9.2.17

GEORG TRAKL:




GEORG TRAKL


GEBURT

Gebirge: Schwärze, Schweigen und Schnee.
Rot vom Wald niedersteigt die Jagd;
O, die moosigen Blicke des Wilds.

Stille der Mutter; unter schwarzen Tannen
Öffnen sich die schlafenden Hände,
Wenn verfallen der kalte Mond erscheint.

O, die Geburt des Menschen. Nächtlich rauscht
Blaues Wasser im Felsengrund;
Seufzend erblickt sein Bild der gefallene Engel,

Erwacht ein Bleiches in dumpfer Stube.
Zwei Monde
Erglänzen die Augen der steinernen Greisin.

Weh, der Gebärenden Schrei. Mit schwarzem Flügel
Rührt die Knabenschläfe die Nacht,
Schnee, der leise aus purpurner Wolke sinkt.

8.2.17

FRIEDERIKE MAYRÖCKER: WAS BRAUCHST DU?




FRIEDERIKE MAYRÖCKER


WAS BRAUCHST DU?

was brauchst du? einen Baum ein Haus zu
ermessen wie groß wie klein das Leben als Mensch
wie groß wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger Schönheit
wie groß wie klein bedenkst du wie kurz
dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume
du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus
keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund
die Gestirne das Gras die Blume den Himmel

7.2.17

REINER KUNZE: WIR WOLLTEN SEIN WIE DINGE AUS TON




REINER KUNZE


WIR WOLLTEN SEIN WIE DINGE AUS TON

Wir wollten sein wie dinge aus ton
Dasein für jene,
die morgens um fünf ihren kaffee trinken
in der küche
Zu den einfachen tischen gehören
Wir wollten sein wie die dinge aus ton, gemacht
aus erde vom acker
Auch, daß niemand mit uns töten kann
Wir wollten sein wie die dinge aus ton 
Inmitten
    soviel
              rollenden
                       stahls

6.2.17

PAUL CELAN: NACHTS, WENN DAS PENDEL DER LIEBE SCHWINGT




PAUL CELAN


NACHTS, WENN DAS PENDEL DER LIEBE SCHWINGT

Nachts, wenn das Pendel der Liebe schwingt
zwischen Immer und Nie,
stösst dein Wort zu den Monden des Herzens
und dein gewitterhaft blaues
Aug reicht der Erde den Himmel. 
Aus fernen, aus traumgeschwärztem
Hain weht uns an das Verhauchte,
und das Versäumte geht um, gross wie die Schemen der Zukunft. 
Was sich nun senkt und hebt,
gilt dem zuinnerst Vergrabnen:
blind wie der Blick, den wir tauschen,
küsst es die Zeit auf den Mund.