27.3.10
FRIEDRICH SCHILLER: DER GRAF VON HABSBURG
FRIEDRICH VON SCHILLER (1759-1805)
DER GRAF VON HABSBURG
Zu Aachen, in seiner Kaiserpracht,
Im altertümlichen Saale,
Saß König Rudolfs heilige Macht
Beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins,
Es schenkte der Böhme des perlenden Weins,
Und alle die Wähler die Sieben,
Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,
Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,
Die Würde des Amtes zu üben.
Und rings erfüllte den hohen Balkon
Das Volk in freud'gem Gedränge;
Laut mischte sich in der Posaunen Ton
Das jauchzende Rufen der Menge.
Denn geendigt nach langem verderblichen Streit
War die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
Und ein Richter war wieder auf Erden.
Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer,
Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr
Des Mächtigen Beute zu werden.
Und der Kaiser ergreift den goldnen Pokal
Und spricht mit zufriedenen Blicken.
"Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl,
Mein königlich Herz zu entzücken;
Doch den Sänger vermiss' ich, den Bringer der Lust,
Der mit süßem Klang mir bewege die Brust
Und mit göttlich erhabenen Lehren.
So hab' ich's gehalten von Jugend an,
Und was ich als Ritter gepflegt und getan,
Nicht will ich's als Kaiser entbehren."
Und sieh! in des Fürsten umgebenden Kreis
Trat der Sänger im langen Talare.
Ihm glänzte die Locke silberweiß,
Gebleicht von der Fülle der Jahre.
"Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold,
Der Sänger singt von der Minne Sold,
Er preiset das Höchste, das Beste,
Was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt,
Doch sage, was ist des Kaisers wert
An seinem herrlichsten Feste?"
"Nicht gebieten werd' ich dem Sänger," spricht
Der Herrscher mit lächelndem Munde,
"Er steht in des größeren Herren Pflicht,
Er gehorcht der gebietenden Stunde.
Wie in den Lüften der Sturmwind saust,
Man weiß nicht, von wannen er kommt und braust,
Wie der Quell aus verborgenen Tiefen,
So des Sängers Lied aus dem Innern schallt
Und wecket der dunklen Gefühle Gewalt,
Die im Herzen wunderbar schliefen."
Und der Sänger rasch in die Saiten fällt
Und beginnt sie mächtig zu schlagen:
"Auf's Waidwerk hinaus ritt ein edler Held,
Den flüchtigen Gamsbock zu jagen.
Ihm folgte der Knapp mit dem Jägergeschoß,
Und als er auf seinem stattlichen Roß
In eine Au kommt geritten,
Ein Glöcklein hört er erklingen fern,
Ein Priester war's mit dem Leib des Herrn,
Voran kam der Meßner geschritten.
Und der Graf sich zur Erde neiget hin,
Das Haupt mit Demut entblößet,
Zu verehren mit gläubigen Christensinn,
Was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durch's Feld,
Von des Gießbachs reißenden Fluten geschwellt,
Das hemmt der Wandrer Tritte,
Und beiseit' legt jener das Sakrament,
Von den Füßen zieht er die Schuhe behend,
Damit er das Bächlein durchschritte.
Was schaffst du? redet der Graf ihn an,
Der ihn verwundert betrachtet.
Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann,
Der nach der Himmelskost schmachtet.
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg
Zum Strudel der Wellen gerissen.
Drum, daß dem Lechzenden werde sein Heil,
Da will ich das Wässerlein jetzt in Eil'
Durchwaten mit nackenden Füßen.
Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd,
Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
Daß er labe den Kranken, der sein begehrt,
Und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Tier
Vergnügt noch weiter des Jagens Begier;
Der andre die Reise vollführet,
Und am nächsten Morgen mit dankendem Blick,
Da bringt er dem Grafen sein Roß zurück,
Bescheiden am Zügel geführet.
