21.11.14

REINER KUNZE: DER VOGEL MÄRZ




REINER KUNZE


DER VOGEL MÄRZ

Nun bin ich dreißig jahre alt
und kenne Deutschland nicht:
Die grenzaxt fällt in Deutschland wald
O land, das auseinanderbricht
im menschen

Und alle brücken treiben pfeilerlos

Gedicht, steig auf, flieg himmelwärts!
Steig auf, gedicht, und sei
der vogel Schmerz

20.11.14

GÜNTER EICH: NOVEMBER




GÜNTER EICH


NOVEMBER

Wolken klettern wie Tiere auf den Berg des Himmels,
die Abende dunkeln zu früh und aus allen
Lampen tropft der Herbst.

Dies kennst du, es ist November,
weit sind Wiesen und die Gerüche des Waldes.
Als du sehr klein warst, fingst du Schmetterlinge.

Alles verging wie ein Atemzug voll Wind.
Zwischen die Tage schieben sich Ewigkeiten.
Du hörst, wie unterm Regen ein Kind eine Mundharmonika bläst.
Die Bäume rosten und
wie ein Flug Wildenten erscheinen im Schilf die Geschwader der Sterne.