28.2.09
MARIA LUISE WEISSMANN: MUND
MARIA LUISE WEISSMANN (1899-1929)
MUND
Ich bin nur noch ein Mund, der zu Dir spricht,
So schwand ich hin, verlor sich mein Gesicht
Und all der Leib, zu dem ich mich versammelt.
Ich bin nur noch ein Mund, der zu Dir stammelt,
Der leben blieb, sein Sterben Dir zu künden:
Er tut sich auf, und muß schon in Dich münden.
24.2.09
BETTINA VON ARNIM: DAS LIED VOM HEMDCHEN
BETTINA VON ARNIM (1785-1859)
DAS LIED VOM HEMDCHEN
Die Sonne stand wohl auf
Des Morgens um halber vier.
Sie zog ihr Hemdlein aus
Und hängt es an die Tür.
Herfür trat sie an Strom
Und bad't sich ganz darein,
Am ganzen Leibe schön
Wie eine Perle fein.
Alsdann ging sie von danne
Wohl über Berg und Tal,
Bis daß sie endlich kame
An einen hellgrünen Wald.
Im Wald da floß ein Bächelein,
Das hat gesehen
Ein weiß und rot schön Jungfräulein
Ganz ohne Röcklein stehen.
Da kam ein junger Knab,
Der sprach: »Ei wohl fürwahr,
Du tust dein Hemdlein ab
Beim hellen lichten Tag.«
»Mein Hemdlein kann ich lassen,
Ich war ja ganz allein.
Wenn du willst mit mir spaßen,
Nehm ich mein Hemdelein.«
»Dein Leben will ich dir nehmen«,
So sprach der junge Knab,
»Du sollst mir nimmer buhlen
Wohl mit dem jungen Tag.
Ich halt dich mit den Händen,
Drück tot dein Herzelein,
Daß du magst nimmer wenden
Die Augen zum klaren Schein.«
Als dies die Sonne tat schauen,
Da eilt sie schnell davon
Wohl über Berg und Täler,
Bis sie nach Hause kam.
Sie hängt ihr Hemdelein ab,
Sie hängt ihr Hemdelein um,
Daß wenn mein junger Buhler kommt,
Mich nimmer bringet um.
Nun liegt die Sach ganz klar am Tag,
Die Welt ist Nebels voll,
Kein Kraut, kein Wein geraten mag,
Die Jungfern wissen's wohl.
22.2.09
ULLA HAHN: BILDLICH GESPROCHEN
ULLA HAHN
BILDLICH GESPROCHEN
Wär ich ein Baum ich wüchse
dir in die hohle Hand
und wärst du das Meer ich baute
dir weiße Burgen aus Sand.
Wärst du eine Blume ich grübe
dich mit allen Wurzeln aus
wär ich ein Feuer ich legte
in sanfte Asche dein Haus.
Wär ich eine Nixe ich saugte
dich auf den Grund hinab
und wärst du ein Stern ich knallte
dich vom Himmel ab.
19.2.09
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: AN CHARLOTTE VON STEIN
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
AN CHARLOTTE VON STEIN
Warum gabst du uns die tiefen Blicke,
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
Unsrer Liebe, unserm Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutraun?
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
Uns einander in das Herz zu sehn,
Um durch all die seltenen Gewühle
Unser wahr Verhältnis auszuspähn?
Ach, so viele tausend Menschen kennen,
Dumpf sich treibend, kaum ihr eigen Herz,
Schweben zwecklos hin und her und rennen
Hoffnungslos in unversehnern Schmerz;
Jauchzen wieder, wenn der schnellen Freuden
Unerwart'te Morgenröte tagt.
Nur uns armen liebevollen beiden
Ist das wechselseit'ge Glück versagt,
Uns zu lieben, ohn uns zu verstehen,
In dem anderen sehn, was er nie war,
Immer frisch auf Traumglück auszugehen
Und zu schwanken auch in Traumgefahr.
Glücklich, den ein leerer Traum beschäftigt!
Glücklich, dem die Ahndung eitel wär!