Nicht wolle das Gott, rief mit Demutsinn
Der Graf, daß zum Streiten und Jagen
Das Roß ich bestiege fürderhin,
Das meinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinnst,
So bleibt es gewidmet dem göttlichen Dienst;
Denn ich hab' es dem ja gegeben,
Von dem ich Ehre und irdisches Gut
Zu Lehen trage mit Leib und Blut
Und Seele und Atem und Leben. -
So mög' auch Gott, der allmächtige Hort,
Der das Flehen der Schwachen erhöret,
Zu Ehren euch bringen hier und dort,
So wie ihr ihn jetzt geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
Durch ritterlich Walten im Schweizerland;
Euch blüh'n sechs liebliche Töchter.
So mögen sie, rief er begeistert aus,
Sechs Kronen euch bringen in euer Haus,
Und glänzen die spät'sten Geschlechter."
Und mit sinnenden Haupt saß der Kaiser da,
Als dächt' er vergangener Zeiten;
Jetzt, da er dem Sänger in's Auge sah,
Da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell
Und verbirgt der Tränen stürzenden Quell
In den Mantels purpurnen Falten.
Und Alles blickte den Kaiser an
Und erkannte den Grafen, der das getan,
Und verehrte das göttliche Walten.
25.3.10
EMMANUEL GEIBEL: FÜR MUSIK
21.3.10
RAINER MARIA RILKE: DUINESER ELEGIEN, DIE ERSTE ELEGIE
RAINER MARIA RILKE
DUINESER ELEGIEN: DIE ERSTE ELEGIE
Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum
uns am Angesicht zehrt —, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,
sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen
mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?
Ach, sie verdecken sich nur miteinander ihr Los.
Weißt du’s noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere
zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.
Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche
Sterne dir zu, daß du sie spürtest. Es hob
sich eine Woge heran im Vergangenen, oder
da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,
gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.
Aber bewältigtest du’s? Warst du nicht immer
noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles
eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen,
da doch die großen fremden Gedanken bei dir
aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.)
Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange
noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl.
Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du
so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn
immer von neuem die nie zu erreichende Preisung;
denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm
nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.
Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur
in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte,
dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa
denn genügend gedacht, daß irgend ein Mädchen,
dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel
dieser Liebenden fühlt: daß ich würde wie sie?
Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen
fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, daß wir liebend
uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn:
wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung
mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.
Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur
Heilige hörten: daß sie der riesige Ruf
aufhob vom Boden; sie aber knieten,
Unmögliche, weiter und achtetens nicht:
So waren sie hörend. Nicht, daß du Gottes ertrügest
die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,
die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.
Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir.
Wo immer du eintratst, redete nicht in Kirchen
zu Rom und Neapel ruhig ihr Schicksal dich an?
Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf,
wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa.
Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts
Anschein abtun, der ihrer Geister
reine Bewegung manchmal ein wenig behindert.
Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,
kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,
Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen
nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;
das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,
nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen
wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.
Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam,
alles, was sich bezog, so lose im Raume
flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam
und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig
Ewigkeit spürt. — Aber Lebendige machen
alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.
Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
reißt durch beide Bereiche alle Alter
immer mit sich und übertönt sie in beiden.
Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten,
man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten
milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große
Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft
seliger Fortschritt entspringt —: könnten wir sein ohne sie?
Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos
wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;
daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling
plötzlich für immer enttrat, das Leere in jene
Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.
7.3.10
HERMANN LÖNS: DAS NATTERNHEMD
HERMANN LÖNS (1866 – 1914)
DAS NATTERNHEMD
Jürgen der Jäger ging über die Haide,
Zwischen Mond und Sonne ging er hin,
Seine Augen träumten in die Ferne,
Nach seinem Traume stand sein Sinn,
Dem Traum, wie ein Schatten über dem Wasser,
Dem Traum, wie ein Eiland im Nebel fern;
So ging er hin, den Mond zur Rechten
Und linker Hand den guten Stern.
Er ging vom Morgen bis zum Mittag
Durch grüne Marsch und gelbes Moor,
Und ging von Mittag bis zum Abend,
Und als die Sonne die Kraft verlor,
Trat er in eine hohe Haide
Und blieb tief atemholend steh'n;
Er war in seinem fernen Traume,
In dem er sich die Nacht geseh'n.
Da waren sieben schwarze Fuhren
Geordnet in einem engen Kreis,
Da waren sieben schwarze Machangeln,
Düster oben und unten greis,
Da waren sieben blanke Bäche,
Nach sieben Seiten sprangen sie schnell:
Und waren sieben große goldne
Blumen gestellt um den Siebenquell.
