29.12.08

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE: DER MUSENSOHN


JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749-1832)


DER MUSENSOHN


Durch Feld und Wald zu schweifen,
Mein Liedchen wegzupfeifen,
So geht's von Ort zu Ort!
Und nach dem Takte reget,
Und nach dem Maß beweget
Sich alles an mir fort.

Ich kann sie kaum erwarten,
Die erste Blum' im Garten,
Die erste Blüt' am Baum.
Sie grüßen meine Lieder,
Und kommt der Winter wieder,
Sing ich noch jenen Traum.

Ich sing' ihn in der Weite,
Auf Eises Läng und Breite,
Da blüht der Winter schön!
Auch diese Blüte schwindet
Und neue Freude findet
Sich auf bebauten Höh'n.

Denn wie ich bei der Linde
Das junge Völkchen finde,
Sogleich erreg' ich sie.
Der stumpfe Bursche bläht sich,
Das steife Mädchen dreht sich
Nach meiner Melodie.

Ihr gebt den Sohlen Flüge!
Und treibt durch Tal und Hügel
Den Liebling weit von Haus.
Ihr lieben, holden Musen,
Wann ruh' ich ihr am Busen
Auch endlich wieder aus?

28.12.08

HUGO BALL: DER HENKER


HUGO BALL (1886-1927)


DER HENKER


Ich kugle Dich auf Deiner roten Decke.
Ich bin am Werk: blank wie ein Metzgermeister.
Tische und Bänke stehen wie blitzende Messer
der Syphiliszwerg stochert in Töpfen voll Gallert und Kleister.

Dein Leib ist gekrümmt und blendend und glänzt wie der gelbe Mond
deine Augen sind kleine lüsterne Monde
dein Mund ist geborsten in Wollust und in der Jüdinnen Not
deine Hand eine Schnecke, die in den blutroten Gärten voll Weintrauben und Rosen wohnte.

Hilf, heilige Maria! Dir sprang die Frucht aus dem Leibe
sei gebenedeit! Mir rinnt geiler Brand an den Beinen herunter.
Mein Haar ein Sturm, mein Gehirn ein Zunder
meine Finger zehn gierige Zimmermannsnägel
die schlage ich in der Christenheit Götzenplunder.

Als dein Wehgeschrei dir die Zähne aus den Kiefern sprengte
da brach auch ein Goldprasseln durch die Himmelssparren nieder.
Eine gigantische Hostie gerann und blieb zwischen Rosabergen stehen
ein Hallelujah gurgelte durch Apostel- und Hirtenglieder.

Da tanzten nackichte Männer und Huren in verrückter Ekstase
Heiden, Türken, Kaffern und Muhammedaner zumal
Da stoben die Engel den Erdkreis hinunter
Und brachten auf feurigem Teller die Finsternis und die Qual.
Da war keine Mutterknospe, kein Auge mehr blutunterlaufen und ohne Hoffen
Jede Seele stand für die Kindheit und für das Wunder offen.

27.12.08

HANS ARP: [DIE HERZEN SIND STERNE]


HANS ARP (1887-1966)



[DIE HERZEN SIND STERNE]


.
Die Herzen sind Sterne,
die im Menschen blühen.
Alle Blumen sind Himmel.
Alle Himmel sind Blumen.
Alle Blumen glühen.
Alle Himmel blühen.
.
Ich spreche kleine, alltägliche Sätze
leise für mich hin.
Um mir Mut zu machen,
um mich zu verwirren,
um das große Leid, die Hilflosigkeit,
in der wir leben, zu vergessen,
spreche ich kleine, einfältige Sätze.
.
Die Meere sind Blumen.
Die Wolken sind Blumen.
Die Sterne sind Blumen,
die im Himmel blühen.
der Mond ist eine Blume.
Der Mond ist aber auch eine große Träne.
.
Alle Blumen blühen für dich.
Alle Herzen glühen für dich.
.
Ich spreche kleine, einfältige Sätze
leise für mich hin,
immerfort für mich hin.
Ich spreche kleine, alltägliche, geringe Sätze.
Ich spreche wie die geringen Glocken,
die sich wiederholen und wiederholen.
.
Sophie ist ein Himmel.
Sophie ist ein Stern.
Sophie ist eine Blume.

Alle Blumen blühen,
blühen für dich.
Alle Herzen glühen,
glühen für dich.