Jede Gegenwart und jeder Blick bekräftigt
Traum und Ahndung leider uns noch mehr.
Sag, was will das Schicksal uns bereiten?
Sag, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.
Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
Konntest mich mit einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt;
Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,
Richtetest den wilden irren Lauf,
Und in deinen Engelsatmen ruhte
Die zerstörte Brust sich wieder auf;
Hieltest zauberleicht ihn angebunden
Und vergaukeltest ihm manchen Tag.
Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden,
Da er dankbar dir zu Füßen lag,
Fühlt' sein Herz an deinem Herzen schwellen,
Fühlte sich in deinem Auge gut,
Alle seine Sinnen sich erhellen
Und beruhigen sein brausend Blut!
Und von allem dem schwebt ein Erinnern
Nur noch um das ungewisse Herz,
Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
Und wir scheinen uns nur halb beseelet,
Dämmernd ist um uns der hellste Tag.
Glücklich, daß das Schicksal, das uns quälet,
Uns doch nicht verändern mag!
GOTTHOLD EPHRAIM LESSING: DIE SCHLAFENDE LAURA
GOTTHOLD EPHRAIM LESSING (1729-1781)
DIE SCHLAFENDE LAURA
Nachlässig hingestreckt,
Die Brust mit Flor bedeckt,
Der jedem Lüftchen wich,
Das säuselnd ihn durchstrich,
Ließ unter jenen Linden
Mein Glück mich Lauten finden.
Sie schlief, und weit und breit
Schlug jede Blum ihr Haupt zur Erden
Aus mißvergnügter Traurigkeit,
Von Lauren nicht gesehn zu werden.
Sie schlief, und weit und breit
Erschallten keine Nachtigallen
Aus weiser Furchtsamkeit,
Ihr minder zu gefallen,
Als ihr der Schlaf gefiel,
Als ihr der Traum gefiel,
Den sie vielleicht jetzt träumte,
Von dem, ich hoff es, träumte,
Der staunend bei ihr stand
Und viel zu viel empfand,
Um deutlich zu empfinden,
Um noch es zu empfinden,
Wie viel er da empfand.
Ich ließ mich sanfte nieder,
Ich segnete, ich küßte sie,
Ich segnete und küßte wieder:
Und schnell erwachte sie.
Schnell taten sich die Augen auf.
Die Augen? - nein, der Himmel tat sich auf.
16.2.09
ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF: SPÄTES ERWACHEN
ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF (1797-1848)
SPÄTES ERWACHEN
Wie war mein Dasein abgeschlossen,
Als ich im grün umhegten Haus
Durch Lerchenschlag und Fichtensprossen
Noch träumt' in den Azur hinaus.
Als keinen Blick ich noch erkannte,
Als den des Strahles durchs Gezweig,
Die Felsen meine Brüder nannte,
Schwester mein Spiegelbild im Teich.
Nicht rede ich von jenen Jahren,
Die dämmernd uns die Kindheit beut;
Nein, so verdämmert und zerfahren
War meine ganze Jugendzeit.
Wohl sah ich freundliche Gestalten
Am Horizont vorüberfliehn;
Ich konnte heiße Hände halten
Und heiße Lippen an mich ziehn;
Ich hörte ihres Grußes Pochen,
Ihr leises Wispern um mein Haus
Und sandte schwimmend, halbgebrochen,
Nur einen Seufzer halb hinaus.
Ich fühlte ihres Hauches Fächeln,
Und war doch keine Blume süß;
Ich sah der Liebe Engel lächeln,
Und hatte doch kein Paradies.
Mir war als habe in den Noten
Sich jeder Ton an mich verwirrt,
Sich jede Hand, die mir geboten,
Im Dunkel wunderlich verirrt.
Verschlossen blieb ich, eingeschlossen
In meinerTräume Zauberturm,
Die Blitze waren mir Genossen
Und Liebesstimme mir der Sturm.