Jürgen dem Jäger flog der Atem
Und seine Brust ging tief und schwer,
Es ging ein Rauschen über die Haide
Und ein Lachen flog von ihr her,
Ein silbernes Kichern, ein goldenes Lachen,
Wie Rotkehlchenlied und Nachtigallsang;
Jürgen der Jäger duckte im Schatten,
Sein junges Herz in der Brust ihm sprang,
Da waren sieben große Schlangen,
Sieben Zauberschlangen, schön und schlank,
Schimmernd in sieben hellen Farben,
Sieben Farben blitz und blank,
Sie tranken vom Siebenquell das Wasser
Mit ihren roten Züngelein,
Und waren nicht mehr sieben Schlangen,
Sieben schöne Fräulein mußten es sein.
Jürgen der Jäger schlich wie der Fuchs schleicht,
Schnell wie der Habicht griff er hin,
Von den sieben blanken Natternhemdchen
Das silberweiße war sein Gewinn;
Und er rief das Wort, das rosenrote,
Das er gerufen die letzte Nacht,
Als er aus seinem bunten Traume
Mit heißen Lippen war erwacht.
Sieben Jungfernschreie gellten schneidend
In die Abendstille hinein,
Sieben rosige Fräulein haschten jammernd
Nach ihren Natternhemdelein,
Zweimal drei Nattern von dannen rauschten,
Sechs Zaubernattern schön und groß;
Die allerschönste, siebenmal schönste
Die schlug die Hände vor Brust und Schoß.
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Singt eine Stimme den ganzen Tag,
In Jürgen des Jägers buntem Garten
Da klingt's wie Nachtigallenschlag,
Und singt drei Monde und zweimal dreie,
Und als der neunte Mond zersprang,
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Eine helle kleine Stimme erklang.
Und jedes Jahr eine neue Stimme,
Ein Kind mit Haaren gelb und hell,
Wie die sieben großen goldnen Blumen,
Die da blühen um den Siebenquell;
Sieben schöne Jahre, sieben schöne Kinder,
Es klingt, wie vieler Vöglein Schlag
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Den ganzen lieben langen Tag.
Es rief eine Eule am hellen Mittag,
Es kam in das Land ein falsches Wort,
Es fiel ein Reif auf die Maienblüten,
Sie sind verwelket und verdorrt;
Ein bleicher Mann in schwarzer Kutte,
Ein Hexenbrenner, zog um im Land,
Flugfeuer war seines Mundes Rede,
Das steckte die stille Haide in Brand,
Es ging ein Flüstern von Hof zu Hofe
Und ging ein Raunen von Tor zu Tor,
An Jürgen des Jägers weißem Hause
Rankten sich giftige Blumen empor:
"Die Frau ist anders, als unsere Frauen,
Die Kinder sind schöner, als unsere sind,
Sie werden ohne Wehen geboren,
Giftsamen ist es, den hertrieb der Wind.
"Wenn die Blitze über die Haide fahren,
Steht sie am Tore und lacht und singt,
Und Helle heißt sie, das ist ein Name,
Der nach geheimen Künsten klingt."
Es flogen Blicke wie blanke Blitze,
Es fielen Worte voll Haß und Wut,
Es ballten Hände sich zu Fäusten,
Es roch die Luft nach Brand und Blut.
Jürgen der Jäger geht über die Haide
Mit Beute beladen und hinter ihm geht
Sein Sohn, stolz trägt er auf der Schulter
Des Vaters Waidewerksgerät;
Jürgen des Jägers Augen sind dunkel
Und fest geschlossen ist sein Mund,
Um die siebente Stunde heulte zum Himmel
Lange und bange sein treuer Hund.
Jürgen des Jägers Augen fliegen
Seinen schnellen Schritten voraus,
Sie suchen hinter dem Abendnebel
Am braunen Berge das weiße Haus;
Ein breiter Rauch steht an dem Himmel,
Eine schmale Flamme darunter weht;
Jürgen dem Jäger stockt der Atem,
Das Herz in der Brust ihm stille steht.