Nun bist du fortgegangen.
Was soll ich hier gehen und stehen.
Ich habe nur ein Verlangen.
Ich will dich wiedersehen.
.
Wir zogen hell
durch Glanz und Duft.
Nun tut das Licht mir weh
und niemand ruft
und zeigt mir eine Blume
oder einen Stern.
.
Es blüht im Himmelsgrund
zwischen Dunkelheit und Licht
strahlend wie ein Stern
dein gütiges Gesicht.
.
Du bist ein Stern
und träumst in Gottes lichter Blume.
Ich mag nicht weitergehen.
Ich will auch schlafen.
So wie du schläfst
in Gold und tiefer Ferne
in einem reinen Wiegen.
.
Verloren wie der alte Mond,
der schon viel tausend Jahre stirbt,
ist dieser arme Tränenmensch,
der um die tote Rose wirbt.
.
Wie schnell vergeht ein Leben
in Gottes lichtem Dunkel.
Kaum ist heute gesagt,
ist morgen schon vergangen.
Und so vergehen die Jahre
mit Spielen, Träumen, Säumen.
Und so vergeht die Zeit,
in der die Blumen schweben.
.
Wann blühen wir wieder
vereint an Gottes lichtem Strauch?
Wann ruhe ich für immer
in deinem reinen Hauch?
.
Du lächelst,
um nicht zu weinen.
Du lächelst,
als würden lange noch
die guten Tage scheinen.
Deine Flügel glänzten
wie junge Blätter.
Dein Gesicht
war ein weißer Stern.
.
Seitdem du gestorben bist,
danke ich jedem vergehenden Tag.
Jeder vergangene Tag
bringt mich dir näher.

26.12.08

GEORG RUDOLF WECKHERLIN: KUSS


GEORG RUDOLF WECKHERLIN (1584-1653)


KUSS


Einig süßes mündelein
Röhter dan ein röselein
So Phaebus durch sein ansehen
Macht aufgehen:
Lefzen übertreffend weit
Den taw so die erden nötzet,
Und mit fruchtbarkeit ergötzet
In der süßen Frülings zeit.

Holdseeliges schätzelein,
Gib mir so vil schmätzelein,
Sovil du gibst meinem hertzen
Pein und schmertzen;
Sovil pfeil der fliegend Got
Wider mein hertz abgeschossen;
Sovil ich leid unverdrossen
Jamer, trübsal, angst und noht.

Sovil man wol körnlein sands
Am ufer des Mohren-lands,
Sovil graß in dem feld stehen
Man kan sehen;
Sovil tropfen in dem Möhr,
Sovil fisch alle flüß bringen,
Vögel durch den luft sich schwingen,
Und sovil der hörbst weinböhr.

Sovil schöne lieblichkeit,
Schmollende holdseeligkeit,
Sovil höflichkeit und lachen
Lieblich machen
Deinen thewren purpur-mund;
Wievil rosen deine wangen,
Wievil lilgen machen prangen
Deinen busen steif und rund.

So oft küß mich Nymfelein,
So oft schmätz mich Schimpfelein;
Laß uns mit einander schertzen,
Und uns hertzen,
Biß ich sag, mein frid, mein fraid,
Ich kan nicht mehr, laß mich gehen,
So solt du ein weil abstehen,
Das ich seufzend halb verschaid.

Darnach küß mich widerumb,
Das noch größer werd die sum,
Stüpf mich auch mit deiner zungen
Ungezwungen,
Die süßer dan honig ist:
Also laß uns kurtzweil führen,
Damit wir ja nicht verlieren
Der Jugent einige frist.

Laß uns nach Amors willkhur
Wandlen auf der Jugent spuhr,
Biß das alter krum gebogen
Kom gezogen,
Mit zittern, kält, forcht und grauß,
Welches mit sich auf dem rucken
Vil laids bringet uns zu drucken,
Biß es uns macht den gar-auß.

25.12.08

PAUL GERHARDT: ABENDLIED


PAUL GERHARDT (1607-1676)


ABENDLIED


Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt' und Felder,
Es schläft die ganze Welt;
Ihr aber, meine Sinnen,
Auf, auf, ihr sollt beginnen,
Was eurem Schöpfer wohlgefällt!

Wo bist, du, Sonne, blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
Die Nacht, des Tages Feind.
Fahr hin! Ein' andre Sonne,
Mein Jesus, meine Wonne,
Gar hell in meinem Herzen scheint.

Der Tag ist nun vergangen,
Die güldnen Sternlein prangen
Am blauen Himmelssaal;
So, so werd' ich auch stehen,
Wenn mich wird heißen gehen
Mein Gott aus diesem Jammertal.

Der Leib eilt nun zur Ruhe,
Legt ab das Kleid und Schuhe,
Das Bild der Sterblichkeit;
Die zieh' ich aus, dagegen
Wird Christus mir anlegen
Den Rock der Ehr' und Herrlichkeit.

Breit aus die Flügel beide,
O Jesu, meine Freude,
Und nimm dein Küchlein ein!
Will Satan mich verschlingen,
So lass die Englein singen:
Dies Kind soll unverletzet sein!