Dem Wald ließ ich ein Lied erschallen,
Wie nie vor einem Menschenohr,
Und meineTräne ließ ich fallen,
Die heiße, in den Blumenflor.
Und alle Pfade mußt' ich fragen:
Kennt Vögel ihr und Strahlen auch?
Doch keinen: wohin magst du tragen?
Von welchem Odem schwillt dein Hauch?
Wie ist das anders nun geworden,
Seit ich ins Auge dir geblickt!
Wie ist nun jeder Welle Borden
Ein Menschenbildnis eingedrückt!
Wie fühl' ich allen warmen Händen
Nun ihre leisen Pulse nach,
Und jedem Blick sein scheues Wenden,
Und jeder schweren Brust ihr Ach!
Und alle Pfade möcht' ich fragen:
Wo zieht ihr hin? wo ist das Haus,
In dem lebend'ge Herzen schlagen,
Lebend'ger Odem schwillt hinaus?
Entzünden möcht' ich alle Kerzen
Und rufen jedem müden Sein:
Auf ist mein Paradies im Herzen,
Zieht alle, alle nun hinein!
15.2.09
WILHELM MÜLLER: WANDERNSCHAFT
WILHELM MÜLLER (1794-1827)
WANDERNSCHAFT
Das Wandern ist des Müllers Lust,
das Wandern!
Das muß ein schlechter Müller sein,
dem niemals fiel das Wandern ein,
das Wandern.
Vom Wasser haben wir's gelernt,
vom Wasser!
Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht,
ist stets aufWanderschaft bedacht,
das Wasser.
Das sehn wir auch den Rädern ab,
den Rädern!
Die gar nicht gerne stille stehn,
die sich mein Tag nicht müde gehn,
die Räder.
Die Steine selbst, so schwer sie sind,
die Steine!
Sie tanzen mit den muntern Reihn
und wollen gar noch schneller sein,
die Steine.
O Wandern, Wandern, meine Lust,
o Wandern!
Herr Meister und Frau Meisterin,
laßt mich in Frieden weiter ziehn
und wandern.
12.2.09
HEINRICH HEINE: ICH LIEB EINE BLUME, DOCH WEISS ICH NICHT WELCHE
HEINRICH HEINE (1797-1856)
ICH LIEB EINE BLUME, DOCH WEISS ICH NICHT WELCHE
Ich lieb eine Blume, doch weiß ich nicht welche;
Das macht mir Schmerz.
Ich schau in alle Blumenkelche,
Und such ein Herz
Es duften die Blumen im Abendscheine,
Die Nachtigall schlägt.
Ich such ein Herz, so schön wie das meine,
So schön bewegt.
Die Nachtigall schlägt, und ich verstehe
Den süßen Gesang;
Uns beiden ist so bang und wehe,
So weh und bang.
8.2.09
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: MIGNON
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)
MIGNON
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
Nach jener Seite.
Ach! der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
6.2.09
ROBERT PRUTZ: LENZ UND LICHT
5.2.09
ADOLF FRIEDRICH VON SCHACK: AN ADELE
ADOLF FRIEDRICH VON SCHACK (1815-1894)
AN ADELE
Laß mich nicht allein, Adele,
Nicht in weiter Welt allein!
Sonnen will ich meine Seele,
Weib, in deines Auges Schein.
Leg' in meine deine Rechte,
Daß an Ader Ader wallt!
Schaurig draußen sind die Nächte,
Und die Tage o wie kalt!
In des Menschenschwarms Gewühle
Steh' ich da betäubt und bang;
Daß nur Einer mit mir fühle,
Fruchtlos ist mein Herzensdrang.
Der Natur mich zu vertrauen
Streif' ich durch Gebirg und Wald,
Doch zurück von ihr treibt Grauen
In mich selbst mich wieder bald.
Ob das Herz in Freude schlage,
Ob es in Verzweiflung bricht,
Taub ist sie für unsre Klage,
Unsre Lust versteht sie nicht.
Ihre welken Blätter streut sie
Theilnahmslos auf unsre Gruft;
Nur aus unserm Staub erneut sie
Ihrer Lenze Blüthenduft.
