8.3.17

GEORG TRAKL: DER ABEND




GEORG TRAKL


DER ABEND

Mit toten Heldengestalten
Erfüllst du Mond
Die schweigenden Wälder,
Sichelmond–
Mit der sanften Umarmung
Der liebenden,
Den Schatten berühmter Zeiten
Die modernden Felsen rings;
So bläulich erstrahlt es
Gegen die Stadt hin,
Wo kalt und böse
Ein verwesend Geschlecht wohnt,
Der weißen Enkel
Dunkle Zukunft bereitet.
Ihr mondverschlungnen Schatten
Aufseufzend im leeren Kristall
Des Bergsees. 

7.3.17

REINER KUNZE: SILBERDISTEL




REINER KUNZE


SILBERDISTEL

Sich zurückhalten
an der erde

Keinen schatten werfen
auf andere

Im schatten

der anderen
leuchten

6.3.17

PAUL CELAN: BILDNIS EINES SCHATTEN




PAUL CELAN


BILDNIS EINES SCHATTEN

Deine Augen, Lichtspur meiner Schritte;
deine Stirn, gefurcht vom Glanz der Degen;
deine Brauen, Wegrand des Verderbens;
deine Wimpern, Boten langer Briefe;
deine Locken, Raben, Raben, Raben;
deine Wangen, Wappenfeld der Frühe;
deine Lippen, späte Gäste;
deine Schultern, Standbild des Vergessens;
deine Brüste, Freunde meiner Schlangen;
deine Arme, Erlen vor dem Schloßtor;
deine Hände, Tafeln toter Schwüre;
deine Lenden, Brot und Hoffnung;
dein Geschlecht, Gesetz des Waldbrands;
deine Schenkel, Fittiche im Abgrund;
deine Kniee, Masken deiner Hoffart;
deine Füße, Walstatt der Gedanken;
deine Sohlen, Flammengrüfte;
deine Fußspur, Auge unsres Abschieds