15.1.11
RICHARD DEHMEL: VENUS HOMO
RICHARD DEHMEL (1863-1920)
VENUS HOMO
Bettle nicht vor mir mit deinen Brüsten,
deinen Brüsten bin ich kalt;
tausend Jahre alt
ist dein Blick mit seinen Lüsten.
Sieh mich an, wie Du als Braut getan:
mit dem Blick des Grauens vor der Schlange!
Viel zu lange
war ich, Weib, dein Mann.
Willst du Gift aus meiner Wurzel saugen?
unverwundbar bin ich deinem Biss!
Folge mir ins Paradies:
sieh mich an mit deinen Menschenaugen...
2.1.11
WOLF BIERMANN: NOCH
WOLF BIERMANN
NOCH
1
Ein kleiner Regen hat mich gewaschen
Am Himmel ziehn leere Brauseflaschen
Frabrikschlote wuchern drüben am Hang
Rauchnasen laufen den Windweg lang
Wälder sind das da, das nasse Blau
Das da sind Halden, das große Grau
Rot blühn paar Fahnen da auf dem Bau
Das Land ist still
Der Krieg genießt seinen Frieden
Still. Das Land ist still. Noch.
2
Die Schieferdächer schachteln sich wirr
Geklammert an Essen mit Eisengeschirr
Starrt das Antennengestrüpp nach West
Vom Sonnenball steht noch ein roter Rest
Krähen sind das da, was fällt und schreit
Blüten sind unter die Bäume geschneit
Was da jetzt einbricht, ist Dunkelheit
Das Land ist still
Wie Grabsteine stehen die Häuser
Still. Das Land ist still. Noch.
3
Dann hing ich im D-Zug am Fenster, und
Der Fahrtwind preßte mir Wind in' Mund
Die Augen gesteinigt vom Kohlestaub
Ohren von kreischenden Rädern taub
Hörte ich schwingen im Schienenschlag
Lieder vom Frühling im roten Prag
Und die Gitarre im Kasten lag
Das Land ist still
Die Menschen noch immer wie tot
Still. Das Land ist still. Noch