GERTRUD
KOLMAR
DIE ALTE FRAU
Heut bin ich krank,
nur heute, und morgen bin ich gesund.
Heut bin ich arm, nur
heute, und morgen bin ich reich.
Einst aber werde ich
immer so sitzen,
In dunkles
Schultertuch frierend verkrochen, mit
hüstelnder, rasselnder Kehle,
Mühsam hinschlurfen
und an den Kachelofen knöchrige
Hände tun.
Dann werde ich alt
sein.
Meiner Haare finstere
Amselschwingen sind grau,
Meine Lippen
bestaubte, verdorrte Blüten,
Und nichts weiß mein
Leib mehr vom Fallen und Steigen der
roten springenden Brunnen des Blutes.
Ich starb vielleicht
Lange schon vor meinem Tode.
Und doch war ich
jung.
War lieb und recht
einem Manne wie das braune nährende
Brot seiner hungrigen Hand,
War süß wie ein
Labetrunk seinem dürstenden Munde.
Ich lächelte
Und meiner Arme
weiche, schwellende Nattern lockten
umschlingend in Zauberwald.
Aus meiner Schulter
sproßte rauchblauer Flügel,
Und ich lag an der
breiteren buschigen Brust,
Abwärts rauschend,
ein weißes Wasser, vom Herzen des
Tannenfelsens.
Aber es kam der Tag
und die Stunde kam,
Da das bittere Korn
in Reife stand, da ich ernten mußte.
Und die Sichel
schnitt meine Seele.
»Geh',« sprach ich,
»Lieber, geh'.
Siehe, mein Haar weht
Altweiberfäden,
Abendnebel näßt schon
die Wange,
Und meine Blume
schauert welkend in Frösten.
Furchen durchziehn
mein Gesicht,
Schwarze Gräben die
herbstliche Weide.
Geh'; denn ich liebe
dich sehr.«
Still nahm ich die
goldene Krone vom Haupt und verhüllte
mein
Antlitz.
Er ging,
Und seine heimatlosen
Schritte trugen wohl anderem
Rastort ihn zu unter helleren Augensternen.
Meine Augen sind trüb
geworden und bringen Garn und
Nadelöhr kaum noch zusammen.
Meine Augen tränen
müde unter den faltig schweren,
rotumränderten Lidern.
Selten
Dämmert wieder aus
mattem Blick der schwache,
fernvergangene Schein
Eines Sommertages,
Da mein leichtes,
rieselndes Kleid durch Schaumkraut-
wiesen floß
Und meine Sehnsucht
Lerchenjubel in den offenen Himmel
warf.
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