30.6.08

KASPAR STIELER: FRISCH BEY DER LIEBE!


KASPAR STIELER (1632-1707)


FRISCH BEY DER LIEBE!


1.
Die Liebe lehrt im finstern gehen,
sie lehret an der Tühr uns stehen,
sie lehrt uns geben manche Zeichen
ihr süß' Vergnügen zu erreichen.

2.
Sie lehrt auff Kunst-gemachten Lettern
zur Liebsten Fenster ein zu klettern,
die Liebe weiß ein Loch zu zeigen
in ein verriegelt Hauß zu steigen.

3.
Sie kann uns unvermerket führen
durch so viel wolverwahrte Tühren,
den Tritt kan sie so leise lehren,
die Mutter solt' auff Kazzen schweeren.

4.
Die Liebe lehrt den Atem hemmen,
sie lehrt den Husten uns beklemmen,
sie lehrt das Bette sacht auffheben,
sie lehrt uns stille Küßgen geben.

5.
Diß lehrt und sonst vielmehr das Lieben.
Doch willstu dich im Lieben üben:
so muß die Faulheit stehn bey seite,
die Lieb' erfordert frische Leute.

6.
Wer lieben will und nichts nicht wagen,
wer bey dem Lieben will verzagen:
der lasse Lieben unterwegen.
Der Brate fleugt uns nicht entgegen.

29.6.08

LUDWIG CHRISTOPH HEINRICH HÖLTY: DIE KÜNFTIGE GELIEBTE


LUDWIG CHRISTOPH HEINRICH HÖLTY (1748-1776)


DIE KÜNFTIGE GELIEBTE


Wenn ich dich Engel fände, wenn der nächste
Mond der knospenden Rosen meinem Arm dich
Brächte; dann, dann hätt' ich den Himmel schon auf
Erden gefunden!

Jeglicher Pulsschlag würde heißer schlagen,
Jede Nerve der Seele heller zittern;
Umgeboren würd' ich die Welt in neuer
Schönheit erblicken.

Trunken an ihrer weißen Brust entschlummern,
Und im Traume mit ihrem Busen tändeln,
Und, bestralt vom Morgen, in ihrer Arme
Himmel erwachen!

Wenn ich dich fände! Komm, du Engel Gottes,
Komm mein Leben zu heitern! Wenig Freuden
Sprießen auf den Ufern des Lebens! Engel,
Komm, mich zu heitern!

26.6.08

LUDWIG UHLAND: ICH HATT’ EINEN KAMERADEN


LUDWIG UHLAND (1787-1862)


ICH HATT’ EINEN KAMERADEN


Ich hatt' einen Kameraden,
Einen bessern findst du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt.

Eine Kugel kam geflogen:
Gilt's mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt vor meinen Füßen
Als wär's ein Stück von mir.

Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad'.
"Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib du im ew'gen Leben
Mein guter Kamerad!"

23.6.08

GÜNTER GRASS: KIRSCHEN


GÜNTER GRASS


KIRSCHEN


Wenn die Liebe auf Stelzen
über die Kieswege stochert
und in die Bäume reicht,
möchte auch ich gerne Kirschen
in Kirschen als Kirschen erkennen,

nicht mehr mit Armen zu kurz,
mit Leitern, denen es immer
an einer Sprosse mangelt,
von Fallobst leben, Kompott.

Süß und süßer, fast schwarz;
Ämseln träumen so rot -
wer küßt hier wen,
wenn die Liebe
auf Stelzen in Bäume reicht.

20.6.08

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: DEM AUFGEHENDEN VOLLMONDE


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)


DEM AUFGEHENDEN VOLLMONDE


Willst du mich sogleich verlassen?
Warst im Augenblick so nah!
Dich umfinstern Wolkenmassen,
Und nun bist du gar nicht da.

Doch du fühlst, wie ich betrübt bin,
Blickt dein Rand herauf als Stern!
Zeugest mir, dass ich geliebt bin,
Sei das Liebchen noch so fern.

So hinan denn! hell und heller,
Reiner Bahn, in voller Pracht!
Schlägt mein Herz auch schmerzlich schneller,
Überselig ist die Nacht!

13.6.08

LUDWIG EICHRODT: NARRHEITEN


LUDWIG EICHRODT (1827-1892)


NARRHEITEN


Wornach steht mir der Sinn?
Zerrüttet ist mein Denken,
All meine Träume lenken
Auf einen Punkt nur hin,
Auf ihren Mund, den süßen,
Und den zu küssen!

Entweiche, Phantasie!
Du stolze, tiefbeschämte!
Ein schönes Mädchen lähmte
Die Schwinge dir, denn nie
Erschufst du Reiz, so süßen,
Ha! sie zu küssen!

