29.9.09

FRIEDERIKE KEMPNER: WANDERLIED


FRIEDERIKE KEMPNER (1836-1904)


WANDERLIED


Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh',
Schöne Damen, liebe Herrn
Kaufet freundlich, kaufet gern,
Brauch's auf Brot, und brauch's auf Bier,
Und das gönnt ihr sicher mir.

Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh',
In der Kälte, in der Glut,
Keiner meiner Füße ruht,
Such' am Herde einen Platz,
Finde keinen, keinen Schatz.

Schöne Damen, liebe Herrn
Kaufet freundlich, kaufet gern,
Komm aus fernem Lande her
Und dem Fremdling wird's so schwer:
Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh'!

27.9.09

THEOBALD HOCK: VON ART DER DEUTSCHEN POETEREY


THEOBALD HOCK (1573-1625)


VON ART DER DEUTSCHEN POETEREY


Die Deutschen haben ein b'sonder Art und Weise /
Dass sie der fremden Völker Sprach mit Fleisse /
Lernen und wöllen erfahrn /
Kein Müh nicht spar'n /
In ihren Jahren.

Wie solches den ist an ihm selbs' hoch z'loben /
Drauss man ihr Geschicklichkeit gar wol kan proben /
Wenn sie nur auch ihr eigene Sprachen /
Nit unwerth machen /
Durch solche Sachen.

Den ander Nationen also b'scheide /
Ihr Sprach vor ändern loben und preisen weidte /
Manch Reimen drin dichten /
So künstlich schlichten /
Und z'sammen richten.

Wir wundern uns dass die Poeten gschriben /
So künstlich Vers und Meisterstück getrieben /
Dass doch nit ist solch wunder /
Weil sie gschrieben b'sunder /
Ihr Sprach jetzunder.

Den sein Ouidius und Maro Gierte /
Nit gwesen Reimer also hoch geehrte /
Die sie in der Mutter Zungen /
Lateinisch gsungen /
Dass ihnen g'lungen.

Warumb sollen wir den unser Teutsche Sprachen /
In gwisse Form und Gsatz nit auch mögen machen /
Und Deutsches Carmen schreiben /
Die Kunst zutreiben /
Bei Mann und Weiben.

So doch die Deutsche Sprach vil schwerer eben /
Alss ander all / auch vil mehr müh thut geben /
Drin man muss obseruiren /
Die Silben recht führen /
Den Reim zu zieren.

Man muss die Pedes gleich so wol scandiren,
Den Dactilum und auch Spondeum rieren /
Sonst wo das nit würd gehalten /
Da sein d'Reim gespalten /
Krumb und voll falten.

Und das nach schwerer ist so sollen die Reime /
Zu letzt grad zsammen gehn und gleine /
Das in Lateiner Zungen /
Nit würdt erzwungen /
Nicht dicht noch g'sungen.

Drumb ist es vil ein schwerer Kunst recht dichten /
Die Deutsche Reim alls eben Lateinisch schlichten /
Wir mögen neue Reim erdencken /
Und auch dran hencken /
Die Reim zu lencken.

Niembt sich auch billich ein Poeten nennet /
Wer d'Griechisch und Lateinisch Sprach nit kennet /
Noch d'Singkunst recht thut riehen /
Vil Wort von Griechen /
Ins Deutsch her kriechen.

Noch dürffen sich vil Teutsche Poeten rühmen /
Sich also schreiben die besser zügen am Riemen /
Schmiden ein so hinckets Carmen,
Ohn Fuss und Armen /
Das zuerbarmen.

Wenn sie nur reimen z'sammen die letzte Silben /
Gott geb wie die Wörter sich uberstilben /
Das jrret nicht ihre zotten /
Ein Handt voll Notten /
Ist baldt versotten.

O wenn sie sollen darfür an d'Hacken greiften /
Und hacken Holtz / wenn es nit khride zu Pfeiffen /
Khridts doch zu Poltzen selber /
Sie trügen doch gelber /
Für Lorber Felber.

