8.1.18

GERTRUD KOLMAR: AUS DEM DUNKEL




GERTRUD KOLMAR


AUS DEM DUNKEL

Aus dem Dunkel komme ich, eine Frau.
Ich trage ein Kind und weiß nicht mehr, wessen;
Einmal hab' ich's gewußt.
Aber nun ist kein Mann mehr für mich…
Alle sind hinter mir eingesunken wie Rinnsal,
Das die Erde trank.
Ich gehe weiter und weiter.
Denn ich will vor Tag ins Gebirge, und die Gestirne
schwinden schon.

Aus dem Dunkel komme ich.
Durch finstere Gassen schritt ich einsam,
Da jäh vorstürzendes Licht mit Krallen die sanfte Schwärz
zerriß,
Der Pardel die Hirschkuh,
Und weit aufgestoßene Tür häßliches Kreischen, wüstes
Gejohle, tierisches Brüllen spie.
Trunkene wälzten sich…
Ich schüttelte das am Wege vom Saum meines Kleides.

Und ich wanderte über den verödeten Markt.
Blätter schwammen in Lachen, die den Mond spiegelten.
Magere, gierige Hunde berochen Abfälle auf den Steinen.
Früchte faulten zertreten,
Und ein Greis in Lumpen quälte noch immer sein armes
Saitenspiel
Und sang mit dünner, mißtönig klagender Stimme
Ungehört.
Und diese Früchte waren einst in Sonne und Tau gereift,
Träumend noch vom Duft und Glück der liebenden Blüte,
Doch der wimmernde Bettler
Vergaß das längst und kannte nichts anderes mehr als Hunger
und Durst.
Vor dem Schlosse des Mächtigen stand ich still,
Und da ich die unterste Stufe trat,
Zerbarst der fleischrote Porphyr knackend an meiner Sohle. -
Ich wendete mich
Und schaute empor zu dem kahlen Fenster, der späten Kerze
des Denkenden,
Der sann und sann und nie seiner Frage Erlösung fand,
Und zu dem verhüllten Lämpchen des Kranken, der doch
nicht lernte,
Wie er sterben sollte.
Unter dem Brückenbogen
Zankten zwei scheußliche Gerippe sich um Gold.
Ich hob meine Armut als grauen Schild vor mein Antlitz
Und zog ungefährdet vorbei.

Im Fernen redet der Fluß mit seinen Ufern.

Nun strauchl' ich den steinigen, widerstrebenden Pfad hinan.
Felsgeröll, Stachelsträucher verwunden die blinden, tastenden
Hände:
Eine Höhle wartet,
Die im tiefsten Geklüft den erzgrünen Raben herbergt, der
keinen Namen hat.
Da werde ich eingehn,
Unter dem Schutz der großen schattenden Schwinge mich
niederkauern und ruhn,
Verdämmernd dem stummen wachsenden Wort meines
Kindes lauschen
Und schlafen, die Stirn gen Osten geneigt,
Bis Sonnenaufgang.

Δεν υπάρχουν σχόλια:

Δημοσίευση σχολίου