Auch euch, ihr mein Lieben,
Soll heute nicht betrüben
Kein Unfall nicht Gefahr.
Gott lass' euch ruhig schlafen,
Stell' euch die güldnen Waffen
Ums Bett und seiner Helden Schar.

23.12.08

FRIDA BETTINGEN: WENN SIE DICH NENNEN


FRIDA BETTINGEN (1865-1924)


WENN SIE DICH NENNEN


Dein Name!
Mein Geliebtes, Du! – Du fragst mich, wie das sei?

Wie ein Komet am Himmelsrande
flammt er auf.

Fern allem irdischen Gewühl,
auf Wolkenbahnen, die sich selbst nicht kennen
steht mein entzücktes Herz.

In seines Schicksals hirtenfrommen Glanz gehüllt.

Dann sammelt es heimatlich
langsam – langsam -
Goldbrand und Glitzerstaub
in seine Tiefen ein.

Süßester Friede ruht.

22.12.08

ANASTASIUS GRÜN: DIE BRÜCKE


ANASTASIUS GRÜN (1806-1876)


DIE BRÜCKE


Eine Brücke kenn' ich, Liebchen,
Drauf so wonnig sich's ergeht,
Drauf mit süßem Balsamhauche
Ew'ger Frühlingsodem weht.

Aus dem Herzen, zu dem Herzen
Führt der Brücke Wunderbahn,
Doch allein der Liebe offen,
Ihr alleinig untertan.

Liebe hat gebaut die Brücke,
Hat aus Rosen sie gebaut!
Seele wandert drauf zur Seele,
Wie der Bräutigam zur Braut.

Liebe wölbte ihren Bogen,
Schmückt' ihn lieblich wundervoll;
Liebe steht als Zöllner droben,
Küsse sind der Brückenzoll.

Süßes Mädchen, möchtest gerne
Meine Wunderbrücke schaun?
Nun, es sei, doch mußt du treulich
Helfen mir, sie aufzubaun.

Fort die Wölkchen von der Stirne!
Freundlich mir ins Aug' geschaut!
Deine Lippen leg' an meine:
Und die Brücke ist erbaut.

21.12.08

ROBERT HAMERLING: ICH WILL JA NICHTS!


ROBERT HAMERLING (1830-1889)


ICH WILL JA NICHTS!


O laß an deiner Seite mich, im Kreise deines Lichts!
Ich will ja fromm und ruhig sein – laß mich, ich will ja nichts!
An süß Gekose denk' ich nicht, an Druck der Hände nicht;
An einen Kuß – o nicht von fern! Laß mich, ich will ja nichts!
Laß ruh'n mein Haupt an deiner Brust; will ruh'n so zart, so rein,
Wie Schwanenfittig auf dem See – laß mich, ich will ja nichts!
Ich ford're ja nicht Liebe, nein! was drückst du mir so streng
Des Haßes Pfeil in's tiefste Herz? Laß mich, ich will ja nichts!

19.12.08

CLEMENS BRENTANO: LIEB UND LEID


CLEMENS BRENTANO (1778-1842)


LIEB UND LEID


Lieb und Leid im leichten Leben
Sich erheben, abwärts schweben,
Alles will das Herz umfangen,
Nur Verlangen, nie erlangen,

In dem Spiegel all ihr Bilder,
Blicket milder, blicket wilder,
Kann doch Jugend nichts versäumen
Fort zu träumen, fort zu schäumen.

Frühling soll mit süßen Blicken
Mich entzücken und berücken,
Sommer mich mit Frucht, und Mirten,
Reich bewirten, froh umgürten.

Herbst du sollst mich Haushalt lehren,
Zu entbehren, zu begehren,
Und du Winter lehr mich sterben,
Mich verderben, Frühling erben,

Wasser fallen um zu springen,
Um zu klingen, um zu singen,
Schweig ich stille, wie und wo?
Trüb und froh, nur so, so!

18.12.08

FRIEDRICH WILHELM GOTTER: DIE LIEBE


FRIEDRICH WILHELM GOTTER (1746-1797)


DIE LIEBE


Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!
Sorgenlos, wie Kinder,
Führt sie uns durchs Leben.
Unser ganzes Leben
Flieht mit ihr geschwinder,
Als uns ohne Liebe
Sonst ein Tag verging!
Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!

Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!
Muth gibt sie zur Arbeit,
Hilft sie uns verrichten.
Eine Blumenkette
Werden unsre Pflichten,
Und am Thron der Liebe
Hängt der Kette Ring.
Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!

Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!
Unsre Seele hebet
Sich auf ihrem Flügel,
Unsre Seele schwebet,
Neu von ihr belebet,
Ueber Thal und Hügel,
Gleich dem Schmetterling.
Ach, was ist die Liebe
Für ein süßes Ding!