BRUNO WILLE: STERNLOSE NACHT


BRUNO WILLE (1860-1928)


STERNLOSE NACHT

Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.

Ich bin ein Erlenstumpf,
Dran bleicher Moder glimmert,
Ein gärend fauler Sumpf,
Wo scheu das Irrlicht flimmert.

Unheimlich düstre Welt,
Du Tummelplatz für Toren!
Bin gänzlich unbestellt
In dich hineingeboren.

Sag an, was hast du für
Mit deinem bangen Kinde?
Und hast du keine Tür,
Wo ich den Ausgang finde?

Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.

Mein Leben schäumend rann,
Ein Sturzbach zwischen Steinen.
Was ich dabei gewann?
O bitter möcht' ich weinen!

Einst ward ich schmuck und neu
Als Menschlein eingekleidet.
Doch alles Fleisch ist Heu,
Und horch, die Sense schneidet.

Ach wohl, die Jugend reicht
Den süßen Taumelbecher.
Doch Rausch und Minne weicht,
Und Reue weckt den Zecher.

Um jeden Bissen Brot
Muss hart der Froner schanzen;
Sonst hockt die hagre Not
Auf seinem leeren Ranzen.

Mach dich nicht gar zu breit,
Du Herr im güldnen Hause!
Ohn End ist Ewigkeit,
Und schmal die letzte Klause.

Poch nicht auf Ehr und Zier!
Fortuna hat's geliehen.
Der Hobler wird auch dir
Ein Linnenkleid anziehen,

Zum Pfühle untern Kopf
Zwei Handvoll Späne schieben...
Nun denke nach, du Tropf,
Wie närrisch du's getrieben!

Gewölk hat umgebracht
Den letzten Sternenfunken;
In rabenschwarze Nacht
Ist Fels und Tann versunken.

Und wie ich ratlos bang
Ins dunkle Rätsel staune,
Horch, sanfter Wiegensang,
Ein wogend Waldgeraune:

"Nur stille, Menschenkind!
Was helfen deine Sorgen?
Die Augen schließe lind!
Derweilen wächst das Morgen."

Die Nacht hat ihren Tau,
Auf dass der Maien blühe,
Und aus dem Wolkengrau
Entsprießt die Purpurfrühe.

Soll nicht der Sagenstein,
Wo wüste Tannen dunkeln,
Ein Königspalast sein
Und einst entzaubert funkeln?

Zuvor im Puppenkleid,
Will diese trübe Erden
Am Glanz der Ewigkeit
Ein Himmelsfalter werden.

Und ob die Wolke hüllt
Den letzten Sternenfunken,
Dein Traum wird noch erfüllt:
Du schaust - von Sternen trunken.

26.9.09

KURT TUCHOLSKY: DAS PARLAMENT


KURT TUCHOLSKY


DAS PARLAMENT


Ob die Sozialisten in den Reichstag ziehn –
is ja janz ejal!
Ob der Vater Wirth will nach links entfliehn,
oder ob er kuscht wegen Disziplin –
is ja janz ejal!
Ob die Volkspartei mit den Schiele-Augen
einen hinmacht mitten ins Lokal
und den Demokraten auf die Hühneraugen ...
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!

Die Plakate kleben an den Mauern –
is ja janz ejal!
mit dem Schmus für Städter und für Bauern:
»Zwölfte Stunde!« – »Soll die Schande dauern?«
Is ja janz ejal!
Kennt ihr jene, die dahinter sitzen
und die Schnüre ziehn bei jeder Wahl?
Ob im Bockbiersaal die Propagandafritzen
sich halb heiser brüllen und dabei Bäche schwitzen –:
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!

Ob die Funktionäre ganz und gar verrosten –
is ja janz ejal!
Ob der schöne Rudi den Ministerposten
endlich kriegt – (das wird nicht billig kosten):
is ja janz ejal!
Dein Geschick, Deutschland, machen Industrien,
Banken und die Schiffahrtskompanien –
welch ein Bumstheater ist die Wahl!
Reg dich auf und reg dich ab im Grimme!
Wähle, wähle! Doch des Volkes Stimme
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
is ja janz ejal –!

