31.3.09
JOSEPH FREIHERR VON EICHENDORFF: NEUE LIEBE
JOSEPH FREIHERR VON EICHENDORFF (1788-1857)
NEUE LIEBE
Herz, mein Herz, warum so fröhlich,
So voll Unruh und zerstreut,
Als käm über Berge selig
Schon die schöne Frühlingszeit?
Weil ein liebes Mädchen wieder
Herzlich an dein Herz sich drückt,
Schaust du fröhlich auf und nieder,
Erd und Himmel dich erquickt.
Und ich hab die Fenster offen,
Neu zieh in die Welt hinein
Altes Bangen, altes Hoffen!
Frühling, Frühling soll es sein!
Still kann ich hier nicht mehr bleiben,
Durch die Brust ein Singen irrt,
Doch zu licht ist's mir zum Schreiben,
Und ich bin so froh verwirrt.
Also schlendr' ich durch die Gassen,
Menschen gehen her und hin,
Weiß nicht, was ich tu und lasse,
Nur, daß ich so glücklich bin.
28.3.09
ANDREAS GRYPHIUS: AN EUGENIEN
ANDREAS GRYPHIUS (1616-1664)
AN EUGENIEN
Schön ist ein schöner leib, den aller lippen preisen,
Der von nicht schlechtem stamm und edlem blut herrührt;
Doch schöner, wenn den leib ein' edle seele ziehrt,
Die einig sich nur lässt die tugend unterweisen;
Vielmehr, wenn weisheit noch, nach der wir offtmals reisen,
Sie in der wiegen lehrt; mehr, wenn sie zucht anführt
Und heilig seyn ergetzt, die nur nach demuth spür't;
Mehr, wenn ihr keuscher geist nicht zagt für flamm und eisen.
Diß schätz ich rühmens wehrt, diß ist, was diese welt,
Die aller schönheit sitz, für höchste schönheit hält,
Und das man billich mag der schönheit wunder nennen.
Wer dieses schauen wil, wird finden, was er sucht
Und kaum zu finden ist, wenn er, o blum der zucht!
O schönste! wenn er euch wird was genauer kennen.
21.3.09
FRIEDRICH MARTIN BODENSTEDT: WIR WANDELN ALLE DEN WEG ZUR GRUFT
FRIEDRICH MARTIN BODENSTEDT (1819-1892)
WIR WANDELN ALLE DEN WEG ZUR GRUFT
Wir wandeln Alle den Weg zur Gruft
Im Kampf mit Sorg' und Erdennoth,
Wir athmen Alle dieselbe Luft,
Wir essen Alle dasselbe Brot:
Nur Liebe überblüht die Kluft,
Die zwischen Sein und Nichtsein droht,
Daß, wie gepflückter Blumen Duft,
Doch Etwas überlebt den Tod!
15.3.09
FRANZ XAVER FREIHERR VON SCHLECHTA: LIEBESLAUSCHEN
FRANZ XAVER FREIHERR VON SCHLECHTA (1796-1875)
LIEBESLAUSCHEN
Hier unten steht ein Ritter
Im hellen Mondenstrahl,
Und singt zu seiner Zither
Ein Lied von süßer Qual;
»Lüfte, spannt die blauen Schwingen
Sanft für meine Botschaft aus,
Rufet sie mit leisem Klingen
An dies Fensterlein heraus.
Sagt ihr, daß im Blätterdache
Seufz' ein wohlbekannter Laut,
Sagt ihr, daß noch einer wache,
Und die Nacht sei kühl und traut.
Sagt ihr, wie des Mondes Welle
Sich an ihrem Fenster bricht,
Sagt ihr, wie der Wald, die Quelle
Heimlich und von Liebe spricht!
Laß ihn leuchten durch die Bäume,
Deines Bildes süßen Schein,
Das sich hold in meine Träume
Und mein Wachen webet ein.«
Doch drang die zarte Weise
Wohl nicht zu Liebchens Ohr,
Der Sänger schwang sich leise
Zum Fensterlein empor.