Laß mich nicht allein, Adele,
Nicht in weiter Welt allein!
Sonnen will ich meine Seele,
Weib, in deines Auges Schein!
3.2.09
WOLF BIERMANN: HUGENOTTENFRIEDHOF
WOLF BIERMANN
HUGENOTTENFRIEDHOF
Wir gehn manchmal zwanzig Minuten
Die Mittagszeit nicht zu verliern
Zum Friedhof der Hugenotten
Gleich hier ums Eck spaziern
Da duftet und zwitschert es mitten
Im Häusermeer blüht es. Und nach
Paar wohlvertrauten Schritten
Hörst du keinen Straßenkrach
Wir hakeln uns Hand in Hand ein
Und schlendern zu Brecht seinem Grab
Aus grauem Granit da, sein Grabstein
Paßt grade für Brecht nicht schlecht
Und neben ihm liegt Helene
Die große Weigel ruht aus
Von all dem Theaterspielen
Und Kochen und Waschen zu Haus
Dann freun wir uns und gehen weiter
Und denken noch beim Küssegeben:
Wie nah sind uns manche Tote, doch
Wie tot sind uns manche, die leben
Wir treffen das uralte Weiblein
Das harkt da und pflanzt da und macht
Und sieht sie uns beide kommen
Dann winkt sie uns ran und lacht
Die Alte erzählt uns von Achtzehn
Novemberrevolution:
»Hier schossen sich Spartakisten
Mit Kaiserlichen, die flohn!
Karl Liebknecht und Luxemburg Rosa
- so muß es den Menschen ja gehn! -
lebendig und totgeschlagen
Hab ich sie noch beide gesehn!
Als ich noch ein junges Ding war
- ich bin ja schon viel zu alt! -
Von hier bis zur Friedrichstraße
War alles noch dichter Wald!«
Dann freun wir uns und gehen weiter:
Wie nah sind uns manche Tote, doch
Wie tot sind uns manche, die leben
Da liegt allerhand große Leute
Und liegen auch viel kleine Leut
Da stehn riesengroße Platanen
Daß es die Augen freut
Wir gehn auch mal rüber zu Hegel
Und besuchen dann dicht dabei
Hanns Eisler, Wolf Langhoff, John Heartfield
Wohnt gleich in der Nachbarreih'
Von Becher kannst du da lesen
Ein ganzes Gedicht schön in Stein
Der hübsche Stein da aus Sandstein
Ich glaub, der wird haltbarer sein
Die Sonne steht steil in den Büschen
Die Spatzen jagen sich wild
Wir halten uns fest und tanzen
Durch dieses grüne Bild
Dann freun wir uns und gehen weiter:
Wie nah sind uns manche Tote, doch
Wie tot sind uns manche, die leben
1.2.09
KLARA BLUM: PFLAUMENBLÜTE
KLARA BLUM (1904-1971)
PFLAUMENBLÜTE
Chinas Volk verehrt die Pflaumenblüte,
Denn es gleicht dies Volk der Pflaumenblüte.
Stürmt der Winter noch mit Schnee und Eis,
Sie erblüht am Aste rosig-weiß.
Stürmt der Winter noch auf allen Wegen,
Unerschrocken blüht sie ihm entgegen.
Ihre zarten Blätter, mutberauscht,
Tanzen leis, wenn sie dem Winde lauscht.
Denn es ist ihr Glück, im Sturmeswehen
Einem Mächtigen zu widerstehen.
Sieben Märchen aus des Volkes Gut
Preisen ihren stillen Blumenmut.
Und sie lehren weise alle sieben
Eisern kämpfen und behutsam lieben.
Und sie lehren nach Chinesenart,
Daß die Zarten stark, die Starken zart.
Ist die Erde überbraust von Schrecken,
Daß die Blumen ängstlich sich verstecken,
Dann erblüht ihr machtvoll stilles Licht,
Gibt der Welt von neuem Zuversicht.
Moskau, 1938.