25.9.09

RICHARD DEHMEL: AM UFER


RICHARD DEHMEL (1863 -1920)


AM UFER

Die Welt verstummt, dein Blut erklingt;
in seinen hellen Abgrund sinkt
der ferne Tag,

er schaudert nicht; die Glut umschlingt
das höchste Land, im Meere ringt
die ferne Nacht,

sie zaudert nicht; der Flut entspringt
ein Sternchen, deine Seele trinkt
das ewige Licht.

23.9.09

BARTHOLD HEINRICH BROCKES: KIRSCHBLÜTE BEI DER NACHT


BARTHOLD HEINRICH BROCKES (1680-1747)


KIRSCHBLÜTE BEI DER NACHT


Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte,
In kühler Nacht beim Mondenschein;
Ich glaubt', es könne nichts von größerer Weiße sein.
Es schien, ob wär ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der kleinste Ast
Trug gleichsam eine rechte Last
Von zierlich-weißen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt,
Indem daselbst des Mondes sanftes Licht
Selbst durch die zarten Blätter bricht,
Sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden
Was Weißers ausgefunden werden.
Indem ich nun bald hin, bald her
Im Schatten dieses Baumes gehe,
Sah ich von ungefähr
Durch alle Blumen in die Höhe
Und ward noch einen weißern Schein,
Der tausenmal so weiß, der tausendmal so klar,
Fast halb darob erstaunt, gewahr.
Der Blüte Schnee schien schwarz zu sein
Bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
Von einem hellen Stern ein weißes Licht,
Das mir recht in die Seele strahlte.
Wie sehr ich mich an Gott im Irdischen ergetze,
Dacht ich, hat Er dennoch weit größre Schätze.
Die größte Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.

ADA CHRISTEN: NUR DU ALLEIN


ADA CHRISTEN (1839-1901)

NUR DU ALLEIN


1

Nur Du allein, Du schautest wie ich litt,
Nur Du allein hast meiner Qual geglaubt,
Du schirmtest die Gedanken mir im Haupt -
Als Nacht mit Licht in meiner Seele stritt.
Nur Du allein, Du lieh'st mir Deine Hand,
Als ich einst kam, geschmähet und bedroht -
Als sich kein heimathlicher Heerd mir bot,
Als ich allein auf weiter Erde stand....
Nur Du allein, Du hast mich nie betrübt,
Seit Du erschaut, wie ich so tief verarmt -
Nur Du allein hast Dich einst mein erbarmt,
Hast mich beschützt - und hast mich nie geliebt...


2

Sag' nicht, ich soll Dich meiden
Und nimmer sehn,
Wollt' ich Dich auch verlassen,
Wohin sollt' ich gehn? -
Du weißt es ja, ich habe
Keine Heimath dann -
Kein Glück - und keine Stätte,
Wo ich ruhen kann...

21.9.09

PAUL GERHARDT: PASSIONSLIED


PAUL GERHARDT (1607-1676)


PASSIONSLIED


O Haupt voll Blut und Wunden,
Voll Schmerz und voller Hohn,
O Haupt, zu Spott gebunden
Mit einer Dornenkron!
O Haupt, sonst schön gezieret
Mit höchster Ehr und Zier,
Jetzt aber hoch schimpfieret,
Gegrüßet seist du mir!

Du edles Angesichte,
Davor sonst schrickt und scheut
Das große Weltgewichte,
Wie bist du so bespeit,
Wie bist du so erbleichet,
Wer hat dein Augenlicht,
Dem sonst kein Licht nicht gleichet,
So schändlich zugericht?

Die Farbe deiner Wangen,
Der roten Lippen Pracht
Ist hin und ganz vergangen,
Des blassen Todes Macht
Hat alles hingenommen,
Hat alles hingerafft,
Und daher bist du kommen
Von deines Leibes Kraft.