Was schleicht durch die Gassen und horcht an den Türen,
Was huscht auf dem Hofe und lauscht an der Wand,
Was ruschelt am Zaune und raschelt im Garten
Und rückt an dem Riegel mit heimlicher Hand?
Jürgen der Jäger ist auf der Pürsche,
Bittreres Waidewerk übte er nie,
Eine liebe Stimme hörte er weinen,
Eine liebe Seele nach ihm schrie.
Es klingt die Stimme aus tiefem Zwinger:
"Eia popeia, schlaf süß, mein Kind,
Eia popeia, es rief eine Eule,
Dein Vater weiß wohl, wo wir sind;
Suse la suse, ihr Kindelein schlafet,
Fest ist das Gitter, hart ist der Stein,
Suse la suse, wo sind geblieben
Die sieben Natternhemdelein?"
Es steht eine Weide am tiefen Borne,
Ihr silbernes Laub beweget der Wind,
In ihrem hohlen Leibe verborgen
Acht weiße Natternhemdchen sind;
Ein großes und sieben klimperkleine,
In jedem Jahr eins der Baum empfing,
Wenn in dem weißen Hause am Berge,
Wieder einmal die Wiege ging.
"O Weide, Weide, vieledle Zierde,
O Weide, Weide, ich bitte dich sehr,
Ich bitte dich auf meinen Knieen,
In meinem Herzeleid komme ich her;
Du sollst auch essen, was wir haben,
Und trinken sollst du, so gut wie wir,
O Weide, Weide, vieledle Zierde,
Gib sieben Natternhemdchen mir!"
Acht Pfeile kommen angeflogen,
Die geben alle hellichten Schein,
Um jedes Spitze ist gewunden
Ein blankes Natternhemdelein.
"Eia popeia, Ihr Kindelein kommet,
Suse la suse, und machet euch fein,
Es schrie eine Eule vor dem Gitter
Und brachte uns unsere Hemdelein."
Jürgen der Jäger weint blutige Tränen,
Acht blanke Nattern entschlüpfen dem Grund,
Er küßt eine jegliche sieben male,
Doch sieben mal sieben der einen Mund;
Acht Nattern rauschen über die Straße,
Wer weiß, wohin? Wo der Nachtwind weht;
Wo Jürgen der Jäger ging über die Haide,
Das Blut im grauen Moose steht.
Jürgen der Jäger geht über die Haide,
Zwischen Mond und Sonne geht er hin,
Seine Augen träumen in die Ferne,
Nach seinem Traume steht sein Sinn;
Dem Traum, wie ein Schatten in der Sonne,
Dem Traum, wie ein Eiland im Nebel fern,
Ein rotes Licht im schwarzen Moore,
Am düsteren Himmel ein blutiger Stern.
Er geht über Sümpfe, schwarz wie die Sünde,
Und über Moore, fahl wie der Tod,
Und über weite, breite Haiden,
Still wie die Nacht, wie Blut so rot;
Er tritt in eine greise Ödnis
Und bleibt tief atemholend steh'n,
Er ist in seinem fernen Traume,
In dem er sich die Nacht geseh'n.
Da ist ein Himmel, schwarz und schrecklich,
Rote Raben fliegen darunter her,
Da ist ein Wasser, tief und schlammig,
Das fließt so träge und so schwer,
Da ist ein schwarzes Zaubereiland
Mit einem Schloß, wie Gift so grün,
Da ist ein dumpfer, dunkler Garten,
In dem viel bleiche Blumen blüh'n.
Durch sieben Höfe geht Jürgen der Jäger,
Durch den weißen und gelben und blauen hin,
Hört nicht die Raben, sieht nicht die Schlangen,
Nach seinem Traume steht sein Sinn;
Geht durch den roten Hof und den grünen
Und durch den Hof, wie Haidmoos grau,
Mit den großen grauen Totenblumen,
Gefüllt mit grauem Todestau.
Es schreien und kreischen die roten Raben,
Die giftigen Schlangen werden laut,
Ihn kümmert kein Kreischen und kein Zischen,
Seinen schwarzen schweren Traum er schaut;
Die hohe Halle, tot und schweigend
Wie eine schwarze Winternacht,
Und dennoch laut von leisen Stimmen,
Und dennoch hell von dunkeler Pracht.