Seit ich ihr Antlitz sah,
Das wonnige, das liebe,
Das unaussprechlich liebe,
Steht mir der Wahnsinn nah -
O Antlitz, mit dem süßen,
Dem Mund zu küssen.

So schwebt mir dort und hier
Der Zaubermund vor Augen,
Will Hirn und Herz mir fangen
Und alles Blut aus mir:
O Raserei, den süßen
Mund nicht zu küssen!

Treff ich nicht bald einmal
Die Lippen rasch zu kosten,
So soll mein Wille rosten
Wie ein entehrter Stahl.
Ich stürbe gern, den süßen
Den Mund zu küssen!

12.6.08

EDUARD MÖRIKE: ANTIKE POESIE


EDUARD MÖRIKE (1804-1875)


ANTIKE POESIE

Ich sah den Helikon in Wolkendunst,
Nur kaum berührt vom ersten Sonnenstrahle:
Schau! Jetzo stehen hoch mit einem Male
Die Gipfel dort in Morgenrötebrunst.

Hier unten spricht von keuscher Musen Gunst
Der heilge Quell im dunkelgrünen Tale;
Wer aber schöpft mit reiner Opferschale,
Wie einst, den echten Tau der alten Kunst?

Wie? soll ich endlich keinen Meister sehn?
Will keiner mehr den alten Lorbeer pflücken? -
Da sah ich Iphigeniens Dichter stehn:

Er ist's, an dessen Blick sich diese Höhn
So zauberhaft, so sonnewarm erquicken.
Er geht, und frostig rauhe Lüfte wehn.

11.6.08

ROSA MAYREDER: ES GLÄNZT DEIN AUG IN WUNDERBARER HELLE


ROSA MAYREDER (1858-1938)


[ES GLÄNZT DEIN AUG IN WUNDERBARER HELLE!]


Es glänzt dein Aug in wunderbarer Helle!
Erfüllt von einem mystischen Entzücken
Such' ich geheimen Sinn in deinen Blicken
Wie in prophetisch dunkler Bibelstelle.

Sie scheinen die unüberschrittne Schwelle
Des Körperlichen leise zu verrücken,
In ein verhülltes Jenseits sich zu brücken
Zu aller Liebe ungekannter Quelle.

Doch kann ich Offenbarung nicht gewinnen;
Es wird, gemischt aus Lust halb und aus Grauen,
Der Zauber mächtiger als das Besinnen.

Und wie ich deine Blicke in mich sauge,
Fühl' ich in diesem weltvergessnen Schauen
Mein ganzes Wesen werden lauter Auge.

9.6.08

MARIE LUISE KASCHNITZ: SPIEL DER WÜNSCHE


MARIE LUISE KASCHNITZ (1901-1974)


SPIEL DER WÜNSCHE


Uns haben Garten gehört,
Die wir gesehen,
Wir haben Häuser gebaut im Vorübergehen.
Wie von Schiffes Bug
Haben wir geschaut
Auf der Flüsse Lauf,
Auf der Berge Zug,
Haben eignes Land
Wie im Traum erkannt.
Uns gehört kein Baum,
Uns gehört kein Stein,
Sag mir, daß du liebst
Frei zu sein ...
Wir wollten wohnen
Zwischen Wein und Zitronen,
Es stand
Unser Haus im Wiesenland
Im lichten Schatten unter Apfelzweigen,
Uns gefiel
Der Gedanken Spiel,
Nichts ist uns zu eigen.
Ist die Zeit
Dir zu lang?
Unser Spiel
Wird nicht Wirklichkeit.
Ist es dir schon leid?
Was du nicht vermißt,
Vermiß ich nicht,
Wenn du nicht müde bist,
Ermüd ich nicht, -
Wie von Schiffes Bug
Will ich wieder sehen
Auf der Berge Zug,
Gerne weitergehen.
Uns gehört kein Baum,
Uns gehört kein Stein.
Sag, daß dir nur gilt,
Mir vereint zu sein.

8.6.08

EMANUEL GEIBEL: DIE LIEBE GLEICHT DEM APRIL


EMANUEL GEIBEL (1815-1884)


[DIE LIEBE GLEICHT DEM APRIL]


Die Liebe gleicht dem April:
Bald Frost, bald fröhliche Strahlen,
Bald Blüten in Herzen und Thalen,
Bald stürmisch und bald still,
Bald heimliches Ringen und Dehnen,
Bald Wolken, Regen und Thränen -
Im ewigen Schwanken und Sehnen
Wer weiß, was werden will!