Nun, was du, Herr, erduldet,
Ist alles meine Last,
Ich hab es selbst verschuldet,
Was du getragen hast!
Schau her, hier steh ich Armer,
Der Zorn verdienet hat,
Gib mir, o mein Erbarmer,
Den Anblick deiner Gnad.

Erkenne mich, mein Hüter;
Mein Hirte, nimm mich an!
Von dir, Quell aller Güter,
Ist mir viel Guts getan.
Dein Mund hat mich gelabet
Mit Milch und süßer Kost;
Dein Geist hat mich begabet
Mit mancher Himmelslust.

Ich will hier bei dir stehen,
Verachte mich doch nicht!
Von dir will ich nicht gehen,
Wann dir dein Herze bricht.
Wann dein Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstoß,
Alsdann will ich dich fassen
In meinen Arm und Schoß.

Es dient zu meinen Freuden
Und kommt mir herzlich wohl,
Wenn ich in deinem Leiden,
Mein Heil, mich finden soll.
Ach, möcht ich, o mein Leben,
An deinem Kreuze hier
Mein Leben von mir geben,
Wie wohl geschähe mir!

Ich danke dir von Herzen,
O Jesu, liebster Freund,
Für deines Todes Schmerzen,
Da du's so gut gemeint.
Ach gib, daß ich mich halte
Zu dir und deiner Treu
Und, wenn ich nun erkalte,
In dir mein Ende sei.

Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir;
Wenn ich den Tod soll leiden,
So tritt du dann herfür.
Wenn mir am allerbängsten
Wird um das Herze sein,
So reiß mich aus den Ängsten
Kraft deiner Angst und Pein.

Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod
Und laß mich sehn dein Bilde
In deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
Da will ich glaubensvoll
Dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

9.9.09

CHARLOTTE VON AHLEFELD: AN DIE WOLKEN


CHARLOTTE VON AHLEFELD (1781-1849)


AN DIE WOLKEN


Es jagen die Stürme
Am herbstlichen Himmel
Die fliehenden Wolken;
Es wehen die Blätter
Des Haines hernieder,
Es hüllt sich in Nebel
Das ferne Gebirg. -

O jaget, Ihr Wolken,
In stürmender Eile.
Ihr ziehet nach Süden,
Wo freundlich die Sonne
Den wehenden Schleier
Euch liebevoll schmücket
Mit goldenem Saum.

Mich trieben die Stürme
Des Schicksals nach Norden
Dort mangelt mir ewig
Die Sonne der Freude,
Und nimmer verkläret
Ihr Lächeln die Wolken
Des düsteren Sinnes.

Und darum geleit' ich
Mit Seufzern der Sehnsucht
Euch, luftige Bilder
Der wechselnden Laune
Des ewigen Himmels,
Und flüchtete gerne
Nach Süden mit Euch.

8.9.09

FELIX DAHN: ZWEI LEBEN IN EINER GESTALT


FELIX DAHN (1843-1912)


ZWEI LEBEN IN EINER GESTALT


Einst stand der Dorn ohne blühenden Duft,
  Verdorrend im eisigen Windeshauch,
Da quoll vom Süden wabernde Luft:
  Und sonnig umwarb sie den Dornenstrauch;
Da sproßten ihm Blätter und Knospen auch
  Mit zwingender Lebensgewalt.
Nun brennen im blühenden Dornenstrauch
  Zwei Leben in einer Gestalt.

7.9.09

GOTTFRIED AUGUST BÜRGER: LIEBE OHNE HEIMAT


GOTTFRIED AUGUST BÜRGER (1747-1794)


LIEBE OHNE HEIMAT


Meine Liebe, lange wie die Taube
Von dem Falken hin und her gescheucht,
Wähnte froh, sie hab' ihr Nest erreicht
In den Zweigen einer Götterlaube.

Armes Täubchen! Hart getäuschter Glaube!
Herbes Schicksal, dem kein andres gleicht!
Ihre Heimat, kaum dem Blick gezeigt,
Wurde schnell dem Wetterstrahl zum Raube.