Es sitzt auf ihrem gold'nen Throne
Die böse Otternkönigin,
Es winden sich um ihre Füße
Acht blanke weiße Nattern hin,
Acht schöne schlanke weiße Nattern,
Die eine groß, die andern klein,
Die Natternmutter und sieben kleine
Feine Natternkindelein.
Es schreien und kreischen die roten Raben
Unter dem schwarzen Himmel hin,
In bösem Brande glimmern und flimmern
Die Augen der Otternkönigin;
Sie zischt ihm hellen Hohn entgegen,
Heischt gierig Lohn und Lösegeld:
"Dein rotes Herz mußt du mir lassen,
Du hast ja sonst nichts auf der Welt!
"Das Herz, das Herz, das rote Herze,
Das heiße Herz aus deiner Brust,
Ein Otternherz kennt keine Wonne,
Ein Menschenherz ist voller Lust!"
Die Raben hören auf zu rufen,
Die giftigen Schlangen zischen nicht mehr,
Jürgen der Jäger geht über die Haide,
Die große Otter lacht hinter ihm her.
Auf Jürgen des Jägers weißem Hause
Da schreit die Eule jedwede Nacht,
In Jürgen des Jägers buntem Garten
Keine frohe Stimme singt und lacht;
Die Kinder spielen scheu und heimlich
Das Spiel von dem verlornen Herz;
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Da weht die Luft nur Leid und Schmerz.
Jung Ebert faltet seine Brauen,
Langt von der Wand des Vaters Wehr;
Die Nacht ist ihm ein Traum erschienen,
Ein Traum so schön und groß und schwer;
Jung Ebert schreitet über die Haide,
Zwischen Mond und Sonne geht er hin,
Seine Augen gehen grade Wege,
Ein schwarzer Traum liegt ihm im Sinn.
Er geht durch Moore, schwarz wie die Sünde
Und geht durch die Brüche, fahl wie der Tod,
Und durch die weiten breiten Haiden,
Still wie die Nacht, wie Blut so rot;
Und findet zu dem toten Bache
Und nach dem Schloß, wie Gift so grün,
Und durch den dumpfen dunklen Garten,
In dem die blassen Blumen blüh'n.
Er geht durch die sieben bunten Höfe
Und tritt in die schwarze Halle ein,
Die Augen der Otternkönigin sprühen
Entgegen ihm mit rotem Schein;
Jung Eberts Augen fröhlich lachen,
Sie lachen, wie bei Spiel und Scherz,
Im Leibe der Otternkönigin leuchtet
Warm und rot das verlorene Herz.
"Das Herz, das Herz, das rote Herze,
Das heiße Herz aus deiner Brust,
Ich will dir geben, was ich habe,
Aber das Herz du lassen mußt!"
"Willst du das Herz, das rote Herze,
Was gibst du Lohn und Lösegeld?"
"Dein junges Herz mußt du mir geben,
Du hast ja sonst nichts auf der Welt!"
Jung Ebert lacht ihr in die Augen:
"Mein junges Herz bleibt immer mein,
Mein rotes Herz hört Vater und Mutter,
Und nie soll es dein eigen sein!"
Es kreischen und schreien die roten Raben,
Eine blanke Klinge blitzt und blinkt,
Auf der Otternkönigin Scheitel klirrend
Der rote Karfunkelstein zerspringt.
Jung Ebert schreitet über die Haide,
Zwischen Mond und Sonne geht er hin,
Seine Augen gehen gradenweges
Zu dem weißen Hause am Berge hin;
Er singt eine alte Jägerweise
Über das rote Haideland,
Das rote Schwert trägt seine Rechte,
Das rote Herz seine linke Hand.
Vor Jürgen des Jägers weißem Hause
Schreit keine Nacht die Eule mehr,
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Ist keine Brust mehr tot und leer;
Es singen viele helle Stimmen
Von früh dort bis zum späten Tag,
In Jürgen des Jägers weißem Hause,
Da klingt's wie Nachtigallenschlag.