18.6.16

THEODOR DÄUBLER: DAS SONNET




THEODOR DÄUBLER


DAS SONNET

Es sollte mein Sonnett den Sternen gleichen,
Die blutigblau aus ihren Kernen leuchten,
Zuerst den Augen Feuerkreuze deuchten
Und dann auf einmal Lichtgeschimmer weichen.

Doch muß gar bald das Schimmern auch erbleichen:
Als ob die Urgluthen die Strahlen scheuchten,
Erscheint, bis unsere Lider sich befeuchten,
Den Blicken strahlenfrei das gerade Zeichen.

Dann zittre, wie um Sterne, feucht die Frühe,
Auf das erblickte Lid, zart eine Zähre,
In der die Gluth der Blutwünsche versprühe.

Es wünscht ja doch, daß es die Mär gebäre,
Daß schillernd Träumen seinem Grau entglühe
Und spielt, als ob es eine Perle wäre.

17.6.16

JOHANNES R. BECHER: GESANG VOR MORGEN




JOHANNES R. BECHER


GESANG VOR MORGEN

Da kotzt auf Dächer Mondes schiefer Mund
Gallgrünen Schleim. Noch Autobusse zögern.
Die Straße heult, ein aufgeteilter Hund,
Dadurch wir waten dünn mit Aktenschmökern.

In hohen Lüften Kohlenhaufen glosen.
Der Wolken graue Röcke weisen Schlitze.
Geschwollene Scham quillt auf ein Himmel rosen,
In dessen Fleisch wohl krumme Messer blitzen.

Die Mörder unter düsterem Baldachin
An Galgen baumeln, schlagend oft zusammen.
Auf Plätze klatschen Kübel Blutes hin.
Der Häuser Hüften peitschen Scharlachflammen.

Die Huren sammeln sich vor blinder Kneipe,
Wie Vogelscheuchen flatternd auf dem Felde,
Die klappern in der Morgenwinde Kälte. —
Wir werden uns an fernem Ort entleiben.

15.6.16

WOLFGANG BORCHERT: REGEN




WOLFGANG BORCHERT


REGEN

Der geht als eine alte Frau
mit stiller Trauer durch das Land.
Ihr Haar ist feucht, ihr Mantel grau,
und manchmal hebt sie ihre Hand

und klopft verzagt an Fensterscheiben,
wo die Gardinen heimlich flüstern.
Das Mädchen muß im Hause bleiben
und ist doch gerade heut so lebenslüstern!

Da packt der Wind die Alte bei den Haaren,
und ihre Träne werden wilde Kleckse.
Verwegen läßt sie ihre Röcke fahren
und tanzt gespensterhaft wie eine Hexe!