Und oben zog der Ritter
Ein Kränzchen aus der Brust;
Das band er fest am Gitter
Und seufzte: »Blüht in Lust!«
»Und fragt sie, wer euch brachte,
Dann, Blumen, tut ihr kund.«
Ein Stimmchen unten lachte:
»Dein Ritter Liebemund.«
13.3.09
BERTOLT BRECHT: MORITAT
BERTOLT BRECHT
MORITAT (: MACKIE MESSER)
1.
Und der Haifisch, der hat Zähne
und die trägt er im Gesicht
und Macheath, der hat ein Messer,
doch das Messer sieht man nicht.
2.
Ach, es sind des Haifischs Flossen
Rot, wenn dieser Blut vergiesst!
Mackie Messer trägt 'nen Handschuh
Drauf man keine Untat liest.
3.
An der Themse grünem Wasser
Fallen plötzlich Leute um!
Es ist weder Pest noch Cholera
Doch es heisst: Maceath geht um.
4.
An 'nem schönen blauen Sonntag
Liegt ein toter Mann am Strand
Und ein Mensch geht um die Ecke
Den man Mackie Messer nennt.
5.
Und Schmul Meier bleibt verschwunden
Und so mancher reiche Mann
Und sein Geld hat Mackie Messer
Dem man nichts beweisen kann.
6.
Jenny Towler ward gefunden
Mit 'nem Messer in der Brust
Und am Kai geht Mackie Messer
Der von allem nichts gewusst.
7.
Wo ist Alfons Glite, der Fuhrherr?
Kommt das je ans Sonnenlicht?
Wer es immer wissen könnte-
Mackie Messer weiß es nicht.
8.
Und das grosse Feuer in Soho
Sieben Kinder und ein Greis-
In der Menge Mackie Messer, den
Man nicht fragt und der nichts weiss.
9.
Und die minderjährige Witwe
deren Namen jeder weiss
Wachte auf und war geschändet,
Mackie, welches war dein Preis.
12.3.09
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: NACHGEFÜHL
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)
NACHGEFÜHL
Wenn die Reben wieder blühen,
Rühret sich der Wein im Fasse;
Wenn die Rosen wieder glühen,
Weiß ich nicht, wie mir geschieht.
Tränen rinnen von den Wangen,
Was ich tue, was ich lasse;
Nur ein unbestimmt Verlangen
Fühl' ich, das die Brust durchglüht.
Und zuletzt muß ich mir sagen,
Wenn ich mich bedenk' und fasse,
Daß in solchen schönen Tagen
Doris einst für mich geglüht.
ROSE AUSLÄNDER: MARIENKÄFER
ROSE AUSLÄNDER (1901-1988)
MARIENKÄFER
Ich schließe
den Himmel
vor meiner Tür
Verirrter Marienkäfer
sieben Schwarzpunkte
auf rotem Rücken
Das Siebengestirn
schwankt
auf meiner Fingerspitze
Plötzliche Flügel
Luftfinger öffnen
den Himmel
vor meiner Tür
10.3.09
BERTA LASK: EIN LIEBESLIED
BERTA LASK (1878-1967)
EIN LIEBESLIED
Da die Liebe über mich kam,
Wardst du Schöpfer der Welt.
Alles Werdens Wunder kam aus dir,
Alle Blumen quollen aus deinen Fingern.
Aus deinem Schreiten wuchs
Rauschen schattender Wälder.
Alle Musik in Wasser und Wind
Tropfte in silbernen Rinnsalen aus dir.
Grün über Gräsern lag deines Wesens Duft,
Ausgebreitet auf Wiesen und Wäldern.
Deiner Seele Lächeln
Zog weißwolkig blauen Himmel entlang.
Und die Himmelslichter brachen brausend
Aus deiner Augen Strahl. -
Da die Liebe über mich kam,
Wardst du Schöpfer der Welt.
7.3.09
THEODOR FONTANE: HERR VON RIBBECK AUF RIBBECK IM HAVELLAND
THEODOR FONTANE (1819-1898)
HERR VON RIBBECK AUF RIBBECK IM HAVELLAND
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: "Junge, wiste 'ne Beer?"
Und kam ein Mädel, so rief er: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn."
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: "Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab."
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen "Jesus meine Zuversicht",
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
"He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?"
So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: "Wiste 'ne Beer?"
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn."
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.