mix
Aus Sex und Crime
Wie damals die Gladiatoren
In den römischen Arenen