Ach, nun irrt sie wieder hin und her!
Zwischen Erd' und Himmel schwebt die Arme,
Sonder Ziel für ihres Flugs Beschwer.

Denn ein Herz, das ihrer sich erbarme,
Wo sie noch einmal, wie einst erwarme,
Schlägt für sie auf Erden nirgends mehr.

6.9.09

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: BUCH DER LIEBE


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)


BUCH DER LIEBE


Wunderlichstes Buch der Bücher
Ist das Buch der Liebe;
Aufmerksam hab ich's gelesen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung.
Wiedersehn! ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß.
O Nisami! - doch am Ende
Hast den rechten Weg gefunden;
Unauflösliches, wer löst es?
Liebende, sich wieder findend.

4.9.09

LOUISE ASTON: LEBENSMOTTO


LOUISE ASTON (1814-1871)


LEBENSMOTTO


Fromme Seelen, fromme Herzen,
Himmelssehnend, lebenssatt;
Euch ist rings ein Thal der Schmerzen,
Eine finst're Schädelstatt!
Mag in schreckenden Gesichten
Bang vor mir das Schicksal steh'n;
Nie soll mich der Schmerz vernichten,
Nie zerknirscht und reuig seh'n!
Freiem Leben, freiem Lieben,
Bin ich immer treu geblieben!

Leben - Meer, das endlos rauschend
Mich auf weiten Fluten trägt:
Deinen Tiefen freudig lauschend
Steh' ich sinnend, stummbewegt.
Stürzt Gewittersturm, der wilde,
Jauchzend sich in's Meer hinein,
Schau' ich in dem Flammenbilde
Meines Lebens Wiederschein.
Freiem Leben, freiem Lieben,
Bin ich immer treu geblieben!

Liebe - von der Welt geächtet,
Von dem blinden Wahn verkannt,
Oft gemartert, oft geknechtet,
Ohne Recht und Vaterland;
Fester Bund von stolzen Seelen
Den des Lebens Glut gebar,
Freier Herzen freies Wählen
Vor der Schöpfung Hochaltar!
Freiem Leben, freiem Lieben,
Bin ich immer treu geblieben!

Und so lang' die Pulse beben,
Bis zum letzten Athemzug,
Weih' der Liebe ich dies Leben,
Ihrem Segen, ihrem Fluch!
Schöne Welt, du blühend Eden,
Deiner Freuden reicher Schatz
Giebt für alle Schicksals Fehden
Vollen, köstlichen Ersatz!
Freiem Lieben, freiem Leben,
Hab' ich ewig mich ergeben!

3.9.09

GEORG TRAKL: NACHTLIED


GEORG TRAKL


NACHTLIED


Des Unbewegten Odem. Ein Tiergesicht
Erstarrt vor Bläue, ihrer Heiligkeit.
Gewaltig ist das Schweigen im Stein;

Die Maske eines nächtlichen Vogels. Sanfter Dreiklang
Verklingt in einem. Elai! dein Antlitz
Beugt sich sprachlos über bläuliche Wasser.

O! ihr stillen Spiegel der Wahrheit.
An des Einsamen elfenbeinerner Schläfe
Erscheint der Abglanz gefallener Engel.

1.9.09

LUISE HENSEL: WILL KEINE BLUMEN MEHR


LUISE HENSEL (1798-1876)


WILL KEINE BLUMEN MEHR


Die Sommerrosen blühen
Und duften um mich her;
Ich seh' sie all' verglühen,
Will keine Blumen mehr.

Der Bruder mein that ziehen
Mit Königs stolzem Heer,
Läßt einsam mich verblühen,
Will keine Blumen mehr.

Die blanken Waffen sprühen
Weit Funken um ihn her;
Das Herz thut ihm erglühen,
Will keine Blumen mehr.

Und Silbersterne blühen
Um Helm und Brustschild her,
Die blitzend ihn umziehen,
Will keine Blumen mehr.

Die Sommerrosen glühen
Und duften all' so sehr;
Ich seh' sie all' verblühen,
Will keine Blumen mehr.